Die Flüchtlingskrise setzt die Landespolizei einem neuen Stresstest aus. Die Beamten verlangen Entlastung. Doch woher sollen die Polizisten auf die Schnelle kommen? Innenminister Reinhold Gall (SPD) da hat eine Idee.

Stuttgart - Islamistische Terrorgefahr, Zunahme der Wohnungseinbrüche, Flüchtlingskrise: immer neue Aufgaben halten die Landespolizei in Atem. Um die Beamten zu entlasten, hat Innenminister Reinhold Gall (SPD) jetzt ein weiteres Sonderprogramm auf den Weg gebracht. Es wird am kommenden Dienstag vom Kabinett beschlossen. Das Programm hat ein Volumen 23 Millionen Euro und wird über den zweiten Nachtrag zum Landesetat 2015/2016 finanziert. Einer der Kernpunkte: im Nichtvollzugsdienst der Polizei werden 216 neue Stellen geschaffen. Entsprechende Informationen der Stuttgarter Zeitung bestätigte ein Sprecher des Innenministeriums.

 

Weshalb die neuen Stellen ausgerechnet im Verwaltungsdienst der Polizei entstehen, ist auf den ersten Blick verwunderlich, auf den zweiten Blick aber leicht zu verstehen. Einen Arbeitsmarkt, auf dem sich der Innenminister rasch mit Polizisten versorgen könnte, gibt es nicht. Er muss sie erst einstellen und ausbilden. Das dauert. Doch die Polizei bedarf möglichst schnell der Entlastung. In seiner Not lässt Minister Gall sogar prüfen, von welchen Aufgaben sich die Polizei zumindest zeitweise verabschieden könnte, um mehr Personal für die Flüchtlingsunterkünfte oder für den Kampf gegen Wohnungseinbrecher bereit zu halten.

Keine Zeit für Geschwindigkeitskontrollen

Gall schlug zum Beispiel vor, Schwertransporte auf der Straße künftig ohne Polizeibegleitung fahren zu lassen. Verschärfte Aufmerksamkeit erhielt seine Überlegung, die Zahl der Geschwindigkeitskontrollen zu verringern. Nun verlegt sich der Innenminister darauf, Beamte des Polizeivollzugsdienst von den Verwaltungsaufgaben zu entlasten und dafür zivile Kräfte einzustellen. Die gibt es auf dem Arbeitsmarkt; sie sind also vergleichsweise rasch verfügbar. Insgesamt zehn Millionen Euro stehen im kommenden Jahr dafür zur Verfügung.

Gall erhöht auch nochmals die Zahl der Anwärterstellen für den Polizeidienst. Im Jahr 2016 werden nicht, wie zuletzt vorgesehen, 900 Nachwuchspolizisten eingestellt, sondern 1100. Das ist möglich, weil entgegen allen Unkenrufen der Beamtenverbände der Polizeidienst nicht weniger, sondern mehr junge Menschen anzieht. Im Vergleich zum vergangenen Jahr liege die Bewerberzahl um etwa 30 Prozent höher, heißt es in einer Aufstellung des baden-württembergischen Innenministeriums. Die Kosten liegen bei 2,5 Millionen Euro bis 2019.

Das Ziel ist die zweigeteilte Laufbahn

In Absprache mit Finanzminister Nils Schmid (SPD) stellt Gall außerdem in diesem Jahr eine halbe Million Euro und im kommenden Jahr eine Million Euro für Mehrarbeit um Zusammenhang mit der Flüchtlingsaufnahme bereit. Weitere 1,6 Millionen Euro gibt es im kommenden Jahr für Überstunden, die abseits der Flüchtlingskrise in anderen Brennpunkten der Polizeiarbeit anfallen, etwa bei der Terrorabwehr, bei Demonstrationen und Fußballspielen. Eine Million Euro stellt Gall dem Polizeipräsidium Einsatz zur Verfügung, Durch die zahlreichen Einsätze vor allem im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise stiegen die Ausgaben der Bereitschaftspolizei stark an. Schließlich stehen für Stellenhebungen in der Innenverwaltung 6,7 Millionen Euro zusätzlich bereit. Davon entfallen etwa fünf Millionen Euro auf die Polizei. Das liegt auf der SPD-Linie, die darauf abzielt, innerhalb der Polizei Schritt für Schritt die zweigeteilte Laufbahn in der Polizei einzuführen. Der mittlere Dienst geht dabei im gehobenen Dienst auf.

Schon im Frühjahr hatte Innenminister Gall ein erstes Sonderprogramm für die Polizei aufgelegt, das als Kernpunkt vorsah, 226 Stellen des Polizeivollzugsdienst, die im Stellenplan als „künftig wegfallend“ ausgewiesen waren, dauerhaft für die Polizei zu sichern. Das Programm umfasste 30 Millionen Euro und wurde im Zuge des ersten Haushaltsnachtrags beschlossen.

In seinem am Freitag erschienen Informationsbrief an alle Polizeidienststellen im Südwesten schreibt Landespolizeipräsident Gerhard Klotter, die Polizei sähe sich in der Flüchtlingskrise gleich zweifach gefordert: Bürgerbeschwerden über lärmende oder Alkohol trinkende Flüchtlinge nähmen zu, was zu Polizeieinsätzen wegen Ordnungsstörungen führe. Anderseits sei die Polizei auch wegen der zunehmend zu verzeichnenden Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gefordert.