Nach dem Österreich-Rennen zeichnet sich ab, dass den Silberpfeilen keiner mehr folgen kann. Die große Mercedes-Dominanz birgt auch Probleme in sich.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Spielberg - Der Mercedes-Sportchef Toto Wolff wollte die Fragerunde wegen des obligatorischen Mannschaftsfotos nicht unterbrechen. Er pfeife auf das Foto, heischte er einen Mitarbeiter an. Das war nicht der Tonfall, der zur Situation passte. Denn Nico Rosberg hatte gut eine Stunde zuvor den Großen Preis von Österreich gewonnen. Vor seinem Teamkollegen Lewis Hamilton. Wie konnte Wolff nach einem Doppelerfolg nur so gereizt reagieren?

 

Diesmal war alles etwas anders. Nach dem Rennen in der Steiermark zeichnet sich nämlich ab, dass es auch 2015 zu 99 Prozent einen Formel-1-Weltmeister aus dem Hause Mercedes geben wird. Doch so sehr die Stuttgarter, die ihre Autos in England produzieren, bewundert werden – es gibt auch eine andere Seite der Medaille. Und die gefällt Wolff überhaupt nicht.

Die große Langeweile

Die turmhohe Mercedes-Dominanz wird in der PS-Branche und von den Zuschauern längst auch als Makel eingestuft. Sie ist verantwortlich für die große Langeweile. Mercedes siegt die Formel 1 kaputt. Und Wolff befindet sich in der unangenehmen Situation, sich für die Erfolge fast schon entschuldigen zu müssen.

Natürlich entschuldigt sich der Österreicher nicht, und er wird seine Autos der Spannung zuliebe künftig auch nicht auf Anordnung langsamer machen. Im Gegenteil: „Wir müssen aufpassen, dass wir den Boden nicht unter den Füßen verlieren“, sagt Wolff und begibt sich damit zaghaft auf die Suche nach etwas Brisanz im Titelkampf. Den Druck, dass keiner der 1300 Mercedes-Mitarbeiter nachgibt, will er unbedingt aufrecht erhalten. „Wenn sich Ferrari stark verbessert, kann es sein, dass wir nichts mehr gewinnen“, sagt Wolff.

Ferrari fährt hoffnungslos hinterher

In Österreich zeigte sich jedoch ein völlig anders Bild. Spötter sagen: Bevor Ferrari um den Titel mitfährt, holen eher die Österreicher bei der nächsten Fußball-Europameisterschaft den Pokal. „Es hat mich ein bisschen überrascht, dass sie nicht so mithalten konnten, wir haben keine Pace von ihnen gesehen“, sagt Wolff über Ferrari. Es war in Spielberg ja auch immer die Rede davon, dass die Italiener im Stande wären, die Lücke zu Mercedes zu schließen. Doch im Rennen entpuppte sich der rote Ansturm als laues Lüftchen. Sebastian Vettel konnte den Silberpfeilen in keiner Phase des Rennens folgen – wie so oft in diesem Jahr. Zudem verdaddelten seine Mechaniker beim Boxenstopp die große Chance auf den dritten Platz. 13 Sekunden lang versuchten sie verzweifelt, das Rad hinten links zu montieren. Sieht so die rote Gefahr aus?

Ohnehin hat es den Anschein, dass Mercedes im Freitagstraining und im Qualifying nicht alle Karten auf den Tisch legt. „Wir lassen uns da ein bisschen die Reserven übrig“, gibt Wolff ja auch zu. Auf Reserve können die Silberpfeile dann auch im Rennen ziemlich zügig umschalten. In den ersten zehn bis 15 Runden von 71 Umläufen wären seine Piloten „volle Pulle“ gefahren, erklärt der Sportchef. Dann können Rosberg und Hamilton wieder den Schongang einlegen und das Rennen nach Hause fahren – so wie Vati die Familienkutsche auf dem Rückweg aus dem Urlaub.

Der nächste Krach kommt bestimmt

Auf dem Weg zur Weltmeisterschaft befindet sich Mercedes also auf Spazierfahrt. Der Sparmodus schont die Motoren, das macht die Ausweglosigkeit der Konkurrenz nur noch schlimmer. Einziger Lichtblick ist, dass es wieder zum packenden Duell zwischen Rosberg und Hamilton kommt. Der Brite, der im Österreich-Rennen seine Pole-Position an Rosberg verlor, weil Mercedes das Zusammenspiel zwischen Drehzahl und Kupplung modifizierte, nahm die Niederlage noch ziemlich gelassen hin und lobte die Vorstellung des Teampartners. Doch der nächste Krach kommt bestimmt. Zehn Punkte trennen die Piloten, die zurzeit einigermaßen friedlich miteinander umgehen – auch weil noch elf Rennen zu absolvieren sind. Doch Rosberg steht immer wieder auf, Hamilton spürt es. „Den Nico darfst man nie abschreiben, der ist eine ganz harte Nuss“, sagt etwa Gerhard Berger.

Und was sagt Toto Wolff? „Dass sich die beiden so bekämpfen, sehen wir als Team positiv“, erklärt der Sportchef, daraus beziehe die Mannschaft ihre Motivation. Und so sei es nun einmal: mal feiere bei Mercedes die Rosberg-Crew, dann gebe es im Hamilton Lager Sprudel – und beim nächsten Mal ist es wieder umgekehrt. So geht es also wohl immer weiter und weiter – in der Mercedes-Betriebsmeisterschaft 2015.