Die Meteorologin Corinna Hoose ist schon mit 32 Jahren an das Karlsruher Institut für Technologie berufen worden. Sie erforscht dort die Bedeutung der Wolken für das Klima – und sieht ihre Aufgabe vor allem darin, noch vagen Ideen eine Struktur zu geben.

Das Physikhochhaus ist mit 60 Metern eines der höchsten Gebäude in Karlsruhe. Vom Dach blickt man bis zum Turmberg im Stadtteil Durlach. Die Sonne scheint, wie man es sich in diesem Spätsommer häufiger gewünscht hätte. Über den Köpfen wird der Rest eines Kondensstreifens vom Wind auseinandergetrieben. An den weißen Fransen erkenne man, dass der Streifen aus Eiskristallen besteht, erklärt Corinna Hoose. Wassertröpfchen würden schneller verdunsten.

 

In der Ferne sieht man die rauchenden Schornsteine der am Rhein gelegenen Industrie – und ist damit beim Thema. Lassen die Partikel im Rauch Wolken entstehen? Ja, aber der Einfluss sei noch nicht ganz aufgeklärt, sagt Corinna Hoose. Sie erforscht, wie sich kleine Teilchen – Aerosole genannt – auf die Wolken und auf das Klima auswirken. An den Aerosolen kann Wasserdampf kondensieren und Tropfen oder Eiskörner bilden, die Partikel sind daher die Saat für Wolken. Sogar aufgewirbelte Bakterien können Wolken bilden – dieses Ergebnis von Corinna Hoose greifen Journalisten gerne auf. Einen größeren Einfluss dürfte aber selbst in unseren Breiten der Saharastaub haben, sagt sie. Der sei praktisch immer vorhanden, auch wenn er sich nicht als Staubschicht aufs Autodach lege.

Das Büro von Corinna Hoose liegt im obersten Stock des Physikhochhauses. Dort steht eine Sitzung mit zwei ihrer sieben Mitarbeiter an. Die Doktorandin Katharina Weixler erläutert farbige Ausdrucke von ihren Simulationen. Sie versucht am Computer zu rekonstruieren, was Kollegen gemessen haben, als sie mit ihren Instrumenten durch eine Wolke geflogen sind. Die virtuelle Wolke soll der realen entsprechen, um das Computermodell zu verbessern. Wenn der Computer die realen Wolken richtig simuliert, dann dürften auch seine Simulationen von zukünftigen Wolken zuverlässig sein.

Durch Zufall wieder in Karlsruhe gelandet

Solche Simulationen werden benötigt, weil Wolken bis jetzt in den Klimamodellen nicht die Rolle spielen, die ihnen gebührt. Sie sind für viele globale Modelle zu klein. Dabei beeinflussen Wolken das Wettergeschehen deutlich, denn sie reflektieren Sonnenlicht ins All und senken damit die Temperaturen auf der Erde. Der Weltklimarat der Vereinten Nationen bezeichnete Aerosole und ihre Fähigkeit, Wolken zu bilden, in seinem jüngsten Bericht als größten Unsicherheitsfaktor in den Strahlungsgleichungen. Die Klimamodelle seien zwar seit dem letzten Bericht im Jahr 2007 verbessert worden, aber noch nicht gut genug.

Sitzungen wie diese hat Corinna Hoose praktisch jeden Tag: Einzelgespräche, wöchentliche Gruppensitzungen, Telefonkonferenzen mit ihren Kooperationspartnern an anderen Universitäten. Sie pendelt zudem zwischen zwei Standorten: dem Physikhochhaus in der Stadtmitte und dem Campus Nord, dem früheren Forschungszentrum, wo ein dreistöckiger Versuchsraum steht, in dem Wolken erzeugt und vermessen werden. Dort untersuchen ihre Kollegen, wie sich Wolken mit der Temperatur, der Luftfeuchte und den Aerosolen verändern. Corinna Hoose experimentiert selbst nicht, sondern lässt Hochleistungscomputer Simulationen durchrechnen. „Meine Aufgabe ist es, die Messdaten in die Klimamodelle zu überführen“, sagt sie.

Allen Wolken zum Trotz: über der Karriere von Corinna Hoose strahlt die Sonne. Sorge, keinen Anschlussvertrag zu bekommen? Schwierigkeiten, sich als Frau durchzusetzen? Das hat sie nicht erlebt. Keine drei Jahre nach ihrer Promotion an der ETH Zürich hat sie schon die Aussicht auf eine feste Stelle: Sie wird am Karlsruher Institut für Technologie Leiterin einer Forschergruppe. Dass sie dort studiert hat – das sei Zufall, sagt sie. Bei einer positiven Evaluation nach drei Jahren hätte sie bleiben können. Sie wünscht sich mehr Stellen dieser Art, bei denen die Übernahme an klare und auf das Fachgebiet zugeschnittene Kriterien gekoppelt ist.

Eine junge Professorin verschafft sich Respekt

Doch sie wird nicht als Gruppenleiterin übernommen, vielmehr beruft die Universität Corinna Hoose Anfang 2013 als Professorin. Sie ist da 32 Jahre alt und liegt neun Jahre unter dem Durchschnittsalter für diesen Karrieresprung. „Ich muss mir natürlich Respekt verschaffen“, sagt sie. „Das versuche ich, indem ich zeige, dass ich fachlich etwas draufhabe – dass ich Projekte einwerbe und manage. Inzwischen sehe ich das aber gelassen.“

Schon in der Doktorarbeit geht es um Aerosole und Wolken. Das Interesse reiche sogar zu den Anfängen des Studiums zurück, sagt Corinna Hoose, obwohl sie sich nicht zu den Hobbywetterfröschen zählt. „Wolken sind ästhetisch schön, sie sind für das Klima wichtig, und sie werden vom Menschen beeinflusst.“ Und es ist ein Forschungsfeld mit vielen offenen Fragen und einem entsprechenden Interesse an Lösungen. Gerade arbeitet Corinna Hoose mit ihrem Team an Anträgen, um die Laufzeit von zwei Projekten zu verlängern. Während sich viele Professoren über die zunehmende Papierarbeit beklagen, scheint sie hier in ihrem Element zu sein. „Ich mache das sehr gerne“, sagt sie, „denn es ist ja nicht nur ein bürokratischer Prozess, sondern ein Generieren von neuen Ideen.“ Diesen anfangs vielleicht noch wolkigen Ideen gibt sie im Antrag eine Struktur.

Für einen Verlängerungsantrag muss man die bisherige Arbeit bilanzieren und überlegen, welche der offenen Fragen man als Nächstes angehen sollte. Corinna Hoose will das Simulationsmodell eines anderen Forscherteams übernehmen und prüft, wie man es an ihre Bedürfnisse anpassen kann. Sie sucht in der Fachliteratur nach ähnlichen Projekten, von denen man etwas lernen kann. Und sie bittet ihre Mitarbeiter um Vorschläge. Das Formulieren von Anträgen zählt für Corinna Hoose zur Forschung wie die Gespräche mit Mitarbeitern und Partnern. „Darin steckt der Hauptteil der Wissenschaft, die ich jetzt mache“, sagt sie. „Die Projekte selbst auszuführen – dazu komme ich leider nur noch selten.“

Eine Babypause kann die Karriere erschweren

Wissenschaftler machen Karriere, wenn sie fachlich überzeugen. Doch wenn sie Karriere machen, werden andere Fähigkeiten gefordert: vor allem die, ein Team zu leiten. „Man muss viel an sich arbeiten“, sagt Corinna Hoose und berichtet von zahlreichen Fortbildungen, die Nachwuchskräften angeboten werden. Vor allem müsse man lernen, den Mitarbeitern Freiraum zu lassen – aber nur so viel, dass sie in ihrem Projekt nicht ganz vom Weg abkommen.

Sie selbst hat als Nachwuchsforscherin viel Freiraum, aber sie hat sich diesen Freiraum auch bewahrt. Ihre Familie – sie hat einen knapp einjährigen Sohn – hat sie erst gegründet, als sie Professorin war. Eine Babypause könne die Karriere erschweren, sagt sie. Nicht weil die Kollegen das nicht tolerieren würden, sondern weil die Konkurrenz nicht wartet. „Wenn man zurückkommt, kann es sein, dass das Thema schon von einer anderen Arbeitsgruppe abgearbeitet worden ist und man sich mit dem eigenen Projekt neu orientieren muss.“ Außerdem falle es mit Kind und Partner oft schwerer, in eine andere Stadt zu ziehen. „Das gilt leider häufig eher für die Frauen als für die Männer.“ Corinna Hoose selbst war in Zürich, Grenoble und Oslo. „Ich habe es sehr genossen, in verschiedenen Ländern und an so schönen Orten ein Leben aufzubauen“, sagt sie.

Auch als Professorin geht sie nicht in Verwaltungsarbeit unter. Sie sitzt zurzeit nicht im Fakultätsrat und muss keinen Studiengang entwickeln und akkreditieren lassen. Dafür engagiert sie sich in der Öffentlichkeitsarbeit: Sie hält Abendvorträge und führt Schulklassen durch das Wolkenlabor. Sie erklärt Journalisten auf Nachfrage, was sie von den Hagelfliegern hält, die Silberjodid in der Luft versprühen, in der Hoffnung, dass die Hagelkörner mit diesem Aerosol kleiner ausfallen und weniger Schäden anrichten: Sie hält das im Prinzip für möglich, aber unter normalen Umständen für unrealistisch. Ihre eigene Forschung werde gelegentlich falsch interpretiert, sagt sie, und der Einfluss der natürlichen Aerosole wie Saharastaub überschätzt. „Wenn es heißt, die natürlichen Aerosole machen das Wetter, wird es gefährlich.“ Diese Sicht der Dinge verschleiert den Einfluss des Menschen.

Für Dienstag hat der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Staats- und Regierungschefs eingeladen, am Sitz der Vereinten Nationen in New York neue „mutige Schritte“ zu mehr Klimaschutz bekanntzugeben. Wenn sie die Ergebnisse der Klimaforschung sehe, sagt Corinna Hoose, „schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen, dass nicht mehr getan wird“.

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Serie:
In einer StZ-Serie erzählen drei junge Forscherinnen aus Baden-Württemberg von ihrem Arbeitsalltag und den Erwartungen, die an sie gerichtet werden. In der vergangenen Woche berichteten wir zum Auftakt über die allgemeine Lage der Nachwuchswissenschaftler. Am kommenden Montag porträtieren wir die Stuttgarter Physikerin Uta Schlickum.

Die Wolkenforscherin im Kurzporträt

Position
Professorin für Theoretische Meteorologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) seit Januar 2013

Alter
34 Jahre

Studium
Physik an der Universität Karlsruhe (Abschluss 2004 mit der Note 1,0). Auslandsjahr mit Abschluss an der Université Joseph Fourier in Grenoble, ausgezeichnet mit dem Deutsch-Französischen Hochschulpreis.

Qualifikation
Promotion an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich im Jahr 2008, ausgezeichnet mit der Medaille der ETH für außergewöhnliche Doktorarbeiten. Anschließend Nachwuchswissenschaftlerin an der ETH und an der Universität Oslo. Ab April 2010 Leiterin einer Helmholtz-Forschergruppe am KIT.

Buchtipp
Im Porträt-Sammelband „Talent, Leidenschaft, Anerkennung. Karlsruher Potenziale in Wissenschaft und Kultur“ (Lindemanns Bibliothek, 2013) erzählt sie über ihren Werdegang: über den Vater, einen Lehrer für Mathe und Physik, oder ihren Experimentierkasten.

Ein typischer Arbeitstag von Corinna Hoose

9 Uhr
Die Woche beginnt mit dem Institutsseminar am Montag um 9 Uhr, in dem ein Mitarbeiter seine neuen Ergebnisse vorstellt.

11.30 Uhr
Viele Seminare und Vorlesungen liegen vormittags. Die Zeit kurz davor ist für die Vorbereitung reserviert.

14 Uhr
Einmal in der Woche gibt es ein Treffen mit der Arbeitsgruppe: abwechselnd auf dem Campus Nord im Wald, in dem die Labors stehen, und auf dem Campus in der Stadt. Hinzu kommen Einzelgespräche mit Doktoranden, Telefonkonferenzen mit Projektpartnern an anderen Hochschulen. In der Lehre fallen mündliche Prüfungen und die Betreuung von Abschlussarbeiten ins Gewicht.

18 Uhr
Zeit für die Familie

20 Uhr
Wenn das Kind im Bett liegt, bleibt Zeit, um konzentriert zu schreiben: also etwa, um Anträge zu formulieren oder Texte der Mitarbeiter zu kommentieren.

Forschung?
Während des Semesters schätzt Corinna Hoose ihren Arbeitsaufwand für die Lehre auf etwa 50 Prozent, übers Jahr gerechnet auf 40 Prozent. Nach Abzug der Verwaltungsarbeit und der Routinetätigkeiten bleiben ihr rund 35 Prozent für die Forschung. Zur Forschung zählt sie aber auch das Formulieren von Anträgen und fachliche Gespräche.