Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hält das Flüchtlingsproblem für ein deutsches Problem. Bundeskanzlerin Merkel weist seine Aussagen entschieden zurück.

Brüssel - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Vorwürfe des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban wegen der deutschen Flüchtlingspolitik streng zurückgewiesen. Bei einem Besuch in der Schweiz sagte Merkel am Freitag: „Deutschland tut das, was moralisch und was rechtlich geboten ist. Und nicht mehr und nicht weniger.“

 

Orban hatte den Zustrom von Flüchtlingen als „deutsches Problem“ bezeichnet. Die Migranten wollten nicht in Ländern wie Ungarn, Polen oder Estland bleiben. „Alle würden gerne nach Deutschland gehen.“ Merkel entgegnete, dies sei ein „Problem, was uns alle in Europa angeht“.

Merkel ermahnt Ungarn

Zugleich ermahnte sie Ungarn, die Genfer Konvention einzuhalten, in der Schutz von Krieg- und Bürgerkriegsflüchtlingen geregelt ist. „Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt nicht nur in Deutschland, sondern in jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union.“

Mit Blick auf das Flüchtlingschaos im eigenen Land sage Orban, Ungarn halte sich lediglich an europäische Regeln und tue das, was die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erwarte. Es dürfe kein Flüchtling ausreisen, ohne dass er vorher registriert worden sei.

Migranten warnte der rechtsnationale Regierungschef ausdrücklich vor einer Einreise nach Ungarn. „Bitte kommen Sie nicht. Es ist riskant zu kommen. Wir können nicht garantieren, dass Sie akzeptiert werden“, sagte er. Orban verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass es menschlich und moralisch nicht richtig wäre, Menschen falsche Hoffnungen zu machen.

Zum Thema Quotenregelung entgegnete Orban, er sei bereit, darüber zu diskutieren. Priorität habe für ihn allerdings die Sicherheit im eigenen Land. „Die Menschen in Ungarn haben Angst“, sagte er. „Das liegt daran, dass die europäischen Staatsoberhäupter und Minister nicht in der Lage sind, die Situation unter Kontrolle zu bringen.“

Martin Schulz kontert Viktor Orban

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warf dem ungarischen Regierungschef vor, in der Migrationspolitik die falschen Schwerpunkte zu setzen. „Ich bin nicht der Meinung von Viktor Orban“, sagte der SPD-Politiker. Es möge zutreffen, dass nicht alle Menschen in Ungarn bleiben wollten. Ziel müsse deswegen aber eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge sein.

Schweden und Deutschland nehmen den Großteil auf

„Wenn Sie 400.000 oder 500.000 Flüchtlinge haben, die nach Europa kommen, und Sie verteilen die unter 507 Millionen Menschen, die in den 28 Mitgliedstaaten der EU leben, dann ist das kein Problem“, sagte Schulz. „507 Millionen im Verhältnis zu 500.000 ist machbar, aber wenn Sie 500.000 konzentrieren auf ganz wenige Länder, dann ist das ein Problem.“ Schulz spielte damit darauf an, dass derzeit Staaten wie Schweden oder Deutschland den Großteil aller in die EU kommenden Asylsuchenden aufnehmen.

Schulz forderte Asylsuchende auf, zu akzeptieren, dass sie sich ihr Aufnahmeland nicht aussuchen können. „Wir brauchen auch die Erkenntnis, dass es nicht so ist, dass jemand sagen kann, ich will in die Europäische Union und nur nach Deutschland. Wer den Schutz der Union will, muss auch damit leben, dass in der Union verteilt wird“, sagte er.

Donald Tusk spricht sich für Umverteilung aus

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat sich dafür ausgesprochen, deutlich mehr Flüchtlinge umzuverteilen als bislang vorgesehen. „Was wir brauchen, ist eine faire Verteilung von mindestens 100.000 Flüchtlingen unter den Mitgliedstaaten“, sagte der Pole am Donnerstag am Rande eines Treffens mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban. Solidarität sollten jetzt vor allem diejenigen Länder zeigen, die selber in der Vergangenheit Unterstützung der Gemeinschaft erfahren hätten und derzeit nicht direkt von der Flüchtlingskrise betroffen seien.

Konkrete Beispiele nannte Tusk nicht. Widerstand gegen ein verbindliches System zur Verteilung von Flüchtlingen hatte es zuletzt aber vor allem von Staaten aus Osteuropa gegeben, die bislang verhältnismäßig wenige Asylsuchende aufnehmen.

Kauder: „An Dublin-Verfahren halten“

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hat Ungarn ermahnt, sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen an europäische Vereinbarungen zu halten. „Dublin gilt“, sagte Kauder am Donnerstag in Berlin und forderte von Ungarn, sich an das Dublin-Verfahren zu halten. Danach müssen Flüchtlinge erst einmal in dem Land der EU aufgenommen werden, in dem sie zuerst ankommen. Zu den Äußerungen des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban in Brüssel, wonach der Zustrom von Flüchtlingen ein „deutsches Problem“ sei, sagte Kauder: „Deshalb ist die Aussage aus Ungarn falsch.“ Die Versorgung Hunderttausender Flüchtlinge sei eine Herausforderung für die ganze Europäische Union und nicht nur für Deutschland. „Wenn Ungarn Dublin infrage stellt, muss man ernsthaft mit Ungarn reden.“