Lewis Hamilton gewinnt sein Heimrennen in Silverstone vor seinem Mercedes-Kollegen Nico Rosberg und baut seinen Vorsprung wieder aus. Sebastian Vettel wird im Ferrari Dritter.

Silverstone - Das beste Mittel gegen die Krise in der Formel 1 ist es immer noch, die Rennen dorthin zu bringen, wo sie hingehören. „Silverstone, Home of Motorsport“ steht am Eingang zu der Strecke, auf der die Formel 1 vor 65 Jahren erfunden wurde. Die meisten Zuschauer (140 000), eine der anspruchsvollsten Pisten, das unbeständigste Wetter. Die Fans kommen wegen dem, was sich Racing nennt. Kritisch sind nur der Verkehr und das, was man in dieser Gegend so unter Sommer versteht.

 

Die Rennpatrioten kommen nach den wohl unterhaltsamsten 94 Rennminuten des Jahres voll auf ihre Kosten: Lewis Hamilton sichert sich seinen fünften Sieg im neunten WM-Lauf, souffliert vom Mercedes-Kollegen Nico Rosberg – mit fast zwölf Sekunden Rückstand. Der Rosberg-Trend ist vorerst gestoppt, Hamilton baut seine Führung auf 17 Punkte aus. Dritter wird nach etlichen Kapriolen Sebastian Vettel.

So gibt es am Ende einen britisch-italienischen Chorus über Boxenfunk. Hamilton wird für einen „unglaublichen Sieg“ gehuldigt, er bescheinigt seiner Crew „einen großartigen Job“, und Vettel jubiliert radebrechend „Grazie“ und „Grande“. Er ist mit 135 Punkten WM-Dritter hinter Hamilton (194) und Rosberg (177).

„Hut ab vor euren Jungs!“

Was mit etlichen Ehrenrunden Hamiltons so triumphal endet, beginnt schon dramatisch, als die wie üblich in der ersten Startreihe parkenden Silberpfeile von Lewis Hamilton und Nico Rosberg nicht gleich in die Gänge kommen. Schwupps, sind Felipe Massa und Valtteri Bottas mit den beiden Williams in der Mitte durch. Mit Leasingmotoren am Werksteam vorbei, das ist gotteslästerlich. Aber von Mercedes kommt per Twitter ein Kompliment: „So war das nicht gedacht. Hut ab vor euren Jungs, das war vielleicht eine Attacke!“

Als sich Hamilton zumindest eine Position zurückerkämpft hat, muss der neunte WM-Lauf neutralisiert werden, vier Rennwagen havarieren – beide Lotus, beide McLaren. Beim Re-Start nach vier von 52 Runden will Hamilton sofort alles klarmachen, doch dabei geht ihm der Asphalt aus. Er muss beim Angriff auf Spitzenreiter Massa die Kurve abkürzen, schon ist auch Bottas wieder vorbei, Rosberg fast. Die Intensität der Zweikämpfe ist so hoch und schnell wie beim Eishockey.

Richtig davon kommen Massa und Bottas nicht, der finnische Verfolger wähnt sich deutlich schneller, und trotz Überholverbot greift der Skandinavier an: „Ich bin schneller!“ Doch der Brasilianer blockt immer wieder geschickt. Der Egoismus des 34-Jährigen ist verständlich: Massa gewann sein letztes Rennen 2008, als er in der letzten Kurve den Weltmeistertitel an Hamilton verloren hatte.

Den Rekord von Stewart gebrochen

Das Glücksgefühl Massas hält nur bis zum ersten Boxenstopp. Hamilton eröffnet den Reigen, die Mercedes-Crew legt nach 19 Runden blitzartige 2,4 Sekunden für den Reifenwechsel vor. Einen Umlauf später folgen Rosberg und Massa. Williams braucht für den Service vergleichsweise unendliche 3,8 Sekunden, fast wäre Rosberg noch in der Boxengasse vorbeigegangen. Als beide auf die Piste zurückkommen, ist Hamilton durch. Und bricht mit seiner ersten Führungsrunde kurz darauf einen 45 Jahre alten Rekord von Jackie Stewart: 18 Rennen in Folge mindestens einmal Spitzenreiter gewesen zu sein. Massa und Bottas werden am Ende auf die Position vier und fünf durchgereicht.

Mit Traditionen haben sie es in Mittelengland: Kaum ist die Rennmitte erreicht, warnen die Strategen vor aufziehenden Regenschauern: „Die könnten ziemlich heftig werden.“ Genau die richtige Aufregung, nachdem sich das Geschehen auf der Strecke etwas beruhigt hat, Hamilton schon über fünf Sekunden vor Massa davongezogen ist und Rosberg sich auf Rang vier eingependelt hat. „Gib alles, gib alles“, fordern die Mercedes-Strategen von dem Deutschen. Mit Ende einer virtuellen Safety-Car-Phase in der 36. Runde wird aus dem Himmelsgrau der angedrohte Regen.

Hamiltons letzte Strategie: Party!

Die Williams-Ingenieure halten die Hand am Kommandostand heraus. Nur Tropfen, also weiter mit Trockenreifen. Aber die Piste schlängelt sich durch die Landschaft, es regnet nur in manchen Kurven. Man sieht einen schlitternden Ferrari von Sebastian Vettel auf Platz sechs, zweimal rutscht auch Rosberg heraus, der dem Funkspruch („Es hat aufgehört“) geglaubt hat. Ein Glücksspiel. Alles kommt durcheinander, weil auf der zwischendurch nassen Strecke die Allwetterreifen bis zu sieben Sekunden schneller sind. Sogar Hamilton treibt es von der Piste, Rosberg nutzt hingegen die Chance, sich den unsicheren Bottas zu schnappen und dann auch Massa. Er holt rasant auf Hamilton auf. Bei diesen Verhältnissen entscheidet eine Mischung aus Mut, Talent und Glück.

Zehn Runden noch, in denen alles anders werden kann. Rosberg zeigt sich im Rückspiegel von Hamilton, der im letzten Moment in die Box abbiegt, um auf Intermediates zu wechseln und später jubiliert: „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich die richtige Entscheidung bei einem Reifenwechsel getroffen.“ Er hat die Masse der Regenschirme gesehen, die sich auf den Tribünen plötzlich öffnen. Der deutsche Widersacher folgt eine Runde später – nach einem mäßigen Stopp ist klar, dass Hamiltons spontane Intuition goldrichtig war.

Er siegte und beendete das Heimrennen mit seiner letzten Strategie: „Party – jetzt!“