Der Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug verlässt seinen Posten. Der Rennstall soll zurück in die Erfolgsspur.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - In der Formel-1-üblichen Ausführlichkeit ist am Donnerstag die Ära des Mercedes-Motorsportchefs Norbert Haug zu Ende gegangen. In 24 Zeilen verabschiedete der Daimler-Konzern den Mann, der 22 Jahre lang die Marke Mercedes auf den Rennstrecken dieser Welt vertrat. In gegenseitigem Einvernehmen trenne man sich, hieß es. Von 22 Jahren träumen Fußballtrainer. Doch die vergangenen Monate lassen auch eine andere Interpretation der Dinge zu. Demnach hat sich Mercedes von dem 60 Jahre alten ausgebildeten Journalisten Norbert Haug womöglich getrennt wie ein Fußballclub von seinem Trainer.

 

Dass die langjährigen Partner nicht mehr miteinander weitermachen, deutete sich durch das Engagement des dreimaligen Formel-1-Weltmeisters Niki Lauda an. Der Mann mit der roten Kappe wird Vorsitzender eines Aufsichtsrats, der die Motorsportaktivitäten der Stuttgarter kontrolliert. Dass Norbert Haug unter Lauda arbeiten würde, war kraft des ausgeprägten Selbstbewusstseins des bei Pforzheim aufgewachsenen Sportchefs nicht vorstellbar. Außerdem ist es zuletzt Lauda gewesen, den Mercedes in Verhandlungen mit dem Formel-1-Boss Bernie Ecclestone um eine gemeinsame Zukunft und hinsichtlich der Verpflichtung des Piloten Lewis Hamilton vorschickte – und nicht Norbert Haug. Da stellte sich schon die Frage, ob das nicht eher die Aufgabe des Schwaben gewesen wäre. Die Personalie Lauda hat die Trennung von Haug ganz offensichtlich eingeleitet. Er wurde wohl schleichend entmachtet.

Eine Ära geprägt

„Im Namen des Vorstands und unserer gesamten Motosportfamilie danke ich Norbert für sein besonderes Engagement für die Marke mit dem Stern“, lässt sich der Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche innerhalb der am Donnerstag verschickten 24 Zeilen zitieren und fügte hinzu, Haug habe eine ganze Ära geprägt. Der Scheidende selbst bedankte sich wiederum für 22 Jahre bei der besten Automobilmarke der Welt und machte damit zum Abschied sogar noch einmal kräftig Werbung. „Diese Zeit hatte keine Sekunde ohne Leidenschaft für mich parat“, wird er überdies zitiert in der kurzgehaltenen Mitteilung. Das war’s.

Leidenschaftslos ist der Schwabe Haug nie gewesen – sonst wäre er ja auch nicht so lange auf diesem Posten gesessen. Seine Verdienste im Hause Mercedes sind unbestritten. Durch seine Präsenz beim Formel-1-Sender RTL ist er viel eher das Gesicht der Marke gewesen als Zetsche selbst. Und doch hat die völlig missglückte Formel-1-Rückkehr der Silberpfeile nach der Trennung von McLaren dazu geführt, einen radikalen Umbruch vorzunehmen. Ohne Michael Schumacher, aber mit Lewis Hamilton; ohne Norbert Haug, aber mit Niki Lauda. Vor wenigen Tagen wurde auch der Geschäftsführer des Motorenwerks im britischen Brixworth ausgetauscht. Das sind nur die letzten personellen Veränderungen gewesen, die der Daimler-Konzern in den vergangenen beiden Jahren ziemlich hektisch vornahm, um den müden Tanker Mercedes GP endlich auf Kurs zu bringen.

Silberpfeile waren keine Gefahr

Vor drei Jahren kündigte Zetsche mit der Rückkehr eines eigenen Mercedes-Teams an, die Rennserie mit einer deutschen Nationalmannschaft bereichern zu wollen. Man wollte sich mit dem gekauften Brawn-Team und den Piloten Michael Schumacher und Nico Rosberg dem härtesten Rundstrecken-Wettbewerb der Welt stellen. Aber es funktionierte nicht. Zweimal gab es Platz vier in der Konstrukteurswertung, in der abgelaufenen Saison sprang sogar nur der fünfte Rang heraus. Solche Ergebnisse sind nicht imagefördernd, sondern eher schon belastend für einen selbst ernannten Premiumhersteller wie Mercedes-Benz, der in seine Autos einem Werbespruch entsprechend „nur das Beste – oder nichts“ einbaut. Schumacher war immer frustrierter, auch Rosberg zeigte sich unzufrieden. Was die Geschwindigkeit anging, waren die Silberpfeile für die Topteams keine Gefahr. Und der Faktor Zeit, der einer neuen Mannschaft im Hightech-Zirkus eingeräumt werden muss, ist nach dem dritten Jahr ohne Erfolg (außer einem Sieg in China) spätestens verpufft. Auch der Teamchef Ross Brawn, mit dem Schumacher bei Benetton und Ferrari alle sieben Titel einfuhr, konnte die Probleme, die das Mercedes-Auto unter anderem mit den Reifen hatte, nicht mal eben wegzaubern. Mit einem Sammelsurium hochrangiger Fachkräfte allein gewinnt man keine Weltmeisterschaft. Auch Norbert Haug konnte vom Schreibtisch aus das Auto nicht schneller machen. Er ist schließlich kein Ingenieur.

Aber er war immer ein Kämpfer für seine Passion. Haugs Überredungskünsten ist es zu verdanken, dass Mercedes 1993 zunächst mit dem Sauberteam wieder als Motorenlieferant in die Formel 1 zurückkehrte. Der Mercedes-Unfall 1955 in Le Mans, bei dem mehr als 80 Zuschauer ums Leben kamen, wirkte jahrzehntelang nach und ließ die Stuttgarter zögern. Haug verkraftete dann auch noch 1999 den Rückschlag mit Mercedes-Sportwagen, die aerodynamisch stümperhafte Fehler aufgewiesen hatten und mit denen Mark Webber und Peter Dumbreck durch die Luft flogen. Da spätestens hätten die Vorstände wieder den Stecker ziehen können. Haug kämpfte und überstand auch diese Krise.

Haug hat für die Sache gekämpft

Die nicht immer reibungsfreie Liaison mit dem Partner McLaren brachte aber auch große Erfolge wie die Fahrerweltmeisterschaften des Finnen Mika Häkkinen 1998 und 1999. Das ist Haugs Hochphase gewesen – obwohl ihn der eigenwillige McLaren-Teamchef fast nie aufs Podest ließ, um den Konstrukteurspokal nach einem Rennen in Empfang zu nehmen. Das übernahm Ron Dennis lieber selber. Mercedes stand oft nur da als zahlungskräftiger Partner, der am Erfolg aber nicht richtig partizipieren darf. Haug schmeckte das nicht, aber er schluckte es. Nach der Spionageaffäre, in der sich McLaren geheime Ferrari-Unterlagen besorgt hatte, ging Mercedes mehr und mehr auf Distanz. Man feierte zwar noch den gemeinsamen WM-Titel des Briten Hamilton im Jahr 2008, doch da standen in der zerrütteten Ehe die Zeichen längst auf Abschied. Mit dem Kauf des Rennstalls Brawn-GP erfüllte sich auch für Haug ein Traum: der eines eigenen Mercedes-Teams. Allerdings machten die verordneten Sparmaßnahmen die Hoffnung auf schnelle Erfolg bereits im ersten Jahr zunichte. Nichts lief nach Plan – die Vorstände wurden ungeduldig.

Haug hat stets für seine Sache gekämpft – als Racer, wie sich der ehemalige Porsche-Cup-Fahrer gerne bezeichnet. Er hat Niederlagen, auch wenn sie fürchterlich wehtaten, vor laufenden Kameras in schwäbisch onkelhaftem Ton analysiert und aufs künftige Ärmelhochkrempeln verwiesen. Aber er hat hinter den Kulissen auch ein anderes Gesicht von sich gezeigt. Im Umgang mit Medienvertretern („Da regt mich doch schon die Frage auf“) bewies er, dass er gegenüber Kritikern wenig zimperlich sein konnte. Bei seinen rustikaleren Auftritten konnte er seinen Gesprächspartnern „mit jeder Faser seines Körpers“, wie es die „Süddeutsche“ einmal formulierte, zeigen, was er von ihnen hielt. Auch seine Mitarbeiter bezeichneten ihn mitunter als tough. Haug sagte dazu: „Mir gegenüber lege ich die größte Härte an den Tag.“

Die Weichen für Erfolge seien gestellt, sagt Norbert Haug selbstlos. Wohl wissend, dass die neue Kühlerfigur dem Fahrtwind erst einmal standhalten muss.