Der Ferrari-Pilot Sebastian Vettel hewinnt den Großen Preis von Malysia vor den Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Wird die Formel 1 wieder spannend?

Auf den letzten Metern ist die Ideallinie von Sebastian Vettel eine Schlangenlinie. Ganz nah kommt sein roter Rennwagen der Boxenmauer, aus der plötzlich Arme wachsen. Als wollte jeder der Ferrari-Mechaniker beim Großen Preis von Malaysia das immer noch 180 Stundenkilometer schnelle Auto persönlich abklatschen. Diejenigen am Kommandostand, die noch Kopfhörer aufhaben, lauschen einem endlos langen Jodler, länger als jeder Torschrei im italienischen Fußballfernsehen. Maurizio Arrivabene, der neuen Teamchef, kann nur noch im Staccato krächzen: „Fantastico! Numero uno is back, Ferrari is back. Grande Sepp!“

 

Aus dem Cockpit tönt es zurück: „Si ragazzi. Grazie, Grazie, Ferrari!“ Gefolgt von einem kehligen Stöhnen. Sebastian Vettel mag es noch nicht richtig begreifen, aber er spürt sofort, was bei seinem ersten Sieg im zweiten Rennen für den ältesten und populärsten Rennstall der Formel 1 passiert ist: das Wunder von Sepang.

Zusammenfassen lässt sich dieser Tag am besten zweisprachig, italienisch-hessisch, dem neuen O-Ton Vettel: „Grazie! Me hawwe se feddisch gemacht!“ Die Schicksalsgemeinschaft Maranello-Heppenheim ist erst ein paar Monate alt, aber sie harmoniert auf der praktischen Ebene ebenso wie auf der emotionalen. Favorit Mercedes hatte nicht viel entgegenzusetzen, Lewis Hamilton und Nico Rosberg blieben die Plätze zwei und drei. Das Pech einer Safety-Car-Phase, schlechte Reifen, unflexible Strategie – es hätte viele Erklärungen für den Absturz der Silberpfeile geben können. „Wir haben alles gegeben, was wir konnten. Aber die waren einfach zu schnell für uns“, gab der WM-Tabellenführer Lewis Hamilton zu, „wir wussten, dass Ferrari einen Schritt gemacht hat. Aber nicht wie groß.“ Offenbar so groß, dass der Mercedes-Teamchef Toto Wolff von einem „Weckruf“ spricht.

Endlich wieder oben stehen

Zwei Jahre hat Ferrari auf diesen Moment gewartet, 14 Monate lang Sebastian Vettel: endlich wieder oben stehen. Es sind viele Siege, die an diesem heißen Sonntagnachmittag in Südostasien gefeiert werden, auch der, dass Sebastian Vettel eben nicht nur gewinnen kann, wenn er im besten Auto sitzt. Denn das ist der SF 15-T sicher nicht, auch wenn der generalüberholte Motor „wie eine Rakete“ geht (Rosberg). Als Vettel auf dem Podium steht, unten schunkeln die Mechaniker die Nationalhymne mehr, als dass sie diese singen, da hat der 27-Jährige sich schon mehrfach verstohlen die Tränen aus den Augen gewischt.

Ein ähnliches Erlebnis hatte er 2008 in Monza, als er im Außenseiterauto von Toro Rosso seinen ersten Grand Prix gewonnen hatte. Italienische Momente, die scheinen ihm zu liegen. Gebeten, ein paar Worte in seiner Muttersprache zu sagen, parlierte Vettel auf Italiano, und sparte das Lieblingswort aller Automobilisten nicht aus: „La bella macchina!“

Wenn Träume wahr werden

Er wusste vor lauter Stolz gar nicht wohin mit seiner Freude. Ein schräger Siegersprung, ein paar dirigierende Bewegungen, den Pokal in die Luft geworfen, und dann schnellt da plötzlich wieder der Zeigefinger der rechten Hand nach oben: Aus den 39 Grand-Prix-Siegen zuvor weltweit als Vettel-Finger bekannt. Ja, ein Fingerzeig, dass die Scuderia und ihr neuer Mannschaftskapitän nicht die drei Jahre warten wollen, die ihnen der neue Firmenchef für den Weltmeistertitel bereit war einzuräumen. „Heute ist nicht nur ein Kindheitstraum wahr geworden, sondern gleich mehrere Träume“, sagt der drei Zähler hinter Hamilton zurückliegende WM-Zweite Vettel.

Er weiß, dass er damit früher in die Fußstapfen seines Vorbildes und Freundes Michael Schumacher tritt als gedacht. Schumi hatte 1996 im siebten Rennen gesiegt. „Das sind sehr große Fußstapfen. Aber es ist nicht mein erstes Ziel, diese auszufüllen“, sagt Vettel. Ein Mann der Ansage war er noch nie. Lieber erinnert er sich an eine Schlüsselszene in seinem Leben. Als er als Knirps mit Papa Norbert hinter dem Zaun der Ferrari-Teststrecke Fiorano stand und Schumacher Runden drehen sah. Heute sagt Vettel: „Jetzt öffnen sich alle Pforten für mich. Es sind die Tore zu einer ganz neuen Welt. In der habe ich mich sofort zu Hause gefühlt.“