Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Stuttgart will aktiv werden gegen häusliche Gewalt in Flüchtlingsheimen. Zur Integration gehöre die Anerkennung des hiesigen Rollenverständnisses zwischen Frau und Mann. Das Sozialreferat hält die Darstellung für überzogen.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - In den Flüchtlingsunterkünften sollen Probleme mit häuslicher Gewalt mehr beachtet werden. Das sagt die Gleichstellungsbeantragte der Stadt, Ursula Matschke. „Da müssen wir genauer hinschauen, wenn die Integration eine Chance haben soll“, erklärte sie kürzlich beim Fachtag „Häuslicher Gewalt im Flüchtlingskontext begegnen“ im Rathaus, an dem 220 Personen teilnahmen, darunter mehr als 100 Mitarbeiter aus Flüchtlingsheimen in Stuttgart und Umgebung. Dies zu tun sei „der ausdrückliche Wunsch“ der Stuttgarter Ordnungspartnerschaft gegen häusliche Gewalt (Stop), so Matschke.

 

Die Gleichstellungsbeauftragte berichtete von 15 Platzverweisen, welche die Polizei im vergangenen halben Jahr gegen männliche Bewohner von Flüchtlingsheimen wegen massiver körperlicher Gewalt ausgesprochen habe. „Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs“, so Matschke. „Die Unterkunftsleitungen sagen mir, dass es eine große Dunkelziffer gibt.“ Das Thema sei bisher vernachlässigt worden. „Da herrscht eine gewisse Hilflosigkeit.“

20 Migrantinnen werden aktiv

Mit zwei Projekten soll das Problem angegangen werden. So habe man 20 „Mimi-Frauen“ geschult. Das Kürzel bedeutet „Migranten für Migranten“, die Helferinnen beherrschen also die Sprachen der in den Unterkünften lebenden geflüchteten Frauen. Sie sollen dort tätig werden, Kontakte zu Flüchtlingsfrauen aufbauen, die 40 Prozent der Geflüchteten ausmachen.

„Wir müssen die Frauen aufklären. Sie wissen nicht, welche Rechte sie haben“, sagt Jan Ilhan Kizilhan. „Wir müssen eine Mentalitätsänderung bei den Frauen erreichen, dass Gewalt nicht rechtens ist“, so der Professor für Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen, der auch promovierter Orientalist ist. Auch bei Vergewaltigungen unter Geflüchteten gebe es eine hohe Dunkelziffer. Betroffen seien Frauen in Beziehungen, aber auch Alleinstehende und Mädchen.

„Die Frauen sind stark von Schamgefühlen geprägt“, sagt Kizilhan, der das Buch „Die Psychologie des IS“ geschrieben hat. Da diese aus traditionellen Gesellschaften kämen, in denen Gewalt generell, aber auch gegen Frauen normal sei, erstatteten sie keine Anzeige, schon gar nicht, wenn diese in der eigenen Beziehung vorkommen. Aber nicht nur um die Opfer, auch um die Täter müsse man sich mehr kümmern, sagen Matschke und Kizilhan. „Wir brauchen auch Mimi-Männer“, erklärte die Gleichstellungsbeauftragte. Deshalb soll im Generationenhaus in Heslach ein „Männer-Café“ angeboten werden.

Dafür habe man drei Männer „aus der Community“ geschult. Sie sollen den Geflüchteten nahe bringen, was eine Beziehung zwischen Frau und Mann hierzulande bedeutet. Man müsse sich „mit Prävention auch um mögliche Täter kümmern“, sagt Kizilhan. Zumal zu dem tradierten Verständnis der Männer und Gewalterfahrungen die Enge in den Unterkünften komme, was zu Konflikten beitrage.

Auch um die Täter will man sich kümmern

Es komme aber auch in 30 Prozent der deutschen Familien zu Beziehungsgewalt, betont Kizilhan, bei Migranten liege die Quote bei 49 Prozent. Entsprechend höher sei die Wahrscheinlichkeit von Gewaltanwendung in der Beziehung bei Geflüchteten. In Stuttgart gab es im Vorjahr 400 Platzverweise gegen gewalttätige Männer, so Matschke.

Polizei und Sozialreferat sehen keinen Brennpunkt

Bei den Sexualdelikten hat die Polizei im Vorjahr in Stuttgarter Flüchtlingsunterkünften neun Fälle registriert, darunter vier Vergewaltigungen, aber auch sexuelle Belästigung und das Herunterladen von Kinderpornografie. Derzeit leben in Stuttgart in 120 Unterkünften 7346 Geflüchtete. Die Polizei sieht „im Bereich der Flüchtlingsheime keinen Brennpunkt“, erklärt Sprecher Stephan Widmann.

Hinter den Kulissen des Rathauses hat das Vorgehen der Gleichstellungsbeauftragten für Spannungen mit dem Sozialreferat gesorgt. So erklärt Sozialamtsleiter Stefan Spatz, man habe in den Unterkünften „keine verfestigte Gewalt gegen Frauen“. Jeden auftretenden Einzelfall nehme man aber sehr ernst. Man habe zwei Unterkünfte und eine Etage in einem Flüchtlingsheim, wo nur alleinstehende Frauen und Frauen mit Kindern untergebracht seien, es sind 93 Frauen mit 69 minderjährigen Kindern. Integrationsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) hält Matschkes Darstellung der Lage in den Unterkünften für „verzerrt“. Dadurch werde die gute Integrationsarbeit abgewertet.