Eine öffentliche Aufforderung zum Whistleblowing bei dem Waffenhersteller Heckler & Koch in Oberndorf ist wohl doch nicht strafbar. Damit bleibt dem Heidelberger Friedensaktivisten Hermann Theisen eine Strafe von 3600 Euro erspart.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Oberndorf - Ein Mann steht vor dem Werksgelände der Firma Heckler & Koch in Oberndorf (Kreis Rottweil) und verteilt Flugblätter. „Umfassend und rückhaltlos“, so seine Bitte, sollten die Mitarbeiter die Öffentlichkeit „über die Hintergründe der in Teilen illegalen Exportpraxis“ des Waffenherstellers informieren. Da fahren Streifenwagen vor. Polizeibeamte und ein Mitarbeiter des Rottweiler Landratsamtes gehen auf den Mann zu. Die Flugblätter seien beschlagnahmt, sagen sie – und kassieren den ganzen Stoß ein.

 

„Wir sind immer noch der Meinung, dass unsere damalige Verfügung rechtmäßig ist“, sagt die Rechtsdezernentin des Landkreises Martina Bitzer über jenen Vorfall vom Mai 2017. Doch nun scheint diese Rechtsposition geschwächt. Bisher berief sich das Landratsamt auf den Inhalt eines Strafbefehls, den die Rottweiler Staatsanwaltschaft im Mai 2016 beim Amtsgericht Oberndorf nach einer ähnlichen Aktion erwirkt hatte. Wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten in Verbindung mit der Aufforderung zum Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und wegen Hausfriedensbruch sollte der Mann, bei dem es sich um den Heidelberger Friedensaktivisten Hermann Theisen handelt, 3600 Euro bezahlen. Das ist nun vom Tisch. Exakt einen Tag, ehe Theisens Einspruch gegen den Strafbefehl hätte verhandelt werden sollen, zog die Staatsanwaltschaft ihren Antrag zurück.

Koblenzer Richter funken dazwischen

Seine Behörde, die damals aufgrund einer Anzeige von Heckler & Koch tätig geworden war, sei zu einer neuen Bewertung des Falles gekommen, bestätigte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Frank Grundke. Hintergrund sei ein Urteil des Landgerichts Koblenz. Dort war es um ein ähnliches Flugblatt gegangen, das Theisen am Atomwaffenstützpunkt Büchel in der Eiffel an US-Soldaten ausgeteilt hatte. Das Gericht sprach ihn frei. Bei der Vorbereitung des Prozesses war der zuständige Amtsrichter auf das Koblenzer Urteil gestoßen und hatte es an die Staatsanwaltschaft weiter geleitet. Zwar besitzt es für Oberndorf keine Bindungskraft. Doch offenbar signalisierte der Amtsrichter Sympathie für die Koblenzer Entscheidung. „Man wollte wohl ohne große Öffentlichkeit aus der Affäre herauskommen“, vermutet Theisen.

Hermann Theisen Foto: privat
Abgeschlossen ist der Fall damit nicht. Man habe die Anklage zurückgezogen, die endgültige Verfahrensbeendigung stehe noch aus, sagte Grundke. Demnach könnte der Hausfriedensbruch allein weiter verfolgt werden. Theisen hatte damals offenbar auf dem Firmenparkplatz gestanden.

Für einen weiteren Prozess, der am kommenden Mittwoch vor dem Freiburger Verwaltungsgericht beginnt, könnte der Rottweiler Rückzieher jedoch von Bedeutung sein. Dort will Theisen das Vorgehen des Landratsamts für illegal erklären lassen. Durch die Beschlagnahmung der Flugblätter sei er dabei behindert worden, sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auszuüben, argumentiert der 53-jährige Friedensaktivist.

Wirtschaftskammer ist überlastet

Und noch ein weiteres Verfahren ist anhängig. Vermutlich von Frühjahr 2018 an müssen sich fünf leitende Mitarbeiter von Heckler & Koch vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Dann geht es im Zusammenhang mit der Lieferung von G36-Sturmgewehren nach Mexiko um Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.