Guter Wille reicht nicht: In Ulm werden Ehrenamtliche in Kursen für die Arbeit mit Flüchtlingen qualifiziert. Die Arbeit der Helfer stellt hohe Anforderungen – auch an die seelische Belastbarkeit.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - In großem Tempo füllen sich die Flüchtlingsheime, und wer dort hilfreich zur Hand gehen wolle, sollte kein Feigling sein und kein Fantast. Er habe schon Ehrenamtliche erlebt, erzählt der Ulmer Dieter Albert, die hätten gleich zu Beginn ihrer Arbeit „den kleinen Finger gereicht, und dann war der ganze Körper weg“. Albert, der Experte für interkulturelle Orientierung beim Diakonischen Werk an der Donau, weiß, wie schnell so etwas passieren kann. Seit diesem Jahr bietet er im Verbund mit der Caritas und der Ulmer Volkshochschule Qualifizierungskurse für Engagierte in der Flüchtlingsarbeit an, dabei mahnt er Freiwillige, erst einmal in sich selber zu forschen, bevor sie ein Flüchtlingsheim betreten. Es gehe nicht nur ums Helfen, sondern ums „richtige Helfen“.

 

Das vermag niemand mit kruden Ansichten übers Deutschtum, wild zusammengepuzzelten Bildern über Syrer, Ghanaer oder Iraker oder einer allzu zarten Seelenverfassung, die ins Wanken gerät, sobald Willkommenssignale von Flüchtlingen womöglich nicht erwidert werden.

Der Einsatz fordert viel Kraft

Gabriele Mreisi kennt solche Fälle, ihr Verein „Engagiert in Ulm“ ist neben der Caritas beim neuen Kursprogramm mit von der Partie. In Vorgesprächen mit Interessenten merkt Jobvermittlerin Mreisi schnell, wer sich eignen könnte für den herausfordernden Einsatz an vorderster Linie – und wer womöglich besser in der Kleiderkammer oder in der Administration aufgehoben ist.

Diese Vorgespräche können selbstverständlich auch eine umgekehrte Wirkung entfalten, nämlich bei Interessenten, bei denen eine Qualifikation klar sichtbar ist, aber der letzte Mut noch fehlt. Wo es nötig ist, ermuntert Gabriele Mreisi und betont zum Beispiel, dass Ehrenamt nicht bedeute, „sich auf ewig zu verpflichten“.

In Ulm sind 800 Flüchtlinge untergebracht

Die Ulmer Diakonie und ihre Partner, sie wollen nicht irgendwen für die Arbeit mit Flüchtlingen, sondern nach Möglichkeit Menschen, die bereits Vorerfahrungen in der Arbeit mit benachteiligten, bedrängten Menschen haben. Bewerberinnen wie Heike Reith zum Beispiel, die schon seit sechs Jahren im gemeinnützigen Ulmer „Café aleman“ Deutsch für Migrantinnen unterrichtet. Jetzt gehört die Helferin, die einen Teil ihres Lebens in Brasilien verbracht hat, zu den Absolventinnen des Qualifizierungskurses in Sachen Flüchtlingsarbeit, bald startet sie mit Sprachkursen in einer der Ulmer Unterkünfte, die aktuell rund 800 Menschen beherbergen.

Vor allem der Unterrichtsblock über rechtliche und soziale Rahmenbedingungen habe sie stark weitergebracht, erzählt sie. Begriffe wie Asylbewerberleistungsgesetz, Genfer Flüchtlingskonvention oder Königsteiner Schlüssel sind ihr nun gut bekannt. Sie sagt: „Ich weiß jetzt, wovon wir eigentlich reden.“ Darüber hinaus habe sie, ganz im Sinne von Dozent Albert, gelernt, gerade in Bezug auf Abschiebungen eine wichtige Erkenntnis auszuhalten: „Ich kann nicht allen helfen, und ich kann nicht alle retten.“ Von ähnlichen Kurserfahrungen erzählen auch die in der Altenpflege erfahrene Ulmerin Vicky Rettner, die eine gewisse psychische „Robustheit“ empfiehlt, oder die italienischsprachige Übersetzerin Maria Gonavo Beurer, die als Mitglied des hundertköpfigen Ulmer Dolmetscherpools schon vorher wusste, dass man „oft nur kleine Sachen tun kann“. Für Krisensituationen gelte leider: „Es gibt kein Regelbuch, an das man sich wenden kann.“

Anfragen helfen zu wollen steigen

So ist es. Auch der Ulmer Qualifizierungskurs für Flüchtlinge, den bisher 50 Ehrenamtliche – fast alle sind Frauen – durchlaufen haben, kann nicht auf alles vorbereiten. So müssten die Helferinnen und Helfer selber entscheiden, wann und wo sie ihre Handynummer herausgeben wollen, sagt Dieter Albert. Und sie seien dem eigenen Gewissen unterworfen, wenn ihnen etwa Flüchtlinge bekannt würden, die sich der Abschiebung entzogen haben und illegal in der Region lebten. Im Zweifelsfall, rät Kursleiter Albert, „muss der Profi ran“ – also der Psychologe, Jurist oder hauptamtliche Sozialhelfer.

Der Zustrom von Flüchtlingen nach Baden-Württemberg übertrifft weiterhin alle Prognosen. Nach offizieller Angabe haben in der Zeit von    Januar bis September 65 000 Menschen einen Asylantrag gestellt; bis Ende des Jahres könnten es 100 000 werden. Befürchtungen, der Zustrom könnte die Kräfte des Ehrenamts überspannen, scheinen derzeit aber unbegründet. Er stelle aktuell „vermehrte Anfragen von Menschen fest, die entweder spenden möchten oder sich erkundigen, wie und wo sie sich engagieren können“, sagt der Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg.

Eine Art von politischer Gesinnungsprüfung gibt es innerhalb der evangelischen Kirche für die Ehrenamtlichen nicht. Zwar, so der Diakoniechef, „sehen wir mit großer Sorge auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die offen oder versteckt Angst vor den Anderen schüren und Vorurteile und Ressentiments gegen Fremde verbreiten“. Doch „unsere Dienste kennen in der Regel die Menschen, die sich in den Flüchtlingsinitiativen engagieren“.

Helfer als „Botschafter“ für Toleranz

So ist das auch in Ulm, wo die ehrenamtlichen Helfer meist aus bekannten Netzwerken stammen und sich auch während ihrer Arbeit immer wieder zur „kollegialen Beratung“ treffen. Der Bildungsleiter Dieter Albert verlangt vom Ulmer Helferkreis ja noch mehr als ordentliche, qualifizierte Arbeit in den Unterkünften: Sie sollen im Privaten zugleich als „Botschafter“ für Toleranz und Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen fungieren.

Die Kursabsolventin Heike Reith ist dazu bereit. Sie will am Stammtisch und überall sonst rechten Parolen offen entgegentreten. „Es ist wichtig, Flagge zu zeigen“, sagt sie. Nach Ulmer Prognosen kommen monatlich 100 weitere Flüchtlinge in die Stadt. Bis zum Jahresende könnte die Zahl von 1000 überschritten sein.