Der Landkreis belegt erstmals eine Sporthalle mit Flüchtlingen, am Mittwoch kamen die 120 Männer in der Carl-Schaefer-Schule in Ludwigsburg an. Für die meisten war es die letzte Etappe einer schrecklichen Reise.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Selten war es so kompliziert, vom Landratsamt eine Fotogenehmigung zu bekommen: Ratlos stehen die Fotografen mehrerer Zeitungen am Mittwochmittag vor der Carl-Schaefer-Schule (CSS) in Ludwigsburg, während immer mehr Flüchtlinge in die Schulsporthalle strömen, die auf unbestimmte Zeit ihr neues Zuhause sein wird. Ob man in dem zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Gebäude fotografieren darf? „Nein, Anweisung von oben, geht nicht“, erzählt eine Mitarbeiterin des Amts. Etwas später folgt die Ansage, dass es vielleicht doch gehe. Wieder später erklärt die Pressestelle: „Nein.“ Um sich dann am Nachmittag zu revidieren: „Doch, in Ordnung.“

 

So viel Unentschlossenheit ist ungewöhnlich, zumal in der Halle wenig Spektakuläres zu sehen ist. Der Boden ist mit Holzplatten abgedeckt, mit Bauzäunen und weißen Planen wurden darauf 15 Boxen für je acht Flüchtlinge angelegt. In jeder Box: ein Bett, ein Stuhl und ein Schrank pro Bewohner, außerdem zwei Tische und zwei Gemeinschaftskühlschränke. „Der Einzug verläuft reibungslos“, erzählt ein Mitarbeiter des Landratsamts. „So schlecht ist das hier ja nicht.“ Er habe schon schlimmere Unterkünfte gesehen.

Alle Unterbringungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft

Dass sich das Amt so lange gegen Fotos sperrt, ist wohl nicht dem kargen Interieur geschuldet. Es ist das erste Mal, dass im Kreis Ludwigsburg eine Sporthalle geschlossen und als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. Ende September hatte der Landrat Rainer Haas diesen Schritt angekündigt und erklärt: man sei sich bewusst, dass sich dies unmittelbar auf die Bevölkerung auswirke, die nun diese Halle nicht mehr nutzen könne. „Deshalb haben wir versucht, dies zu verhindern oder so lange wie möglich hinauszuzögern.“ Aber angesichts der stetig steigenden Zahlen sei nun der Zeitpunkt gekommen, an dem „es nicht mehr anders geht“.

Denn alle anderen Unterbringungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft. Ein Helfer vor Ort kommentiert die Situation am Mittwoch nüchtern: „Das ist vielleicht jetzt die erste Sporthalle, aber sicher nicht die letzte, die für Flüchtlinge gebraucht wird. Aber in Anbetracht des Leids, das diese Männer hinter sich haben, ist das wohl kein großes Opfer.“

Die Flucht war hart, jetzt wächst die Hoffnung

Ibrahim Bilal ist einer dieser Männer. Am Mittwochmittag wurde er mit dem Bus aus der Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten nach Ludwigsburg gebracht – es war die letzte und sicher einfachste Etappe einer schrecklichen Reise. Ibrahim Bilal ist Syrer, hat Architektur studiert und gesehen, wie sein Land in Terror versinkt. Vor zwei Monaten ist er aufgebrochen, erst zu Fuß, von der Türkei aus weiter mit dem Boot. „Es war winzig und überladen, beim ersten Mal ist es gekentert, weshalb wir sofort umkehren mussten“, erzählt er auf Englisch.

Beim zweiten Versuch schafft er es nach Griechenland, von dort in die Berge, noch mal übers Meer, weiter nach Serbien, schließlich Ungarn und endlich Deutschland. „Es war hart“, sagt der 25-Jährige. „Aber in Syrien sterben jeden Tag Menschen, Kinder, jeder führt Krieg gegen jeden – ich wollte in ein sicheres Land.“ Er hoffe, dass nun alles besser werde. Dass er in Deutschland vielleicht sein Studium abschließen kann. Sollte es Frieden in Syrien geben, werde er zurückkehren. „Aber ich glaube leider nicht daran.“

Viele der 120 Flüchtlinge, die am Mittwoch in Ludwigsburg ankommen, haben Ähnliches erlebt. In der Sporthalle werden nur Männer untergebracht, aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund. Tagsüber wird ein Sozialarbeiter dort sein, hinzu kommen zwei Sicherheitsleute, gegessen wird in der Mensa nebenan. „Bei so vielen Menschen in einem großen Raum wird es sicher ziemlich laut“, sagt der Hausmeister. „Die werden zum Schlafen Ohrstöpsel brauchen.“

Proteste gibt es bislang nicht

In anderen Kommunen, auch im Kreis Ludwigsburg, wurde zuletzt heftig über potenzielle oder bereits realisierte Flüchtlingsunterkünfte gestritten. In diesem Fall gab es offenbar weder Protest noch Beschwerden. Die Schüler weichen für den Sportunterricht nun in eine andere Halle aus. Die Diskussion bei einer Infoveranstaltung in der Aula der Carl-Schaefer-Schule verlief sachlich, viele Teilnehmer boten ihre Hilfe an, vereinzelt wurden auch Ängste geäußert. Der Ludwigsburger Bürgermeister Konrad Seigfried erklärte bei dieser Gelegenheit, dass es demnächst einen Tag der offenen Tür in der CSS geben werde. „Das wichtigste Element für Integration ist der unmittelbare Kontakt.“

Auch Seigfried betonte, dass die Unterbringung in Hallen nur eine Notlösung sein könne – vor allem aus ethischen Gründen. Denn diese Form des Zusammenlebens „tue den Menschen nicht gut“. Sein Zuhause in Syrien sei schöner gewesen als diese Sporthalle, erzählt am Mittwoch ein junger Flüchtling. Aber das sei für ihn nicht entscheidend. Er habe gehört, dass Deutschland ein friedliches Land sei. „Alles ist besser als Krieg.“

Minderjährige Flüchtlinge kommen nicht in Hallen

Junge Flüchtlinge unter 18 Jahren, die ohne Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland kommen, müssen vom Jugendamt in Obhut genommen werden. So schreibt es das Gesetz vor. Auch im Kreis Ludwigsburg sind „unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge“, wie es in Behördensprache heißt, untergekommen. Im Jugendhilfeausschuss des Kreistags informierte Roland Stäb, der Fachbereichsleiter der Jugendhilfe im Landratsamt, die Kreisräte am Mittwoch über diese Situation.

Dieses Jahr wurden dem Kreis bis Anfang September 46 unbegleitete junge Flüchtlinge zugewiesen. Der größte Teil von ihnen, meist junge Männer zwischen 16 und 17 Jahren, kommt aus Syrien und Afghanistan. Zum Vergleich: im vorigen Jahr musste der Kreis lediglich neun unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreuen. Bis Jahresende rechnet man bei der Jugendhilfe mit weiteren 30 bis 40 Zuweisungen. „Wir gehen davon aus, dass der Zustrom auch im nächsten Jahr anhält“, sagte Stäb im Jugendhilfeausschuss.

Er führte aus, dass sich vor allem die Unterbringung der minderjährigen Flüchtlinge schwierig gestalte. In Erstaufnahmeeinrichtungen für erwachsene Flüchtlinge dürfen sie nicht leben, weil sie als besonders schutzbedürftige Personen gelten. Bisher seien sie überwiegend in Wohngruppen der freien Jugendhilfeträger untergekommen, aber diese Möglichkeiten seien nun erschöpft.

Nun würden die jungen Flüchtlinge in der sogenannten Inobhutnahmegruppe der Karlshöhe in Ludwigsburg unterkommen. Dort soll die Wohnkapazität bis Ende des Jahres von aktuell zwölf auf 24 Plätze erhöht werden. Das Jugendamt miete jedoch auch Wohnungen von Privatpersonen an, suche nach Plätzen in Wohnheimen und Internaten und führe Gespräche mit Jugendherbergen. „Wir benötigen dringend mehr Plätze“, sagte Stäb. Auch Angebote von Gast- oder Pflegefamilien seien willkommen.

Er wies auch darauf hin, dass das Personal des Jugendamts an seine Grenzen stoße. „Wir arbeiten permanent an unserem Limit“, sagte Stäb. Die Kreisräte unterstützten seine Bitte nach mehr Personal für eine qualifizierte Beratung und Betreuung der minderjährigen Flüchtlinge. Das relativierte der Landrat Rainer Haas jedoch: „Es wird im Lauf der Zeit nicht einfacher, qualifizierte Kräfte zu finden.“ Nicht geeignete Kräfte einzustellen, sei dagegen „kontraproduktiv“.