Mohammad Asadi flüchtete mit seiner Familie aus Afghanistan, weil sie von den Taliban mit dem Tod bedroht wurden. Hier haben sie eine neue Heimat gefunden. Jetzt leben sie zwischen Hoffen und Bangen.

Leonberg - Die Hiobsbotschaft erreichte die afghanische Familie Mitte April. Es war ein zwölfseitiges Schreiben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Darin heißt es, dass „die Darstellung der Antragsteller hinsichtlich des Kerngeschehens im Widerspruch steht“. Folglich sind die Angaben zu den Fluchtursachen nicht „erlebnisfundiert“, sondern „konstruiert“. Und überhaupt: Auch wenn die Zahl der zivilen Opfer in der Zentralregion, zu der auch die Provinz der Antragsteller gehört, im Jahr 2016 auf 2348 gestiegen war, „so liegt das Risiko, durch konfliktbedingte Gewaltanwendung Schaden an Leib und Leben zu erleiden, im Promillebereich“. Der entscheidende Satz: „Ihr Asylantrag wird abgelehnt.“

 

Mohammad Asadi und seine Frau Samira verstehen die Welt nicht mehr. Für sie ist es schon der zweite Ablehnungsbescheid, nachdem sie die erste Anhörung verpasst hatten, weil die Einladung an eine alte Adresse geschickt wurde. Der 35-Jährige schüttelt den Kopf, wenn er an den Termin in einer Außenstelle des Bundesamtes in Karlsruhe im Februar zurückdenkt. „Es geht um einen Satz!“, sagt er mit Blick auf die Begründung. Damals habe er nämlich erzählt, dass er mit seiner Familie vor den Taliban zu einer Moschee geflüchtet sei, und seine Frau habe gesagt, sie hätten sich im Wald versteckt. „Aber beides ist richtig“, sagt sie. „Denn die Moschee lag in einem Wald.“ Die Behörde sieht es anders. Jetzt soll die Familie abgeschoben werden.

Die Familie hat sich in Leonberg eine neue Existenz aufgebaut

Für die Asadis wäre das eine Katastrophe. Denn seit ihrer Ankunft vor drei Jahren hat sich die Familie in Leonberg eine neue Existenz aufgebaut. Das Paar ist sozialisiert, unterhält regelmäßige Kontakte und spricht gut Deutsch. Ein Leben, das fernab von Krieg und Terror lebenswert ist – gerade für die 26-Jährige. „Hier habe ich als Frau die Chance, auf eigenen Füßen zu stehen“, sagt sie. Oder mit ihnen kräftig in die Pedale zu treten. Denn klar: ein Fahrrad hat sie auch, was für Frauen am Hindukusch ein absolutes No-Go ist. Nach mehreren Praktika im Bürgerzentrum, Kindergarten und Seniorenheim besucht sie derzeit die Deutsche Angestellten-Akademie in Böblingen und macht parallel dazu ihren Hauptschulabschluss.

„Wenn alles gut läuft, darf ich eine Ausbildung bei der AOK machen“, sagt die Frau, die ehrenamtlich im Seehaus arbeitet, wo sie in der Traumaberatung Farsi sprechende Flüchtlinge übersetzt. Ihr Mann besucht derweil als Gasthörer einen Integrationskurs, hat er doch als afghanischer Flüchtling keine reguläre Berechtigung dazu und liebäugelt mit einem Job als Klimaanlagentechniker. Damit hat er sein Geld in Afghanistan verdient. Aus seiner Heimat rührt auch die sportliche Leidenschaft her. Der dreimalige afghanische Karate-Meister mit Schwarzgurt ist beim TSV Eltingen aktiv, wo er auch die Nachwuchs-Karateka unterrichtet – die Abteilung hat übrigens eine Unterschriftenaktion ins Leben gerufen, um sich für einen Verbleib der Familie stark zu machen. Dort schwärmen sie von seiner „freundlichen“ Art als Mensch und „vorbildlichen“ Sportler.

Die beiden Töchter fühlen sich als Deutsche

Die beiden Mädchen glaubten ganz fest, dass sie Deutsche seien, erzählen die Eltern. Die zehnjährige Zahra ist in der vierten Klasse der Mörikeschule und Maryam, 6, kommt im September in die Schule. „Die Große spricht Hochdeutsch, die Kleine Schwäbisch“, erzählt die Mama lachend. Da darf es am Essenstisch schon mal „bissle“ mehr sein, bevor es am Ende ein erleichtertes „sodele!“ gibt.

Die Familie lebte vor ihrer Flucht in einem kleinen Ort in der Provinz Wardak, die an Kabul grenzt und eine Hochburg der Taliban ist. Der 35-Jährige arbeitete als Klimatechniker für eine US-amerikanische Baufirma in der Hauptstadt und war für sie auch als Chauffeur tätig. Eines Tages ließ er nach Feierabend die Zugangskarte an der Windschutzscheibe seines roten Toyotas kleben – ein folgenreicher Fehler. „Eine Nachbarin erzählte den Taliban, dass ich für die Amerikaner arbeite“, berichtet er. Von da an war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die islamistische Miliz die Familie vorknöpfte.

Eine Rückkehr wäre für die Familie ein Albtraum

„Dass Menschen getötet werden, ist in Afghanistan ganz normal“, sagt die 26-Jährige. Sie kratzten ihre Ersparnisse zusammen, borgten sich Geld von der Familie und packten die Koffer – mehr als 24 000 Euro sollten sie am Ende in die Odyssee stecken. Zunächst ging es in den Iran, wo sie ein Jahr blieben. Als Schiiten hofften sie darauf, in dem ebenfalls schiitischen Land mit offenen Armen empfangen zu werden, doch sie waren Menschen zweiter Klasse. Ein besseres Leben versprach die Regierung denjenigen, die nach Syrien gehen, um das befreundete Assad-Regime im Kampf zu unterstützen. Das kam für den Familienvater aber nicht in Frage.

Dann brachen sie gen Europa auf. Nach einem Gefängnisaufenthalt in der Türkei und mehreren missglückten Versuchen, mit dem Boot das Mittelmeer zu überqueren, kamen sie auf der griechischen Insel Lesbos an. Dann trennten sie sich. Weil das Geld nicht reichte, machte sich die 26-Jährige mit den beiden Mädchen alleine auf den Weg über Italien nach München. Erst neun Monate später war die Familie wieder vollzählig. Das Ziel hieß übrigens von Anfang an Deutschland. „Meine Schwester und mein Bruder leben schon seit vielen Jahren in Bayern“, erklärt die 26-Jährige.

Die Asadis werden beim Verwaltungsgericht klagen

Eine Rückkehr in ihre Heimat können sich die beiden nicht vorstellen. „In Afghanistan gibt es seit 30 Jahren Krieg“, sagt der Familienvater und meint: „Mit den Taliban und dem IS ist es jetzt vielleicht noch schlimmer als früher.“

Noch ist das letzte Wort nicht gefallen. Der Anwalt der Asadis, deren Aufenthaltsgenehmigung noch bis Ende Oktober gültig ist, hat gegen den Ablehnungsbescheid Einspruch eingelegt. „Wir werden beim Verwaltungsgericht klagen“, kündigt der 35-Jährige an. Und seine Frau hofft, dass mit einer Zusage für den Ausbildungsplatz die Chancen für einen Weiterverbleib steigen. Wie es weiter geht, darüber ist sich die Familie aber im Klaren, ist mehr denn ungewiss.