In Rheinfelden soll am Mittwoch mit dem Abriss des ältesten Flusswasserkraftwerks der Welt begonnen werden. Wie konnte es so weit kommen?

Stuttgart - Sie wird da sein, wenn es so weit ist. Sie wird es sich ansehen, wenn sie Hand anlegen an das alte Kraftwerk. Im Augenblick noch erscheint Gitta Reinhardt-Fehrenbach alles so surreal. Die Denkmalpflegerin kann es noch immer nicht fassen. Abriss. Nach all den Jahren, all dem Kampf um den Erhalt. Das Wasserkraftwerk Rheinfelden, erbaut 1898, das älteste noch bestehende Großwasserkraftwerk der Welt, soll verschwinden. Ein kulturhistorisches Zeugnis ersten Ranges, das bis Ende Juli noch Strom erzeugt hat. Abgeschrieben, abgehakt, abgewrackt.

Gitta Reinhardt-Fehrenbach wird das nicht aufhalten können. Sie macht sich da nichts vor. Es ist so sicher, wie es gewiss ist, dass ihr die Tränen kommen werden. Unweigerlich, beim ersten Baggerbiss. Rührseligkeit traut man der nüchternen Wirtschafts- und Sozialhistorikerin nicht zu. Zart besaitet wirkt die burschikose 56-Jährige mit den markanten Gesichtszügen und den schwarzblauen Outdoorkleidern nicht unbedingt. "Ich habe geheult, als sie mir die Zuständigkeit für das Kraftwerk weggenommen haben", gesteht sie. Ihr Amt in Freiburg sollte auf einmal nicht mehr verantwortlich sein für das Industriedenkmal am Hochrhein, sondern die Zentrale, das Landesdenkmalamt in Stuttgart. 1994 war das.

Zehn Jahre zuvor hatte die Betreiberin, die Kraftübertragungswerke Rheinfelden - die heutige Energiedienst AG - den Antrag auf eine neue Konzession gestellt. Die alte Genehmigung war nach 90 Jahren abgelaufen. Für 380 Millionen Euro sollte ein neues Kraftwerk gebaut werden. Größer, besser, leistungsfähiger als das alte. Mit 1500 statt 600 Kubikmeter Wasser pro Sekunde Durchlauf. Statt 185 Millionen Kilowattstunden sollte es im Jahr 600 Millionen Kilowattstunden Strom liefern. Als Gitta Reinhardt-Fehrenbach erstmals davon hörte, ahnte sie, dass es böse enden könnte mit dem alten Kraftwerk. Sie wird wohl recht behalten, wenn nicht noch ein Wunder geschieht.

Das Thema ihres Lebens


Seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es die Idee, am Hochrhein aus Wasser Strom zu machen. Von 1895 bis 1899 wird das Vorhaben umgesetzt. Es ist die Keimzelle der späteren Stadt Rheinfelden. Ende des 19. Jahrhunderts gibt es nur Rheinfelden/Schweiz, einen aufstrebenden Badekurort. Auf deutscher Seite findet sich nichts weiter als eine Zollstation mit 213 Untertanen und einige versprengte Dörfer in näherer Umgebung.

Es war Ende der 1970er Jahre, Gitta war 26, führte noch keinen Doppelnamen und studierte am Freiburger Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, als sie Bekanntschaft mit dem Kraftwerk machte. Sie sollte eine Seminararbeit über seine Bedeutung für die Industriegeschichte verfassen. Sie ahnte nicht, dass dies das Thema ihres Lebens werden würde. Schon beim ersten Anblick hatte sie sich in das klassizistisch anmutende Gebäude verliebt. "Es sah aus wie ein Schloss", sagt sie. Eine Burg im Wasser. Ein Palast der Industriearchitektur.

Die Wasserburg soll jetzt geschleift werden. Als Erstes wird am Mittwoch offiziell der Steg geschlossen und nach inoffiziellen Informationen auch schon mit dem "Rückbau des alten Maschinenhauses" begonnen, wie die Energiedienst Holding AG den Abriss nüchtern umschreibt.

Jede Woche kommen die gleichen 100 bis 200 Protestler


Den Steg, eine 210 Meter lange Fußgängerbrücke zwischen den beiden Rheinfelden, gibt es fast so lange wie das Kraftwerk selbst. Er ist ein Symbol des grenzüberschreitenden Zusammenhalts der zwei Städte, die ein inniges Mutter-Tochter-Verhältnis haben. Seit 2007 gibt es eine schweizerisch-deutsche Bürgerinitiative, die IG Pro Steg, die sich für den Erhalt des Übergangs starkmacht. Vor drei Jahren gegründet, entdeckten die rührigen Bürger beiderseits des Rheins erst auf den zweiten Blick, dass es auch lohnenswert wäre, sich für das Wasserdenkmal starkzumachen. Seit September dieses Jahres demonstrieren sie jeden Donnerstag. Auf Plakaten fragen sie, warum Baden-Württemberg es zulässt, dass ein potenzielles Weltkulturerbe abgerissen wird. Der Abriss des Kraftwerks aber mobilisiert am Hochrhein keine Massen. Jede Woche kommen die gleichen 100 bis 200 Protestler. Mehr sind es nie.