Die Strecke in Spa in den belgischen Ardennen besitzt eine der gefährlichsten Passagen der Formel 1. Ein Besuch an der Leitplanke zeigt, dass hier die Gefahr noch immer ein Teil des Pilotenberufes ist.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Spa - Die Eintrittskarte für die Rennstrecke ist ein weißes Leibchen. Unbefugten teilt es der für die Fotografen zuständige Fia-Mann Patrick Behar eher zähneknirschend zu. Mit einer guten Begründung und einem in Demut geäußerten Dankeschön ist der Fall jedoch geritzt. An der Seite des Fotografen Michael Stirnberg stellen wir uns also nicht hinter irgendeine Leitplanke, sondern hinter die Begrenzung des gefährlichsten Streckenabschnitts der Formel 1. Die Rede ist von der Kurve Eau Rouge, dem Mythos von Spa.

 

Auf dem Weg dorthin lungern sechs Streckenposten herum. Der Mann im Abschleppkran wirkt müde, der für den Feuerlöscher zuständige Kollege befindet sich dagegen längst im Nickerchen-Modus. Die anderen trinken Kaffee und plaudern. Mit dem Kaffeekränzchen ist es für die Gemeinschaft allerdings vorbei, sollte im freien Training zum Großen Preis von Belgien einer der Boliden in die Reifenstapel donnern. Sie sind die Leute für den Ernstfall. Keine zehn Meter von ihnen entfernt verunglückte 1985 Stefan Bellof. Seinen Versuch, Jacky Ickx ausgerechnet im Abschnitt Eau Rouge zu überholen, bezahlte er mit dem Leben.

Die Todesgefahr lauert an der Eau Rouge

An den Tod denkt an diesem sonnigen Vormittag keiner. Motorsport ist gefährlich, das wissen die Streckenposten. Zwei ihrer Kollegen wurden hier in den vergangenen 20 Jahren von umherfliegenden Teilen getötet. Auch die Rennfahrer blenden das Risiko aus – sonst könnten sie zu Hause bleiben. Doch die Gefahr, die bei der Formel 1 im Hintergrund lauert, wird deutlich an der Leitplanke der Eau-Rouge-Kurve. Der langjährige Formel-1-Fotograf wundert sich darüber, dass dort manche Bereiche überhaupt noch zugänglich sind und nicht längst „rote Zone“. Doch stellt er sich jedes Jahr mit Begeisterung selbst dorthin.

Angst? Für Michael Stirnberg ist das kein Thema. Eine brenzlige Situation hat er noch nicht erlebt. Ein Kieselstein aus der Auslaufzone schlug mal in seinem Objektiv ein, zum Glück hatte er gerade fotografiert. An der Leitplanke in Spa erschrickt er kurz und reibt sich etwas von der Backe. „Das war ein Gummifetzen vom Reifen“, sagt Stirnberg. Dort, wo er gerade steht, rasen die Autos in zwei Meter Entfernung mit Tempo 290 vorbei – eine tödliche Gefahr. Die Wucht, mit der die Rennwagen herandonnern, ist beeindruckend. Sie schieben ein Luftpolster vor sich her, das bestialisch knallt, wenn sie vorbeifahren. Einen Fangzaun gibt es nicht. „Es wird nur gefährlich, wenn Reifen oder Teile vom Flügel durch die Luft wirbeln, denn die sind schnell und unberechenbar“, sagt Stirnberg.

Warum ist die Eau-Rouge-Kurve ein Mythos? Die Piloten begeistern sich für die unglaublichen Fliehkräfte. In einer Senke gibt es einen Linksknick (Stirnbergs Standort), der in einen steil bergauf führenden Rechtsknick übergeht. Im vergangenen Jahr noch wurde die Eau-Rouge-Biege mit Vollgas gefahren, weil der Abtrieb eine Fahrt wie auf Schienen zuließ. Das ist in dieser Saison anders. Nur Piloten mit aerodynamisch besseren Autos können noch das Gaspedal ans Bodenblech drücken, andere müssen den Fuß heben – eine Sünde für den ehemaligen Formel-1-Piloten Jacques Villeneuve. Der wurde als Knabe Halbwaise, weil sein Vater auf der Rennstrecke tödlich verunglückte, doch rühmte sich der Junior oft, die Eau-Rouge-Passage mit Vollgas zu nehmen. Einmal zertrümmerte er seinen Rennwagen und spielte den Helden mit den Worten: „Mein schönster Crash.“ Auf seinem T-Shirt stand: „Ich habe Eau Rouge überlebt.“

Die Kurve kann mit fast 300 Sachen genommen werden

Der Red-Bull-Teamchef Christian Horner kann sich daran erinnern, dass „wir alle unsere Augen geschlossen haben“, als Fernando Alonso und Mark Webber einmal nebeneinander auf die Eau-Rouge-Kurve zurasten. Es ist gutgegangen. Die Tatsache, dass die Kurve mit fast 300 Stundenkilometern genommen wird, lässt auch die Frage zu, inwiefern man noch von einer Kurve sprechen kann. Sein Jordan-Kollege Andrea de Cesaris, verriet Michael Schumacher, habe ihn 1991 gefragt, an welcher Stelle der Eau-Rouge-Kurve er bremse. Schumachers Antwort: „Welche Kurve?“

Wahr ist: Eau Rouge bedeutet nicht rotes Wasser in Anlehnung an Blut. Es liegt an dem Bach dort, dessen Steine am Grund das Wasser so puterrot machen. Trotzdem schaut Michael Stirnberg nach dem freien Training beim Überqueren der Rennstrecke noch einmal nach rechts. Nicht dass doch noch einer angeflogen kommt.