Die italienische Kommunikationsforscherin Fabiana Zollo beschreibt, wie es zu Polarisierung im Netz kommt – und warnt vor dem Glauben, dass immer nur die anderen in der Filterblase gefangen sind.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Heidelberg - Bereits bevor alle Welt über Echokammern und Fake News redete, zeigte die venezianische Wissenschaftlerin Fabiana Zollo mit sieben Forscherkollegen, wie sich Falschinformationen im Internet ausbreiten und dass Nutzer in separate Netzwerke eintauchen. Neuere Studien bestätigen diese Befunde – und lassen daran zweifeln, ob „Faktenchecks“ viel ausrichten können.

 
Frau Zollo, haben der Brexit und die Wahl von Donald Trump Sie überascht?
Nicht so sehr, wie sie vielleicht einige andere überrascht haben. Man konnte das nicht vorhersagen, aber anhand unserer Studien kannten wir bereits einige der Mechanismen, die zu dieser Dynamik geführt haben.
Sie forschen über Echokammern und Filterblasen – das dominierende netzpolitische Thema dieser Tage.
Trump, Brexit und in Deutschland der Aufstieg der AfD sind Erfolge des Anti-Establishments – die man so nicht erwartet hat. Echokammern existieren aber schon länger. Unsere ersten Studien analysieren Daten von mehr als 500 italienischen und US-amerikanischen Facebookseiten aus den Jahren 2010 bis 2014. Sie zeigen, dass Nutzer tendenziell Informationen suchen, die in ihr Weltbild passen. Den Rest ignorieren sie und sie sind auch gegenüber Seiten immun, die Falschinformationen korrigieren wollen.
Bei den besagten Studien untersuchen Sie zum einen Seiten, die wissenschaftliche Erkenntnisse publizieren – und zum anderen solche, die Verschwörungstheorien und schwer nachprüfbare „alternative Fakten“ in die Welt setzen. Gewöhnliche Nachrichtenseiten waren nicht darunter.
Das ist richtig. Wir haben aber auch Daten von Hunderten Millionen Facebook-Usern zur Nutzung von Nachrichtenseiten ausgewertet. Wer auf Facebook besonders aktiv ist, konzentriert sich dort in der Regel auf wenige Nachrichtenquellen. In Studien zum Brexit und zur italienischen Verfassungsreform zeigen wir außerdem, dass die Nutzer voneinander abgegrenzte Gemeinschaften bildeten. „Gefällt mir“-Angaben und Kommentare haben sie fast ausschließlich auf Facebookseiten innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinschaft hinterlassen. Diese Debatten waren im Netz also hoch polarisiert.
Sie meinen, auf Facebook?
Wir haben das auch für Twitter und Youtube gezeigt. Echokammern existieren natürlich auch außerhalb des Internets. Es sind nicht die Algorithmen, die diese Polarisierung erschaffen. Das Problem ist komplexer.
Auch in der öffentlichen Debatte ist die Polarisierung inzwischen als großes Problem der politischen Kommunikation erkannt worden. Wie kann man ihr begegnen?
Wir haben für Debattenthemen die emotionale Distanz gemessen, die zwischen den einzelnen Nutzergemeinschaften auftritt – es geht darum, ob ein Thema in der einen Gruppe sehr wohlwollend und in der anderen sehr ablehnend diskutiert wird. Bei solchen potenziell polarisierenden Themen kann man rechtzeitig gegensteuern. Mit der Beobachtungsplattform Pandoors wollen wir genau diese Distanz regelmäßig messen.
Google und Facebook wählen derzeit einen anderen Weg. Sie versuchen, auch auf Drängen der Politik, Fake News zu identifizieren.
Es ist schwierig, zu sagen: das ist richtig, das ist falsch. Wir leben in einer freien Gesellschaft und das Internet mit eigenen Medien für jede Echokammer ist die Realität, in der wir mit diesem Problem umgehen müssen. Unsere Studien zu Echokammern wurden wiederum innerhalb von Echokammern diskutiert – im Netzwerk der Faktenchecker etwa kamen sie nicht gut an. Wichtig ist, dass bei der Diskussion über Echokammern die individuelle Wahrnehmung nicht sehr valide ist. Jeder kennt Leute, die sich besonders stark innerhalb einer Echokammer bewegen oder im Gegenteil bewusst versuchen, Echokammern zu meiden. Bessere Erkenntnisse gewinnt man, wenn man wie wir im großen Stil Daten zum Nutzerverhalten auswertet.
Sind die Polarisierung und Echokammern universelle Phänomene?
Wir arbeiten gerade an einer europaweiten Studie zu dem Thema. Wir haben noch keine Ergebnisse. Aber ich vermute, dass wir ähnliche Dynamiken auch in anderen Ländern finden werden. Jedenfalls ist es keine gute Idee, zu sagen, dass nur die anderen Fake News erzählen. Diese Mechanismen sind nicht auf den jeweils anderen Teil der Gesellschaft beschränkt.