Wegen einer Gesetzeslücke erhält eine beträchtliche Gruppe von Flüchtlingen kein Geld mehr zum Lebensunterhalt, wenn sie eine Ausbildung beginnen. Die Stadt Stuttgart wird diese deshalb per Härtefallregelung bis zum Jahresende unterstützen.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Es ist ein Betrieb, wie man ihn sich als Schreinerlehrling nur wünschen kann. Hinter dem Schreibtisch des Chefs hängt eine Fotografie in Großplakatformat, Werner Sobeks Forschungshaus E-Lab am Killesberg. Das Aktivhaus produziert weit mehr Energie als es selbst verbraucht. Dafür haben Mitarbeiter von Thomas Hasselwander die Innenausstattung gefertigt, eine hochwertige Holzvertäfelung, Möbel, Theken. Schreinerhandwerk vom Feinsten.

 

Hier hat Hamid Zafar eine Ausbildungsstelle gefunden, er weiß das zu schätzen. „Ich habe einen guten Platz“, sagt der 21 Jahre alte Flüchtling aus Afghanistan. Im September 2015 ist er über den Iran nach Deutschland gekommen. Bei der Volkshochschule hat er Deutsch gelernt. Vermittelt durch die Handwerkskammer (HWK) hat Hamid Zafar dann eine Einstiegsqualifizierung (EQ) in der Firma Hasselwander gemacht. Schnell waren beide Seiten voneinander angetan. Kristin Hasselwander lobt die Offenheit des Azubis, ihr Mann Thomas ist sich sicher: „Bei ihm wissen wir: das funktioniert.“

Antrags auf Berufsausbildungsbeihilfe abgelehnt

17 Beschäftigte hat die Firma mit Stammsitz im Stuttgarter Bohnenviertel, darunter sechs Auszubildende, der Produktionsbetrieb ist in Waiblingen. „Dort sind viele junge Leute“, sagt Thomas Hasselwander. „Das macht die Sache einfach.“ Doch so einfach ist es eben doch nicht. Noch bevor das erste Lehrjahr Anfang September begann, der Vorvertrag mit der Firma Hasselwander war unterschrieben, bekam Hamid Zafar Post von der Arbeitsagentur – die Ablehnung seines Antrags auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB). Die Begründung: Weil der Azubi im ersten von drei Lehrjahren an der Gewerbeschule in Waiblingen ein – bei Schreinern übliches – Berufsgrundausbildungsjahr (BGA) absolviere, er also nur alle zwei Wochen einen Tag in seinem Lehrbetrieb sei, handle es sich um eine schulische Ausbildung, ein BAB-Anspruch bestehe nicht.

Anders als zuvor auch während seines Praktikums bekam Hamid Zafar nun kein Geld mehr. Damit war dem Flüchtling die Existenzgrundlage entzogen. Weil sein Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, er weder anerkannt noch – im Falle einer Ablehnung – geduldet ist, hat der 21-Jährige nur eine „Aufenthaltsgestattung“. Damit ist ihm der zweite mögliche Weg einer Förderung, das Bafög, verwehrt. Der Schock bei den Beteiligten war groß. Hätten die Hasselwanders ihrem Azubi nicht finanziell unter die Arme gegriffen, er hätte seine Lehre abbrechen müssen. „Das Absurde ist: Wenn er die Ausbildung abbricht, bekommt er wieder Geld“, sagt Julia Behne von der Stabsstelle Politik der Handwerkskammer.

Hamid Zafar, der in einem Stuttgarter Flüchtlingsheim lebt, ist kein Einzelfall. „Das habe ich immer wieder“, sagt Erhan Atici, Willkommenslotse und Flüchtlingsberater für Betriebe bei der HWK. Dabei habe der 21-Jährige alles richtig gemacht. „Aber die Berufsfachschule ist ein Riesenproblem“, erklärt Atici. Viele der Betroffenen brechen ihre Ausbildung deshalb ab.

Viele Betroffene brechen die Ausbildung ab

Das will man bei der Stadt Stuttgart vermeiden. Insgesamt 61 Fälle von Flüchtlingen zählt man dort inzwischen, die in gleicher oder ähnlicher Lage sind wie Hamid Zafar. Darunter sind etliche Azubis der Altenpflege, von Gastronomie und Hotellerie, aber auch angehende Elektroniker, Maler, Fliesenleger, Stuckateure und Lackierer. „Das trifft gerade die jungen Leute, die wir wollen“, sagt Werner Wölfle (Grüne). Im ersten Schritt hat der Sozialbürgermeister deshalb erwirkt, dass die Stadt die betroffenen Flüchtlinge per Härtefallregelung bis Ende des Jahres finanziell unterstützt. Wölfle: „Wir wollen verhindern, dass unsere Bemühungen bei der Integration durch eine Gesetzes-Formalität konterkariert werden.“

Das Land setzt sich für Änderung ein

Wie die Handwerkskammer setzt auch Werner Wölfle sich intensiv für eine baldige politische Lösung auf Bundesebene ein. „Das ist eine Gesetzeslücke“, sagt Julia Behne von der HWK. Stuttgarts Sozialbürgermeister hat sich deshalb an seinen Parteifreund Manne Lucha, den Sozialminister des Landes, gewandt und diesen gebeten, in Berlin die „Brisanz der Lage“ deutlich zu machen und „auf Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz für Auszubildende“ zu drängen. Lucha hat in einem Schreiben an Wölfle die „Förderlücke“ bestätigt. Die Länder hätten den Bund bereits aufgefordert, diese bald zu schließen, bisher ohne Erfolg. Der Landessozialminister geht aber davon aus, „dass sich die neue Bundesregierung dieses Themas annehmen wird“.

Das hofft man auch im hiesigen Handwerk. Bis Jahresende sei nicht mehr viel Zeit, gibt Thomas Hasselwander zu bedenken. Und Hamid Zafar betont: „Ohne eine gute Ausbildung habe ich keine Zukunft.“