Sebastian Vettel (28) möchte im dritten Jahr bei Ferrari die Italiener mit dem Titel belohnen – und natürlich auch sich selbst. Die Scuderia steht geschlossen hinter ihm.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Noch heißt der Rennwagen von Sebastian Vettel SF-16-H. Bei dieser holprigen Typenbezeichnung wird es nicht bleiben, denn der Heppenheimer versieht seine Autos immer mit Frauennamen – während sich andere Rennfahrer aus Aberglaube Cent-Stücke in die Socken stopfen oder kleine Stofftiere in die Unterhosen. Im Jahr 2008 gab er mit Julie sein Debüt, seine vier Red-Bull-Weltmeisterschaften gewann er mit Liz, Kinky Kylie, Abbey und Hungry Heidi. Mit den Ferrari-Damen Suzie und Eva lief es danach nicht so gut. In den vergangenen beiden Jahren schnappte sich der Mercedes-Mann Lewis Hamilton den Titel.

 

Nun, jeder hat so seinen Spleen. Doch gegen die zahlreichen Eigenheiten des Lebemanns Hamilton bleiben Vettels Ticks in überschaubarem Rahmen. Mit anderen Worten: der Familienmensch aus Südhessen muss sich in diesem Jahr der Angriffe des extravaganten Engländers erwehren. Es geht um die Ehre: Vettel hat vier Titel, Hamilton drei. Mit dem fünften Championat könnte sich der Deutsche Luft verschaffen – oder der Brite zieht gleich.

Ob Ferrari in diesem Jahr reif genug ist, die Silberpfeile vom Thron zu stoßen, ist die spannendste Frage der am Sonntag in Melbourne beginnenden Saison. Während Mercedes in den Medien omnipräsent ist, herrscht im Umfeld der Scuderia eine erstaunliche Ruhe. Als bei den Testfahrten in Barcelona die rote Rakete von Vettel in die Garage rollte, wurde sofort der Sichtschutz vorgeschoben. Die Geheimniskrämerei liegt sicher auch im Interesse des Chefpiloten, der bei den Italienern längst den Frontfigur-Status erreicht hat – alle hören auf ihn. Vettel ein siegfähiges Auto hinzustellen, ist Motivation für alle: vom Pförtner in Maranello über den Mechaniker bis zu Maurizio Arrivabene, dem Teamchef.

Auf dem Bauernhof versteckt

Genauso wie der Rennfahrer sein Privatleben in einem Bauernhof südlich des Schweizer Grenzortes Kreuzlingen versteckt, genauso arbeitet jetzt auch Ferrari. „Wenn man im Jahr zuvor Zweiter wird in der Konstrukteurswertung, will man den entscheidenden Schritt machen“, sagt Vettel. Zwei Jahre an der Mission zu werkeln, mit der traditionsreichsten Formel-1-Marke Weltmeister zu werden, sind mehr als genug. Die Zeit ist reif – doch ob es auch das Auto ist, wird sich wohl im Qualifying von Melbourne zeigen – oder gar noch später. „Wir werden mindestens ein paar Wochen warten müssen“, meint Vettel, erst dann seien die Kräfteverhältnisse erkennbar. Die Testergebnisse von Barcelona aber stimmen ihn zufrieden. „Wir sind nah dran, aber ob es reicht, das werden wir sehen.“

Für die Italiener geht es wirklich nur um eines: aus „Grande Seb“ soll „Grandissimo Seb“ werden. Sie sind von ihrem Leader so begeistert wie damals von „Grande Michele“, also Michael Schumacher, der die rote Mannschaft dirigierte wie Vettel heute. Wegen seiner offenen Art und dem Talent zu humoristischen Einlagen mögen sie den Hessen sogar einen Tick mehr als damals den großen Schumi. Sei’s drum – der Erfolg muss jetzt her. Vettel kann sich unsterblich machen und in den Herzen der Tifosi für immer seinen Platz finden – als Dompteur, der die launische Diva wieder zur Nummer eins macht. Schumachers Nachfolger Fernando Alonso scheiterte an dieser Aufgabe seinerzeit kläglich: Der ausgewiesene Egomane zog sich bei anhaltender Erfolglosigkeit schmollend in die Isolation zurück – und das führte zur Trennung.

Dem Stillhalteabkommen entsprechend schlägt auch der Teamchef Maurizio Arrivabene zurzeit keine lauten Töne an. Mit seiner rauchigen Stimme, die ihn gemeinsam mit seinem sympathisch verwegenen Äußeren problemlos für die Rolle des Schurken in einem Italowestern prädestiniert, hält er sich wie alle anderen an die Strategie der Verschwiegenheit. Er spürt aber auch den Druck. „In diesem Jahr müssen wir beweisen, dass wir die Erwartungen der Öffentlichkeit erfüllen können“, sagt er. Und natürlich auch die ungleich höheren Erwartungen des Ferrari-Präsidenten Sergio Marchionne. Denn sollte die Jagd auf Mercedes im dritten Anlauf scheitern, wird es eher eng für Arrivabene und andere Kräfte in wichtigen Positionen – aber wohl nicht für Sebastian Vettel.

Der Strahlemann aus Hessen

Den Strahlemann aus Hessen hat „Il Presidente“ ja fast schon adoptiert. Ihn begeistert, wie sich der Deutsche reinkniet. Beleg sind mitreißende Reden vor versammelter Mannschaft, die Vettel in passablem Italienisch hält. „Er ist wie einer, der schon immer bei Ferrari war“, sagt Marchionne und befindet sich ganz im Glück beim Gedanken an seinen ersten Piloten, den Seb.

Nun wandelt das beste Pferd im Stall auf den Spuren seines großen Vorbilds Schumacher. Sogar Hamilton wünscht sich ein Duell mit dem Deutschen. „Ich hoffe nicht, es wird wieder eine reine Lewis-und-Nico-Show, es wäre gut, wenn Ferrari die WM aufmischt“, sagt der Brite. Sebastian Vettel wird es gerne hören, und er steht bereit – ganz egal, welchen Namen er seiner neuen Kiste verpasst. Hauptsache, sie läuft.