In den frühen Morgenstungen hat die Bundespolizei am Freitag in einem Zug 58 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufgegriffen. Im ehemaligen Postamt im Hauptbahnhof haben die Flüchtlinge eine erste Pause einlegen können.

Stuttgart - Das kleine Mädchen liegt völlig erschöpft auf einer spärlichen Matratze im ehemaligen Postamt im Hauptbahnhof. Arme und Beine hat es von sich weggestreckt, sie schläft mit offenem Mund. Bequem ist anders. Und doch ist dieses Matratzenlager in dem kahlen und wenig einladendem Raum das wohl gemütlichste, was dem Kleinkind in den vergangenen Wochen widerfahren ist. Das Mädchen gehört zu einer Gruppe von 58 Flüchtlingen, die die Bundespolizei in der Nacht zu Freitag in einem ICE „festgestellt haben“, wie es im Beamtendeutsch heißt. Keine Papiere, kein Gepäck, keine Angst. Nicht mehr.

 

Sie sind aus Syrien geflüchtet, vor mehr als einem Monat, erzählt der Vater des kleinen Mädchens in gebrochenem Englisch. „Istanbul. Arabia. Lybia. Sea. Italia. Here“, beschreibt er seinen Weg. Die Streckendarstellung kann so nicht stimmen. Ob das nun an seinen rudimentären Englischkenntnissen liegt oder daran, dass er mit seiner Familie seit mindestens vier Wochen auf verworrenen Wegen durch Teile Afrikas, Asiens und Europas unterwegs ist – ihm ist das egal. Sie sind da. Sie sind angekommen. Sie sind „happy“ hier zu sein, sagen sie. Auch wenn sie eigentlich nach Schweden wollten. Aber Deutschland sei auch toll, erklären sie und sehen dabei fast ein bisschen glücklich aus, in diesem kalten, grauen Raum im Hauptbahnhof. „Paradise“, sagt eine junge Frau und lächelt .

Ernüchterung folgt auf Dankbarkeit

„Anfangs sind sie sehr dankbar. Dann folgt schnell die Ernüchterung“, sagt Doris Trabelis. Die Fachdienstleiterin des Migrationsdienstes bei der Caritas hat am Morgen zufällig von der Ankunft der Flüchtlinge gehört. Sie kann nur erahnen, was die Menschen erlebt haben müssen auf ihrem Weg nach Deutschland. „Wahrscheinlich haben sie Schlepper hierher gebracht“, vermutet Trabelis. Wie viel pro Person verlangt wird, kann sie nur schwer schätzen. Zwischen 5000 und 25 000 Dollar, habe sie mal gehört, sagt sie. „Je schlimmer die Lage vor Ort ist, desto mehr verlangen die Schlepper.“

Auch der Sprecher der Bundespolizei in Stuttgart, Jonas Große, geht davon aus, dass eine Schleusergruppe die Flüchtlinge nach Deutschland gebracht hat. Die Zahlen der Flüchtlinge, die „unerlaubt eingereist“ sind, wie Große sagt, sind in den vergangenen Monaten dramatisch angestiegen. Allein im Juli waren es knapp 150 Flüchtlinge, die zwischen Tübingen, Heilbronn, Stuttgart und Ulm aufgegriffen wurden. Zum Vergleich: gerade mal zwölf waren es zwischen Januar und Juni im vergangenen Jahr. Allerdings sagt Große auch: „Wir haben unser Personal verstärkt. Damit soll die Kontrolldichte und somit der Fahndungsdruck erhöht werden.“ Wie viele Polizisten mehr im Einsatz sind oder wie viele Züge zusätzlich kontrolliert werden, das sagt Große nicht. „Aus ermittlungstechnischen Gründen“, wie er erklärt.

Brezeln und Wasser für die Flüchtlinge

Hinter diesem Amtsdeutsch, das scheinbar so überhaupt keinen Spielraum für Emotionen zulässt, verbergen sich junge Polizisten, die sich mit den Flüchtlingen mit Händen und Füßen unterhalten, Späße machen und ihnen schon mal die schwäbische Kultur näher bringen: Die Feuerwehr hat zwei große Körbe Brezeln vorbeigebracht, Wasserkisten stapeln sich zwischen den Bierbänken und -tischen. Ein Flüchtling macht Lenkbewegungen in der Luft. Er ist Ingenieur, erklärt er den sichtlich beeindruckten Polizisten. Dann kommt die Dolmetscherin. „Wir müssen Sie jetzt vernehmen und Ihre Daten aufnehmen“, erklärt der junge Polizist dem Familienoberhaupt.

Dass Bundespolizisten Züge kontrollieren und die Insassen überprüfen, ist übrigens Routine – genauso wie das weitere Verfahren, das die Flüchtlinge nun durchlaufen. Noch am Freitag sind sie weiter nach Karlsruhe gefahren. Dort wird die Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge die weiteren Schritte einleiten und entscheiden, welcher Ort die neue Heimat werden wird. Ob ihnen bewusst ist, welch bürokratischer Marathon nun vor ihnen liegt, ist unklar. Wahrscheinlich aber ist das den Gestrandeten egal. Sie fühlen sich schließlich im Paradies.