Der Milchbauer hat auch ohne Justizvollzugsanstalt einen Zaun direkt vor der Nase. Der ist 300 000 Euro teuer, mit zwei elektrischen Toren, vom Handwerker des Ortes montiert und längst Thema am Stammtisch. „Ich fühle mich wie eingesperrt“, schimpft der Senior. Doch die Veterinärmedizinerin habe es ihm nahegelegt. Ein einziger Flüchtling mit offener Tuberkulose in seinem Stall und sie müssten alle Tiere keulen, auch das Jungvieh, da hat er nicht mehr widersprochen.

 

Die Ankunft der neuen Nachbarn sieht Huber gelassen. „Wir sind verpflichtet, Menschen zu helfen, die verfolgt werden“, sagt er und erinnert sich noch gut daran, wie in den achtziger Jahren die Ablehnung im Ort groß war. Damals hätte es Proteste gegeben, weil Asylbewerber in der Nähe des Rathauses einquartiert werden sollten, heute würden sie herzlich begrüßt. Hubers Frau, die hinter ihm im Stall auftaucht, sieht das anders. „Das ist der falsche Platz für Flüchtlinge, zu abgelegen, zu wenig Infrastruktur.“ Sie sorgt sich um die Enkeltochter, die morgens in der Dunkelheit nicht mehr zu Fuß in die Schule gehen soll. „Das ist nicht mehr sicher, da müssen wir sie halt fahren.“

Die Angst in Meßstetten ist gut zu spüren, mal unterschwellig, mal offen. Zur Hetze gegen die Fremden aufwiegeln lassen sich die Bürger aber nicht. Umsonst versuchte die NPD bei der ersten Infoveranstaltung, zu der eigens die Integrationsministerin angereist war, Stimmung gegen die Asylbewerber zu machen. „Die Selbsthygiene im Saal habe gut funktioniert“, freute sich der Bürgermeister über die Courage in der Stadt. Die Facebook-Gruppe „Kein Asylbewerberheim im Meßstetten“ ist nur wenig aktiv. Selbst das Gerücht, dass die Meßstetter sich beim Schlosser so manches Gitter an ihre Kellerfenster montieren lassen, löst sich durch einen Anruf in Luft auf. „Das stimmt nicht“, wehrt der Handwerker ab, „geredet wird halt viel.“

Der Wirt im Dorfkrug ist besorgt

An der Kasse beim Metzger sind die Flüchtlinge Gesprächsstoff Nummer eins. Der betagte Friseur will einen Zettel an sein Fenster kleben, dass er keine neue Kundschaft möchte. Er lässt sich das auf Arabisch, Englisch und Serbisch übersetzen. Und im Dorfkrug, der Kneipe an der Hauptstraße, hat der Wirt schon überlegt, eine Strichliste von denen zu machen, die täglich vorbeilaufen und die er nicht kennt. „Man kann sich bald nicht mehr raustrauen“, sagt der 60-Jährige, der seit zwei Jahrzehnten hinter dem schweren Holztresen Bier zapft.

Der zähe Novembernebel ist am Abend zurückgekehrt. Kein Licht flankiert die lang gezogene Straße, die vom Geißbühl hinabführt. Die zwei weißen Plastiktüten, das schwache Handylicht sind erst in letzter Sekunde zu sehen. Ein junger Syrer am Straßenrand, verzweifelt, verängstigt, nahe am Weinen. Er wisse nicht mehr, wo die Kaserne sei, er komme von einer Tagestour aus Tübingen, fleht er und hält einen Zettel mit arabischen Schriftzeichen in die Luft. „Bitte“, sagt er, „bitte, ich habe Geld, bringen Sie mich zurück.“ Er hat Angst, nachts so alleine auf der Straße.

Vom „Ghetto auf dem Geißbühl“ sprechen die Gegner der neuen Landeserstaufnahmestelle. Sie liegt drei Kilometer von Meßstetten mit seinen Läden und seinem Leben entfernt. Der Bus ist zu teuer, zu Fuß dauert die Strecke eine halbe Stunde. Die frühere Zollernalb-Kaserne ist mehrfach gesichert, wie ein Gefängnis, so werden die Menschen drinnen vor jenen draußen geschützt. Oder vielleicht auch andersherum. Ein hoher Zaun umschließt das gesamte Gelände mit seinen 56 Hektar, ein zweiter kapselt eine kleinere Fläche im Inneren ab. Dahinter wohnen die Flüchtlinge in Kasernenblöcken mit langen Fluren und einem ordentlich gestutzten Rasen dazwischen.

Bis zu 1000 Flüchtlinge sollen hier wohnen

Alles ist schnell zu erreichen: die Kantine mit ihrem Tischkicker oder der neu eröffnete Polizeiposten im früheren Stabsgebäude. Sicherheitskräfte kontrollieren jeden, der hinter den zweiten Zaun will. Bis zu 1000 Flüchtlinge sollen hier wohnen, für vier bis sechs Wochen, dann werden sie auf die Kommunen verteilt. Meßstetten hat gerade mal 5000 Einwohner im Hauptort, viele von ihnen tun sich vermutlich schwer mit Englisch, hatten mit Arabern oder Afrikanern noch nie etwas zu tun. „Kann das gutgehen?“, fragen sie einander. Selbst der Bürgermeister sprach anfangs von einer Überrumpelung, als er von den Plänen der Landesregierung hörte. Und das Entsetzen war groß, als neulich Nazischmierereien in der Nähe der Unterkunft auftauchten.

„Ich hoffe sehr, dass alles ruhig bleibt“, sagt Alfred Sauter. Der pensionierte Oberstabsfeldwebel organisiert im früheren Freizeitheim

Der pensionierte Berufssoldat Alfred Sauter organsiert im ehemaligen Soldatenheim die Hilfe der Ehrenamtlichen. Foto: Keck
der Soldaten, gleich gegenüber der Kaserne, die Hilfe der Ehrenamtlichen. Er klappt einen Karton nach dem anderen auf, damit sie mit Secondhandkleidung gefüllt werden können. „Eine Erstaufnahmestelle ist besser als nichts“, sagt der 56-Jährige mit dem Schnauzer und dem karierten Hemd. Er findet es gut, dass seine Kaserne eine zweite Chance bekommen hat. 33 Jahre hat er dort gedient, kennt jede Ecke, vom früheren Kommandeursbüro bis zum ausrangierten Starfighter, den sie erst neulich ins militärgeschichtliche Museum abtransportiert haben. „Der musste weg, bevor die Flüchtlinge kommen“, erzählt Sauter und sucht nach Klebeband. Hinter ihm türmen sich Wände aus Kartons, gefüllt mit gespendetem Spielzeug und Anziehsachen, täglich kommen neue Pakete rein.

In der Begegnungsstätte wirbeln die ehrenamtlichen Helfer

Ein Anruf genügt, und Sauter hat das aufgetrieben, was noch fehlt. Kleiderständer, einen Übersetzer oder Turnschuhe. Zwischendurch fährt er kurz zu sich nach Hause und holt einen Akkuschrauber, um im provisorischen Büro eine Pinnwand zu befestigen. Er duzt fast alle in der Gegend, ist Stadtrat, leitet die Alten Herren im Fußballverein, war zuletzt für die Pressearbeit der Kaserne zuständig. „Wir brauchen noch Hochstühle für die Kinder“, ruft Sauter einem der vielen Helfer zu, dem früheren Chef der Kripo Albstadt. Eine Bekannte bringt einen selbst gebackenen Kuchen vorbei.

Im großen Saal, wo jahrzehntelang die Soldaten auf dem Parkett tanzten und Hochzeiten gefeiert wurden, sortiert ein halbes Dutzend Frauen die Kleider nach Größen. Ein Stock tiefer ist der Computerraum der künftigen Begegnungsstätte schon fertig, die Kegelbahn im Keller hat ein Ex-Kollege wieder in Gang gebracht. Sauters neunjährige Enkelin springt auch noch durch das Gewusel, schiebt Kisten, stellt eine Frage nach der anderen. „Wie arm sind die Menschen, die da kommen?“ „Warum müssen für die Koffer gesammelt werden? Warum bringen sie die nicht einfach mit?“

Sich zu entspannen, fällt der Syrerin schwer

Der Nebel hat sich mittags verzogen, die Explosionen und Schüsse vor den Toren der Kaserne gehen weiter. „Ich versuche das auszublenden“, sagt Badria. Weil sie nachts so schlecht schläft, legt sie sich oft tagsüber ein paar Stunden hin, in dem Zimmer, das sie sich mit ihrem 65-jährigen Vater teilt. Sich zu entspannen fällt ihr schwer. Depressionen begleiteten sie schon seit zwei Jahren, sagt sie. Ihre Mutter und einer der Brüder sind noch in Griechenland, das macht ihr am meisten zu schaffen. Über Handy halten sie Kontakt. Sie sind gemeinsam aus Syrien weggegangen, in die Türkei, wo sie in ein Schlauchboot stiegen und Badria dachte, dass sie die Fahrt zur Insel Kos nicht überleben würde. Die See war so wild in jener Nacht, dass es kaum voranging. Dass sie mit Tassen und Bechern das Wasser aus dem überfüllten Boot schöpfen mussten. Keiner in ihrer Familie kann schwimmen.

Die feuerroten Lederstiefel hat Badria in der Kleiderkammer ausgesucht. Sie schlüpft hinein, zieht sich eine Winterjacke über, es ist Essenszeit. Ihr Vater ist schon vorausgegangen in die Kantine. Ein kahler Raum, alle haben ihre Mäntel oder Jacken, manche sogar Mützen an – die deutsche Kälte sind sie nicht gewohnt. Die

Die Zimmer in den Wohnblöcken sind vor allem eins: funktional. Foto: dpa
Flüchtlinge sitzen nach Nationen getrennt, vorne die Eritreer, weiter hinten die Syrer, sie suchen Vertrautheit. Badria tauscht einen Zettel mit der Aufschrift „Lunch“ an der Essensausgabe gegen ein Blechtablett ein. Die dünne Scheibe Geflügel-Leberkäse lässt sie liegen, isst Kartoffeln, Karotten. Weil die Leute nicht satt wurden, gibt es neuerdings ein Brötchen dazu. Das Essen in der Personalkantine nebenan sieht besser aus, die Fleischscheiben sind dicker.

70 Euro Taschengeld gibt es alle zwei Wochen

Ohne ihr Lieblingsgericht Hummus ist Badria nicht glücklich. Im Ort kauft sie sich Kirchenerbsen in der Dose und Zitronen. Beim letzten Mal hat sie der Busfahrer umsonst mitfahren lassen. Auf dem Rückweg klappte das schon nicht mehr. 70 Euro Taschengeld für zwei Wochen, das ist ihr Budget. Sie hält es zusammen, läuft lieber nach Meßstetten hinein, wo der Lidl lange geöffnet hat. Raus aus der Kaserne, am leeren Wachposten samt Schranke vorbei, rechts den Berg hinunter. Sie geht mit Freunden los, steckt sich eine Zigarette an.

Links der Schranke wohnt der Huber-Bauer, 140 Milchkühe, Biogasanlage, therapeutisches Reiten. Ein Mann, dessen Lachen einen ganzen Stall füllt und die Spatzen zum Flattern bringt. Dessen Hände allzu neugierige Kuhschnauzen mit einer einzigen Berührung besänftigen können. „Ein Industriegebiet wäre das Beste gewesen“, sagt der 61-Jährige mit den Gummistiefeln und stützt sich auf seine Mistgabel, „wir brauchen Arbeitsplätze.“

Erst der Niedergang der Trikotindustrie, dann die Schließung der Kaserne mit ihren 1000 Soldaten, alles schlecht für die Region, ärgert sich Gerold Huber. Dennoch: das Großgefängnis, das Meßstettens Bürgermeister unbedingt herholen wolle, komme nicht in Frage. „Ich will keinen Knast auf der anderen Straßenseite.“

Selbst der Huber-Bauer hat einen Zaun bekommen

Der Milchbauer hat auch ohne Justizvollzugsanstalt einen Zaun direkt vor der Nase. Der ist 300 000 Euro teuer, mit zwei elektrischen Toren, vom Handwerker des Ortes montiert und längst Thema am Stammtisch. „Ich fühle mich wie eingesperrt“, schimpft der Senior. Doch die Veterinärmedizinerin habe es ihm nahegelegt. Ein einziger Flüchtling mit offener Tuberkulose in seinem Stall und sie müssten alle Tiere keulen, auch das Jungvieh, da hat er nicht mehr widersprochen.

Die Ankunft der neuen Nachbarn sieht Huber gelassen. „Wir sind verpflichtet, Menschen zu helfen, die verfolgt werden“, sagt er und erinnert sich noch gut daran, wie in den achtziger Jahren die Ablehnung im Ort groß war. Damals hätte es Proteste gegeben, weil Asylbewerber in der Nähe des Rathauses einquartiert werden sollten, heute würden sie herzlich begrüßt. Hubers Frau, die hinter ihm im Stall auftaucht, sieht das anders. „Das ist der falsche Platz für Flüchtlinge, zu abgelegen, zu wenig Infrastruktur.“ Sie sorgt sich um die Enkeltochter, die morgens in der Dunkelheit nicht mehr zu Fuß in die Schule gehen soll. „Das ist nicht mehr sicher, da müssen wir sie halt fahren.“

Die Angst in Meßstetten ist gut zu spüren, mal unterschwellig, mal offen. Zur Hetze gegen die Fremden aufwiegeln lassen sich die Bürger aber nicht. Umsonst versuchte die NPD bei der ersten Infoveranstaltung, zu der eigens die Integrationsministerin angereist war, Stimmung gegen die Asylbewerber zu machen. „Die Selbsthygiene im Saal habe gut funktioniert“, freute sich der Bürgermeister über die Courage in der Stadt. Die Facebook-Gruppe „Kein Asylbewerberheim im Meßstetten“ ist nur wenig aktiv. Selbst das Gerücht, dass die Meßstetter sich beim Schlosser so manches Gitter an ihre Kellerfenster montieren lassen, löst sich durch einen Anruf in Luft auf. „Das stimmt nicht“, wehrt der Handwerker ab, „geredet wird halt viel.“

Der Wirt im Dorfkrug ist besorgt

An der Kasse beim Metzger sind die Flüchtlinge Gesprächsstoff Nummer eins. Der betagte Friseur will einen Zettel an sein Fenster kleben, dass er keine neue Kundschaft möchte. Er lässt sich das auf Arabisch, Englisch und Serbisch übersetzen. Und im Dorfkrug, der Kneipe an der Hauptstraße, hat der Wirt schon überlegt, eine Strichliste von denen zu machen, die täglich vorbeilaufen und die er nicht kennt. „Man kann sich bald nicht mehr raustrauen“, sagt der 60-Jährige, der seit zwei Jahrzehnten hinter dem schweren Holztresen Bier zapft.

Der zähe Novembernebel ist am Abend zurückgekehrt. Kein Licht flankiert die lang gezogene Straße, die vom Geißbühl hinabführt. Die zwei weißen Plastiktüten, das schwache Handylicht sind erst in letzter Sekunde zu sehen. Ein junger Syrer am Straßenrand, verzweifelt, verängstigt, nahe am Weinen. Er wisse nicht mehr, wo die Kaserne sei, er komme von einer Tagestour aus Tübingen, fleht er und hält einen Zettel mit arabischen Schriftzeichen in die Luft. „Bitte“, sagt er, „bitte, ich habe Geld, bringen Sie mich zurück.“ Er hat Angst, nachts so alleine auf der Straße.