Im ersten Halbjahr sind bei der Schlichtungsstelle SÖP 1600 Anträge von enttäuschten Fluggästen eingegangen. Der Dienstleister EU Claim registrierte zwischen April und Juni 7800 Flüge in Deutschland, die mindestens drei Stunden zu spät ankamen.

Berlin - Verspätung, Annullierung, Überbuchung – wer Ärger mit der Airline hat, findet in Berlin einen meist hilfreichen Ansprechpartner. Als einheitliche Anlaufstelle für Flugreisende, aber auch Bahn-, Bus- und Schiffsreisende hat die unabhängige und kostenlose Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) seit Dezember 2009 bereits mehr als 13 000 Streitfälle bearbeitet.

 

Mehr als 200 Verkehrsunternehmen akzeptieren die Vorschläge der Schlichter, darunter seit November vorigen Jahres auch rund 40 Airlines. „Alle deutschen Fluglinien und 34 ausländische Anbieter machen mit“, sagt Edgar Isermann, Leiter der SÖP. Damit decke man rund drei Viertel des Fluggastaufkommens ab. Die Quote erfolgreicher Schlichtungen liege bei 85 Prozent. „Diese Zahl sehen wir als Vertrauen in eine unabhängige, objektive, unbürokratische und kostengünstige Konfliktlösung“ betont der Experte. Im Schnitt dauere ein Verfahren vier bis sechs Wochen.

Für Streitfälle gibt genügend Stoff. Die Zahl der Flugverspätungen in Deutschland ist im zweiten Quartal 2014 gestiegen, wie der private Dienstleister EU Claim meldet. Demnach kamen 7815 Flüge mindestens drei Stunden verspätet an, rund 200 mehr als im entsprechenden Vorjahresquartal. Die meisten deutschen Fluglinien sind jedoch pünktlicher als damals. Demnach reduzierte die Lufthansa Verspätungen von mehr als drei Stunden um gut fünf Prozent, Condor um 16 Prozent und Air Berlin gar um mehr als 55 Prozent. Nur bei Tuifly sei jeder 111. Flug und bei Condor sogar jeder hundertste Flug stark verspätet. Bei Air Berlin war es nur jeder 500. Flug, bei Lufthansa jeder 1000.

Immer mehr Kunden haben Anrecht auf Entschädigung

Exorbitant wuchs laut EU Claim allerdings die Zahl der verspäteten Flüge, für die Fluggäste eine Entschädigung verlangen können. Ein Ausgleich steht den Kunden zu, wenn für die Verspätung keine außergewöhnlichen Umstände wie Streiks oder schlechte Wetterverhältnisse verantwortlich sind. Im zweiten Quartal waren demnach 5630 verspätete Flüge entschädigungsberechtigt – fast zwei Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum. „Es gab weniger außergewöhnliche Umstände, auf die sich die Fluggesellschaften berufen konnten“, erklärt Jan Rameken, Geschäftsführer von EU Claim. Das Unternehmen verfügt nach eigenen Angaben über eine umfangreiche Datenbank mit Millionen von Daten zu Fluggesellschaften und Wetterereignissen. So könne man ungerechtfertigte Zurückweisungen von Kunden wegen angeblich „außergewöhnlicher Umstände“ entlarven.

Nach einer früheren Studie von EU-Claim sind täglich in Deutschland durchschnittlich 33 000 Fluggäste von Verspätungen um mehr als 30 Minuten betroffen. Der konkurrierende Dienstleister Flightrights hat errechnet, dass in einem Jahr 1,3 Millionen Passagiere stark verspätet ankamen und deshalb 665 Millionen Euro auf Entschädigung gehabt hätten, von denen aber nur ein winziger Bruchteil von den Airlines tatsächlich gezahlt wurde.

Deutsche Anbieter sind bei Schlichtungsstelle dabei

Anders als private Firmen wie EU Claim oder Flightrights, die Ansprüche für Verbraucher durchfechten und dafür Erfolgshonorare kassieren, arbeitet die als Verein organisierte SÖP nicht profitorientiert und ist deshalb kostenlos für die Fluggäste. Die Airlines, die mitmachen, zahlen dagegen für jede Schlichtung rund 200 Euro. Kosten, die sich mancher Anbieter in der hart umkämpften Flugbranche lieber sparen will, wie Verbraucherschützer bedauern.

Alle deutschen Airlines – von Lufthansa bis Air Berlin – haben sich zwar nach langem Zögern der SÖP angeschlossen. Doch ausländische Konkurrenten wie British Airways und Iberia verweigern weiterhin die Teilnahme. Allerdings ist es seit einer überfälligen Gesetzesänderung in Deutschland für kundenunfreundliche Airlines nach selbst verschuldeten Verspätungen nicht mehr so leicht möglich, die Fluggäste mit ihren oft berechtigten Entschädigungsansprüchen abzuwimmeln.

Versuch der außergerichtliche Schlichtung ist Pflicht

Eine außergerichtliche Schlichtung ist nun vorgeschrieben – notfalls bei der behördlichen Schlichtungsstelle des Bundesamts für Justiz in Bonn. Dort heißt es unmissverständlich: „Verbraucher können für Zahlungsansprüche wegen Überbuchung, Flugausfalls, Verspätung oder Gepäckschäden, die ab dem 1. November 2013 entstanden sind und nicht binnen zwei Monaten von den Fluggesellschaften erfüllt wurden, eine unabhängige Schlichtungsstelle anrufen.“ Airlines, die bei der SÖP nicht freiwillig mitmachen, müssen sich der behördlichen Schlichtung beim Bundesamt unterwerfen, die für die Unternehmen teurer ist. In Bonn sind bisher rund 500 Schlichtungsanträge eingegangen, wie Sprecherin Heide Schulz auf Anfrage mitteilt.

Beim Bundesamt wie bei der SÖP sitzen Juristen, die jeden Fall eingehend prüfen und dann einen Vorschlag zur außergerichtlichen Einigung machen. Das kann Verbrauchern viel Zeit, Ärger und Kosten ersparen, denn der Gang vor Gericht ist teuer und nervenaufreibend. Zunächst muss sich der Reisende immer bei dem Anbieter beschweren, der ihn enttäuscht hat. Führt das nicht zum Erfolg und verweigert das Unternehmen einen Ausgleich, kann man bei der SÖP einen schriftlichen Antrag einreichen. Formulare gibt es auf der Homepage der Schlichter. Wenn beide Seiten danach dem Schlichtungsvorschlag zustimmen, ist die Sache vom Tisch. Andernfalls kann der enttäuschte Kunde immer noch vor Gericht ziehen.

Anlaufstellen für Beschwerden

Verein
Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) ist per Post (Fasanenstr. 81, 10623 Berlin), per Telefon (030-644 9933-0), per Mail (kontakt@soep-online.de) oder im Internet (www.soep-online.de) zu erreichen.

Behörden
Die Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz (Adenauerallee 99-103, 53094 Bonn) kann ebenfalls telefonisch (0228-99410-6120), per Fax (0228- 99410-6121) und Mail (luftverkehr@bfj.bund.de) kontaktiert werden. Beschwerden über uneinsichtige Fluggesellschaften können Passagiere auch direkt an das Luftfahrtbundesamt in Bonn richten, das Bußgelder gegen die betroffenen Airlines verhängen kann.

Dienstleister
Verärgerte Flugreisende, die teure Klagen scheuen, können sich zudem an private Unternehmen wie EU-Claim, Fairplane oder Flightright wenden, die erfolgversprechende Fälle durchfechten. Dafür werden dann aber bis zu 30 Prozent Erfolgshonorar fällig. Falls es kein Geld gibt, muss der Kunde – anders als beim Anwalt – aber auch nichts zahlen.