Ursprünglich hat Ferrari vor der Saison 2015 einen Drei-Jahres-Plan aufgestellt, um die Formel-1-WM zu gewinnen – doch nach der erfreulichen Entwicklung geht es nun nicht mehr schnell genug.

Sotschi - Das, was Ferrari und Sebastian Vettel in Wirklichkeit antreibt, ist nicht ein Sechszylinder-Turbo, sondern ein dunkelblauer Pullover. Jenes Kleidungsstück, mit dem Sergio Marchionne, einer der mächtigsten Automobilmanager der Welt, mit Vorliebe bei seinen Besuchen in der Boxengasse anzieht. Marchionne, der den Spitznamen „Bulldozer“ wie einen Ehrentitel trägt, hat im Vorjahr einen Drei-Jahres-Plan für den Titelgewinn der Scuderia aufgestellt. Ein paar 100 Millionen hat er in den Etat eingestellt, auch Sebastian Vettels Chauffeursgehalt zählt dazu. Wer den Italo-Kanadier kennt, der hat das mit den drei Jahren nicht geglaubt. Die drei Siege, die Vettel gleich im Debütjahr geholt hat, waren der Appetitanreger. Marchionne würde am liebsten eher heute als morgen Mercedes vom Formel-1-Thron stoßen, weil er es natürlich auch Daimler-Lenker Dieter Zetsche zeigen will.

 

Und was passiert beim Großen Preis von China vor zwei Wochen? Vettel und Räikkönen kollidieren in der ersten Kurve. Dass der Heppenheimer am Ende mit havariertem Auto noch Zweiter wird, hat Marchionne als Schadensbegrenzung zur Kenntnis genommen. Hinterher durften die Ferraristi aber lesen, was der Fiat-Boss wirklich denkt: „Wir müssen an uns arbeiten. Vor uns war ein Red Bull – das ist nicht so einfach zu akzeptieren! Was hätte sein können, ist nebensächlich: Wir haben nicht gewonnen!“

Für den Großen Preis von Russland an diesem Sonntag (14 Uhr/RTL) gilt schon ein Ultimatum: „Wir müssen das jetzt in den Griff bekommen. Das Team weiß, dass die Uhr tickt und wir Rennen gewinnen müssen. Es muss der Zeitpunkt kommen, an dem kein Blatt Papier mehr zwischen uns und Mercedes passt.“ Wie stark der SF 16H tatsächlich ist, das kann nach drei von Aufs und Abs geprägten Rennen keiner sagen. Genau das will Vettel auf dem Olympia-Kurs von Sotschi herausfinden, „aber dazu brauchen wir erst einmal ein Wochenende ohne Probleme. Die ersten drei Rennen waren nicht das, was wir uns erwartet hatten.“ Marchionnes markige Sprüche stören ihn nicht: „Wir brauchen keinen, der uns daran erinnert, dass wir ganz vorne stehen wollen. Natürlich war er nicht glücklich, ich ja auch nicht. Wenn er glücklich wäre, würde ich mich ohnehin fragen, ob er der richtige Präsident ist.“

Vettel: „Verlasse mich auf mein Bauchgefühl“

Der Druck von außen sei nicht annähernd so hoch wie jener, den er sich selber mache, sagt der Heppenheimer. Und es wäre ja wohl völlig „unnatürlich“, wenn man nach der Vize-WM wieder mit dem zweiten Platz zufrieden wäre. „Ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl, und das sagt, dass unser Auto deutlich besser ausbalanciert ist als in der letzten Saison. Deshalb können wir mehr ausprobieren“, sagt er vor dem vierten WM-Lauf. 42 Punkte beträgt sein Rückstand auf Spitzenreiter Nico Rosberg, aber selbst der Mercedes-Primus sagt: „Wir haben die wahre Stärke von Ferrari noch nicht gesehen.“

Vielleicht passiert das tatsächlich am Schwarzen Meer, denn Ferrari bringt ein Motoren-Upgrade mit. Längst geplant sei die Leistungssteigerung gewesen, behauptet man in Maranello. Aber die technischen Probleme in den ersten beiden Rennen und Marchionnes kritischer Blick haben sicher dazu beigetragen, dass in der Motorenabteilung helle Aufregung herrscht – ist es doch die Power, die den Silberpfeilen maßgeblich ihre Alleinstellung beschert hat. Vettel versucht in Spaßmacher-Manier die Bedeutung des neuen Aggregats herunterzuspielen: „Wenn es ne Sekunde bringen würde, würde das unser Leben einfacher machen...“ Aber er glaubt das natürlich nicht, und was wirklich genau hinter der Renovierung steckt, mag er auch nicht verraten: „Ich stelle mich jetzt ein bisschen blöd.“

Ferrari will Mercedes mit mehr Power Paroli bieten

Die Lernkurve von Ferrari ist steil, die Aufholjagd war rasant, vielleicht hat es das Team dabei technisch zuletzt übertrieben. Aber das Entwicklungsszenario im Motorsport ist immer ein Widerspruch, es gilt schnell und zuverlässig zugleich zu werden. Die Scuderia hat zunächst Wert auf mehr Power gelegt, um Mercedes Paroli zu bieten. Immer wieder werden Teamchef Maurizio Arrivabene und Technikboss James Allison am Scheideweg stehen: Weiter auf Risiko setzen? Als wenn sie die Wahl hätten. „Wenn man mit einem völlig neuen Design in die Saison geht, ergibt es keinen Sinn, mit revolutionären Paketen zu kommen“, sagt Arrivabene über das Update in Sotschi. Schrittweise wolle man die Entwicklung vorantreiben, und die dafür notwendigen Technik-Gutscheine („Tokens“) gezielt nutzen.

Sebastian Vettel ruht dementsprechend in sich und wiederholt wie auf Knopfdruck seine Botschaft nach innen und außen: „Ich weiß, dass dieses Team sehr stark ist und sich verbessern kann. Es geht darum, alle Zutaten zusammenzubringen. Das ist das Geheimnis. Ich bin zuversichtlich, dass wir weitere große Schritte machen. Ferrari hat alles, was es braucht, um Titel zu gewinnen.“