Derzeit leben in dem ehemaligen Hostel Forststraße 60 Flüchtlinge, bald kommen noch einmal so viele hinzu. Die ehrenamtlicghen Unterstützer vom Freundeskreis könnten Verstärkung gebrauchen.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Die Kinder sind jetzt vom Hof verschwunden. Es ist kalt geworden. Das ehemalige Hostel in der Forstraße 71 wirkt verlassen. „Uns haben schon Nachbarn angerufen, ob die Flüchtlinge denn nicht mehr da seien“, sagt Marina Silverii vom Freundeskreis West. Alle Fenster sind verrammelt. Für ein Haus, in dem zahlreiche Familien auf engstem Raum leben, ist es eigentümlich still. Seit Ende Januar bewohnen Flüchtlinge das erste Obergeschoss des Flachdachgebäudes. Selbst, wenn man innen die Stiegen hinaufgeht, hört man nichts.

 

Mit der Ruhe ist es rasch vorbei, als Silverii klingelt. Immer mehr Leute kommen aus ihren Zimmern und gesellen sich zu der kleinen Runde, die jetzt in der Küche steht und in einem Mix aus Deutsch, Italienisch- und Englisch plaudert. Eine Mutter trägt ihren Kleinen auf dem Rücken. Der Bub war das erste Neugeborene in der Unterkunft Forststraße 71. Die Mutter dreier Kinder stammt aus Nigeria und „hat eine regelrechte Odyssee hinter sich“, sagt Silverii. „Einige Jahre hat sie auch in Italien gelebt, was mir entgegenkommt, weil ich mit ihr auf Italienisch reden kann.“ Die Frau trägt bloß ein Trägertop und Flipflops. Ob ihr nicht kalt sei, will Silverii wissen. „Ich habe keine Wintersachen.“ Kleiderspenden gab es zwar hinreichend, sagt Silverii, „aber wir haben in der Unterkunft keinen Platz dafür. Sie wurden ausgelagert.“ Die Frau muss sich die warmen Sachen im Außenlager besorgen.

Weitere Helfer werden gebraucht

„Irgendetwas ist immer“, sagt Silverii. Die Bewohner kämen mit unterschiedlichen Sorgen und Fragen. Silverii ist selbst Mutter dreier großer Kinder und hat sich von Anbeginn beim Freundeskreis engagiert. „Mir macht es Spaß, es bereichert mein Leben.“ Demnächst werden die Ehrenamtlichen nicht mehr nur 60, sondern 120 Flüchtlinge betreuen müssen. Bis zum Jahresende sollen im Erdgeschoss weitere Menschen einquartiert werden. Silverii glaubt, dass der Freundeskreis die Mehrarbeit bewältigen kann: „Wir sind inzwischen gut eingespielt.“ Allerdings könne man noch weitere Helfer gebrauchen, die zum Beispiel eine Hausaufgabenbetreuung anbieten, die Flüchtlinge zu Behörden begleiten, Ausflüge organisieren, Freizeitangebote für die Kinder oder etwa gemeinsame Kochabende auf die Beine stellen.

Zwei kleine Jungen tollen plötzlich aus einem der Zimmer heraus. Die Eltern lehnen im Türrahmen. Die Familie stammt aus dem Kosovo. Silverii versucht, dem Vater klar zu machen, dass es in den Schulferien zwar keine Hausaufgabenbetreuung gebe, der Junge aber noch eine Menge Hausaufgaben nachzuarbeiten habe. „Sagen Sie ihm das bitte.“ Der Mann nickt. Silverii ist sich aber nicht sicher, ob er sie wirklich verstanden hat. „Es ist nicht das erste mal, dass ich mit ihm darüber gesprochen habe. Geholfen hat es bislang nicht.“

Narges von nebenan braucht solche Ermahnungen nicht. Die Neunjährige hat sich in ihrem rosafarbenen Schlafanzug in den Korridor getrollt, sie ist neugierig, was da vor dem Zimmer der Familie los ist. Narges ist das erste Flüchtlingskind, das es von der internationalen Klasse an der Schwabschule in eine normale Grundschulklasse geschafft hat. Binnen weniger Monate hat das afghanische Mädchen derart gut Deutsch gelernt, dass ihre Lehrer ihr inzwischen zutrauen, dem deutschsprachigen Unterricht folgen zu können. „Sie ist ein besonders aufgewecktes, intellektuelles Kind. Sie ist auch die erste, die eine Freundin außerhalb der Unterkunft fand“, erzählt Marina Silverii.

Die Kinder lernen schnell Deutsch

Mit dem Sprachunterricht für die Kinder ist sie generell sehr zufrieden. „Innerhalb weniger Wochen können sie sich mit einem unterhalten. Und das kriegen eigentlich alle Kinder hin.“ Dennoch schlage sich die meist schwierige Lebensgeschichte im Lerntempo nieder. „Die Phasen, in denen die Kinder gedanklich mit anderen Dingen beschäftigt sind, dauern länger und sind intensiver als bei Kindern von hier.“ Bei fast allen fehle es an Fingerfertigkeiten – etwa im Umgang mit Schere und Papier – die in Deutschland im Kindergarten und in der Grundschule beim Basteln und Malen gefördert werden.

Manches Wissen ging auch auf der Flucht verschütt: Silverii berichtet von einem Jungen, der im Irak auf dem Gymnasium immer beste Leistungen gezeigt hatte. Doch die vergangenen drei Jahre hatte die Familie in einem türkischen Flüchtlingslager gehaust. Der Junge verlernte sein Wissen, und er verlernte, zu lernen. „Er ist ehrgeizig und kämpft darum, auf sein altes Niveau zu kommen“, sagt Silverii. „Aber er ist dabei immer am Anschlag. Da blutet einem das Herz.“

Als Flüchtlingshelferin hat Silverii keine Einsicht in die Akten ihrer Schützlinge. Aber das ist auch nicht nötig. „Die Leute sind sehr offen und interessiert, und viele wollen dir ihre Geschichte einfach erzählen.“ Der Freundeskreis, zu dessen harten Kern etwa 20 engagierte Frauen und Männer jeglichen Alters gehören, biete ihr dabei starken Rückhalt: „Man trägt Belastendes nicht allein mit sich herum, sondern tauscht sich darüber aus.“ Durch die regelmäßigen Treffen sei eine gute Gemeinschaft entstanden.