An der Hohensteinschule in Zuffenhausen kommen täglich neue Kinder an – ohne ein Wort deutsch. Aber viele lernen rasch und gehen gern zur Schule. Doch es gibt auch Krisensituationen.

Stuttgart - In fließendem Deutsch trägt der 15-jährige Mahmoud das Herbstgedicht von Heinz Erhard vor. Vor einem Jahr hätte der Syrer es weder lesen, schreiben oder gar aussprechen können. „Er musste jeden Buchstaben erst mal lernen“, sagt seine Lehrerin Magda Stegmeier. Dazu kommt, dass hierzulande nicht wie im arabischen Raum von rechts nach links geschrieben wird. Doch in den internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) an der Hohensteinschule in Zuffenhausen machen viele Kinder schnelle Fortschritte.

 

„Wir haben jeden Tag neue Anmeldungen, berichtet die stellvertretende Schulleiterin Sylvana Charrad. Die Flüchtlingsunterkunft rufe an, und jeden Mittag muss eine Lehrerin da sein, um mit den Familien die Aufnahmegespräche zu führen. Meist werde ein Dolmetscher dazu geholt. Die Familien kommen aus Syrien und dem Irak, aber auch aus dem Kosovo, Bulgarien und Rumänien. Mittlerweile gibt es an der Hohensteinschule vier internationale Vorbereitungsklassen, je zwei für die Grundschüler und für die Sekundarstufe eins. Das bedeutet, dass sieben- bis elfjährige und elf- bis 15-jährige Kinder gemeinsam lernen. Jedenfalls mehr oder weniger.

Mahmoud will bald aufs Gymnasium wechseln

So geht Alex aus Rumänien, der erst den zweiten Tag da ist und kein Deutsch kann, in dieselbe Klasse wie Mahmoud, der sich in Deutsch, Mathe und Englisch durch den Stoff der zehnten Klasse kämpft und nebenher noch Französisch büffelt, weil er aufs Gymnasium will. „Wenn er so weiter lernt, ist er nach Weihnachten so weit“, sagt Stegmeier. Sie traue ihm zu, dass er dann die Aufnahmeprüfung schafft.

Mahmoud sitzt mit seinem Bruder Bashir (14) und seiner Schwester Mariam (elf) an einem Tisch. Ob sie gern in die Schule gehen? „Ja – natürlich!“ Was für eine Frage. Aber sie vermissen auch ihre syrische Heimat – natürlich. „Wir sind mit dem Schiff gekommen, es war sehr gefährlich“, sagt Mahmoud. „Aber dort kann man nicht mehr leben.“ Auch die Schwestern Naghan (13) und Raghad (14) sitzen mit am Tisch. „Wir wohnen auch zusammen im Wohnheim“, sagt Mahmoud.

Die Schüler bestimmen ihr Lerntempo selbst

Wann die Schüler so weit sind, dass sie in reguläre Klassen wechseln können, hänge auch von ihnen selbst ab, berichtet Stegmeier. Wie Mahmoud nimmt auch Amir am Regelunterricht der zehnten Klasse in Mathe, Deutsch und Englisch teil. Da Amir aus Mazedonien stammt und drei Jahre in Italien aufgewachsen ist, müssten sich die beiden eben auf Deutsch verständigen. In der Vorbereitungsklasse bereite man den Stoff mit ihnen dann nach. Doch da es an der Hohensteinschule keine Werkrealschulklassen in den Stufen fünf bis sieben mehr gibt, müssen die IVK-ler beim Wechsel in eine Regelklasse auch die Schule wechseln. Welche in Frage kommt, müssen die Lehrer klären. Kein einfaches Geschäft.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, steht auf Wortkärtchen an der Wand. Auch die Grundrechte gehören zum Unterricht. Als besonders erfolgreich habe sich aber erwiesen, Steigerungsformen und Vokabeln über das Kochen zu vermitteln, so Stegmeier. Gut, besser oder am besten? Das durften die Schüler bei jedem der selbst gekochten Gerichte selbst entscheiden. Die reichten vom englischen Frühstück, das sich ein in Irland aufgewachsener Rumäne gewünscht habe, über Flammkuchen und Arme Ritter bis Sigara Börek – gefüllte Teigröllchen. „Die ganze Schule riecht, und unsere Schüler gehen entspannt raus“, sagt Stegmeier. „Aber dieses Jahr kochen wir nicht, weil wir kein Geld dafür haben und keine Lehrerstunden.“ Dabei konnten sich die Schüler, die die Rezepte anhand des Foto-Ordners nachgekocht haben, daheim höchste Anerkennung verschaffen.

Auf Krisensituationen sind die Lehrer vorbereitet

Besonders für traumatisierte Kinder seien Erfolgserlebnisse wichtig, berichtet Dorothea Preuhs, die die jüngeren Schüler unterrichtet. „Die Kinder kommen unwahrscheinlich gern in die Schule. Wir singen viel. Und wir schauen, dass wir den Kindern durch Rituale einen festen Rahmen bieten.“ Auch auf Krisensituationen sei sie in Fortbildungen vorbereitet worden. „Falls mal ein Flashback kommt, hab ich Düfte dabei – Lavendel und Kiefernöl –, um die Kinder zurückzuholen“, sagt Preuhs. „Trauma und Belastung scheinen bei den Kindern immer durch.“ Selbst gemalte Stärketiere helfen. Das könne ein Wolf sein, oder auch ein Pfau, je nachdem, was das Kind damit verbinde.

Einmal in der Woche kümmert sich die Musikpädagogin Patrizia Birkenberg von der Musikschule um die IVK-Kinder. Als sie mit der angeschlagenen Stimmgabel auf Tafel, Stuhl und Fenster Töne erzeugt, sind die Kinder mucksmäuschenstill. Anschließend darf jedes seine Körperteile erkunden: rhythmisch, aber auch sprachlich. Das macht den Kindern sichtlich Spaß. Und ganz nebenbei lernen sie Deutsch.