Als Anfang der 1990er Jahre die Flüchtlinge aus dem Bürgerkrieg in Jugoslawien nach Stuttgart kamen, begann Susanne Bischoffs wunderbare Ehrenamtskarriere. Jüngst wurde die 79-Jährige mit der Ehrenmünze der Stadt Stuttgart geehrt.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Eines Tages waren die Fenster im Souterrain ihres Hauses in der Vogelsangstraße vernagelt. Was das zu bedeuten habe, erkundigte sich Susanne Bischoff bei der Vermieterin. Ach, sie wisse es noch nicht? Im alten Straßenbahn-Depot um die Ecke habe man jetzt Flüchtlinge aus Jugoslawien untergebracht. Da müsse man sich doch schützen.

 

Bei Susanne Bischoff krampfte sich alles zusammen. Es war 1991, täglich konnte man im Fernsehen die Bilder vom Bürgerkrieg sehen. Sie ist Jahrgang 1935, hat selbst als Kind in Stuttgart erlebt, wie der Krieg ist. „Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, zum Depot zu gehen und nach den Leuten zu sehen.“ Das war der Beginn einer bemerkenswerten Ehrenamtskarriere, für die Susanne Bischoff jüngst im Bezirksbeirat West mit der Ehrenmünze der Stadt Stuttgart geehrt wurde.

Schlimme Unterkünfte

Das Straßenbahn-Depot war damals für eine Million Mark zum Flüchtlingsquartier umgebaut worden, bis zu 200 Menschen aus Jugoslawien waren hier untergebracht. „Es war eine der schlimmsten Unterkünfte, die ich gesehen habe“, sagt Bischoff. Vorhänge trennten die einzelnen Kojen voneinander, in denen bis zu acht Leute wohnten. Mit einer Freundin eröffnete Bischoff einen Café-Betrieb. „Wir haben Kuchen gebacken, Kaffee gemacht, selbst die Kaffeemaschine noch mitgebracht.“

Die gedeckten Tische sollten Normalität in die Tristesse der Unterkunft bringen, die Gespräche etwas Trost und Geborgenheit spenden. „Die Leute redeten manchmal in ihrer Landessprache auf mich ein. Sie wollten einfach erzählen, was mit ihnen passiert ist. Natürlich habe ich kein Wort verstanden. Aber man hört am Tonfall, wie es jemandem geht. Ich habe immer auf Deutsch geantwortet.“ Die Sprache war der Schlüssel – hier wollte Susanne Bischoff ansetzen. Bald begann die Buchhändlerin und Nachhilfelehrerin, bei den Asylbewerbern Deutsch zu unterrichten. Bischoff hatte beschlossen, die Fremden, woher auch immer sie stammten, nicht im Stich zu lassen.

Ihr Café zog unterdessen in die nächsten Unterkünfte in der Siemens- und der Leitzstraße mit um. Die Qualität der Quartiere verbesserte sich nur unwesentlich, sagt Bischoff im Rückblick. Sie hat noch den Geruch von der alten Fabrik in der Leitzstraße in der Nase, wo bis zu 450 Menschen lebten: „Das war eine riesige Halle, in die man Container zum Wohnen hineingestapelt hatte. In der Mitte waren die Sanitäranlagen und Küchen. Es roch nach Essen, Duschwasser und Straße. Ganz fürchterlich.“

Normalität herbeigesehnt

Und doch habe sie in dieser Ärmlichkeit die herzlichste Gastfreundschaft erfahren, erzählt Bischof. Sie wurde geherzt, gedrückt, bekocht und immer wurde der kostbare Fernseher für sie angeschaltet, wenn sie kam: „Die Leute haben versucht, ihre Container gemütlich zu machen, manche haben ihn ihr ‚Häuschen’ genannt. Sie haben sich so sehr in die Normalität gewünscht.“

Von den Begegnungen habe sie profitiert – emotional und intellektuell. Anerkennung von Außenstehenden gab es für das Engagement zunächst nicht: „Im Gegenteil, irgendwie musste man sich immer rechtfertigen, dass man Asylarbeit macht.“ Einmal fragte sie einer, warum sie sich nicht um deutsche Obdachlose kümmere, davon gebe es ja wohl genug. „Ich habe ihm gesagt: Ist doch prima, dann kümmern Sie sich künftig um die Obdachlosen und ich mich um die Flüchtlinge.“ Bischoff verdammt niemanden für seine feindselige Haltung: „Das ist die Angst vor dem Fremden. Das ist menschlich.“

Inzwischen habe der Wind gedreht, sagt Susanne Bischoff. „Nicht bloß die Kirchen rufen jetzt dazu auf, Freundeskreise zu gründen, sondern alle Bezirksbeiräte in der Stadt. Hier im Westen haben sich daraufhin neulich 100 Freiwillige gemeldet. Ich weiß zwar nicht, wie viele davon am Schluss dabei bleiben. Aber es freut mich.“ Für Bischoff bedeutet das auch Entlastung. Im nächsten Jahr wird sie 80 Jahre alt, dann möchte sie die Asylarbeit – in den vergangenen Jahre war dies hauptsächlich Gremienarbeit – einstellen. „Jetzt können jüngere Leute kommen und ihre Ideen einbringen“, findet die Seniorin. Immerhin habe sie sieben Enkel, um die sie sich mal kümmern will.