Joachim Wolf und Georg Brenner vertreten als Bürgermeister zwei Nachbarstädte im Strohgäu. Korntal-Münchingen muss nach dem Bürgerentscheid noch Dutzenden Flüchtlingen ein Quartier bieten, während Gerlingen schon längst an deren Integration arbeitet.

Gerlingen – - Die Gerlinger haben ihr Pensum bei der Unterbringung der Flüchtlinge im Jahr 2016 weitgehend erledigt, Korntal-Münchingen ist noch nicht soweit. Dies wird im ersten Teil des Interviews mit den beiden Bürgermeistern deutlich. Der zweite Teil folgt in einer unserer nächsten Ausgaben. Darin geht es dann auch um die spannenden Themen Finanzen und kommunale Wirtschaft.
Herr Brenner, Herr Wolf, lassen Sie uns über Gemeinsamkeiten reden und über Unterschiede. Sie beide haben in der Flüchtlingskrise eine deutliche Haltung gezeigt. Wie groß ist Ihr Einfluss als Bürgermeister auf die Stimmung in der Bevölkerung?
Brenner Wir müssen vorangehen, wir müssen Vorbild sein, aber auch Impulsgeber, wenn es darum geht, die Menschen mitzunehmen und sie in der Bewältigung dieser Aufgabe zu unterstützen.
Wolf Das sehe ich ebenso, insbesondere wenn die Konflikte eskalieren wie bei uns. Dann zeigt sich, wie kritisch die Situation werden kann, dann werden die Diskussionen härter, auch in den sozialen Medien. Dann wird es schwierig, noch an die Menschen heranzukommen. Aber wir müssen es auf jeden Fall versuchen.
Wie schätzen Sie denn die Stimmung in Ihrer Stadt ein?
Brenner Ich habe die etwas glücklichere Ausgangslage gegenüber Korntal-Münchingen – das Unterbringungsthema spielt seit fast einem Jahr in Gerlingen keine Rolle mehr. Es ist gut, dass in der Unterkunft des Landkreises fast ausschließlich Familien sind. Über die Kinder kommt man am besten an die Erwachsenen heran. Kinder sind die besten Multiplikatoren, in Sprache, Kultur und Integration. Wir waren fast das ganze Jahr 2016 bereits mit Integration beschäftigt, sehr intensiv, mit Unterstützung von vielen Ehrenamtlichen.
Wolf Bei uns ist die Situation bekanntlich anders. Das Thema Unterbringung ist bei uns ein sehr markantes geworden, insbesondere durch die Diskussion über den Standort in der Ludwigsburger Straße (am Korntaler Friedhof, Anm. d. Red.). Die Stimmung ist immer noch sehr positiv. Die Diskussion um den Standort hat sich nicht negativ in Richtung einer fremden- oder flüchtlingsfeindlichen Grundstimmung in der Stadt ausgewirkt. Dem würde ich eindeutig widersprechen.
Das haben wir auch nicht behauptet.
Wolf Das könnte man ja schließen, aber auch die Gegner des Standorts haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass es nicht um die Grundsatzfrage geht, sondern um den Standort. Inwieweit unterschwellig doch irgendwelche Bedenken mitspielen, ist Spekulation. Dem will ich mich nicht anschließen. Die Integrationswilligkeit und das Engagement in der Stadt sind nach wie vor ebenso wie in Gerlingen sehr groß. Das ist für mich das Wichtigste.
Die Bewohner der Stadtteile haben unterschiedlich abgestimmt.
Wolf Traurig ist, dass sich dies wieder auf die Diskussion zwischen den Stadtteilen reduziert hat. Wir haben dagegen gesteuert, aber es ist uns bisher nur ansatzweise gelungen. Auch das ist eine Herausforderung, an der wir arbeiten müssen. Und wir werden nächstes Jahr in Münchingen ebenfalls eine Flüchtlingsunterkunft bauen müssen.
Sind Sie mit den Gegnern der Unterkunft in Korntal noch im Gespräch?
Wolf Ich habe mehrmals Gesprächsbereitschaft signalisiert. Es hieß, man denkt drüber nach, aber es kam bisher keine Reaktion. Ich bin jederzeit bereit.
Sie haben sich laut Presseartikeln darüber geärgert, dass bei Berichten über den Bürgerentscheid Klischees über die Stadt – etwa die pietistische Tradition – bemüht worden sind. Und Sie haben sich Sorgen um den Ruf der Stadt gemacht. Hat dieser gelitten?
Wolf Nein, das glaube ich nicht. Es war schon beachtlich, wie der Bürgerentscheid über die Stadt hinaus in der Presse Beachtung gefunden hat. Da hatten wir mit Medien zu tun, mit denen ich in zehn Jahren als Bürgermeister nichts zu tun hatte. Im Endeffekt hatte es eher positive Auswirkung – nach außen wird nur wahrgenommen, dass das Begehren mit rund zwei Dritteln der Stimmen abgelehnt worden ist. Die stadtteilbezogene Differenzierung nimmt die Außenwelt nicht mehr wahr.
Was die Unterbringung angeht, sind Gerlingen und Korntal-Münchingen auf unterschiedlichem Stand. Gerlingen muss in diesem Jahr keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen, in Korntal-Münchingen wurde das Soll schon 2016 nicht erfüllt. Wie soll Integration gelingen, Herr Wolf?
Wolf Für mich ist die Integration immer noch die deutlich größere Herausforderung. Die Unterbringung kriegen wir hin, irgendwie, das ist zu schaffen. Aber die sozialen Herausforderungen werden uns noch länger beschäftigen als wir uns vorstellen können.
Ist absehbar, wie viele Menschen langfristig hier bleiben werden?
Brenner Die Zukunft ist noch sehr unsicher für die Menschen. Zum einen, weil nicht sicher ist, dass man nach dem positiven Asylbescheid bleiben kann, wo man in der Erstunterbringung war. Oft ist damit ein Ortswechsel verbunden – obwohl viele hier Fuß fassen wollen. Der andere Unsicherheitsfaktor ist die Anerkennung, auch die Einstufung der Herkunftsländer. Wir haben viele Familien aus Afghanistan. Die Frage, ob es sich um ein sicheres Herkunftsland handelt, belastet die Menschen.
Wolf Es ist schwierig, das abzuschätzen. Es gibt bei uns einige Flüchtlinge aus nordafrikanischen Staaten, da müssen ja die meisten wieder zurück. Es gibt viele, die sich integrieren und die Sprache lernen wollen, die Arbeit suchen, und die sich unwohl fühlen in dieser Bittsteller-Situation. Aber es gibt auch Menschen, die sagen, wenn Frieden ist, zieht es mich zurück zu meiner Familie. Das ginge uns ja genauso. Aber ich könnte nicht sagen, wie viele am Ende bleiben, deswegen konzipieren wir unsere Gebäude so, dass sie auch als soziale städtische Unterkünfte dienen können.
Brenner Wir haben noch zwei Standorte für Unterkünfte, in der Jahn-straße und am Gerlinger Tor. Die können wir auch für soziale Verpflichtungen der Stadt nutzen.
Haben Sie ein Rezept, wie die Integration gelingen kann? Sie, Herr Wolf, legen ja Wert darauf, dass in Wohngebieten gebaut wird.
Wolf Es beginnt beim Wohnen. Wir wollen nicht auslagern in Gewerbeareale, sondern in Wohngebieten bauen, und das in kleinen Einheiten. Außerdem muss man den Kindern eine Perspektive geben, sie in die Kindergärten und Vorbereitungsklassen aufnehmen. Über Patenschaften werden die Menschen mitgenommen in das gesellschaftliche Leben. Wichtig ist auch, dass die Menschen unsere zentralen Regeln des Zusammenlebens kennenlernen. Das Entgegenkommen kann nicht so weit gehen, dass wir unsere eigenen Grundregeln in Frage stellen.
So deutlich Sie, Herr Wolf, sich zur Flüchtlingskrise stets geäußert haben, so sehr halten Sie sich bei den Missbrauchsvorwürfen gegen die Brüdergemeinde zurück. Hielten Sie es nicht für wichtig, auch hier ein klares Statement abzugeben? Auch wegen des Rufs der Stadt?
Wolf Missbrauch ist immer auf das Schärfste zu verurteilen. Es geht nicht in erster Linie um den Ruf der Stadt, sondern um den der Brüdergemeinde – auch wenn das historisch zusammenhängt. Ich würde mich nie erheben und behaupten, ich könnte das bewerten. Ich habe meine Position, aber aus der Diskussion um die Schuldfrage halte ich mich heraus – wenn auch nicht aus der um die Grundfrage, wie Schuld zu bewerten ist, wenn sie nachgewiesen wird. Das ist eindeutig.
Also wollen Sie sich zurückhalten?
Wolf Wenn man sich als Bürgermeister einmischt, kommt man leicht in die Situation, auf eine Seite gezogen zu werden, da gab es Versuche von beiden Seiten. Ich kann nur appellieren, das Thema möglichst konstruktiv, transparent und lückenlos aufzuklären. Aber ich kann dazu keinen wesentlichen Beitrag leisten.
Nichtsdestotrotz hat Ihre Stimme Gewicht, ebenso wie die des Gemeinderats. Sich dazu nicht zu äußern, kann das Geschehen beeinflussen – schließlich sind die Machtverhältnisse zwischen Brüdergemeinde und Betroffenen nicht eben gleich.
Wolf Es hat aber nicht den Einfluss, dass damit eine irgendwie geartete Wertung verbunden ist – oder glauben Sie, den hat es? Das möchte ich vermeiden. Auf Nachfrage stelle ich meine klare Position dar – aber ich möchte damit nicht offensiv in die Öffentlichkeit treten. Das dient der Sache nicht. Es ist ohnehin schwierig, den Konflikt zu lösen. Es gibt jetzt den dritten Anlauf, und der Prozess wird immer wieder zurückgeworfen. Ich würde das eine oder andere anders machen, das habe ich auch mit der Brüdergemeinde besprochen. Im einen oder anderen Punkt hätte man sachdienlicher agieren können.
Unterschiede zwischen Korntal-Münchingen und Gerlingen gibt es auch beim Gemeinschaftsgefühl. Während die Gerlinger so gut wie homogen sind, sind sich Korntaler und Münchinger noch immer nicht grün. Kann sich das noch ändern, Herr Wolf?
Wolf Die Vielfalt der Stadt ist ein Wert, und es muss sich niemand verbiegen, um Korntal-Münchinger zu werden. Es geht darum zu sagen, ich bin dankbar, dass es noch einen anderen Stadtteil gibt, der mir etwas Zusätzliches bietet. Es ist eine Stadt mit verschiedenen Identitäten, das wird man nicht ändern. Es profitiert jeder von allen Stadtteilen, es ist gut, dass wir zusammen sind, wir ergänzen uns hervorragend. Dass jemand seine Identität aufgibt, verlangt niemand. Ich sage nicht, ihr müsst euch alle gleichschalten. Wir haben vorher über die Flüchtlingsdebatte gesprochen. Die ist leider ein wenig eskaliert – weil die Korntaler gesagt haben, insbesondere die Gegner der Unterkunft, dass die Münchinger über sie entschieden hätten. Diese Diskussion ist bedauerlich, aber sie war abzusehen.