Die Universität Stuttgart hat in Vaihingen einen neuen Forschungsbau eröffnet. Damit lassen sich künstliche Welten darstellen. Das interessiert auch die Industrie.

Stuttgart - Virtuelle Reisen durch Landschaften, Erkundungstouren durch den menschlichen Körper oder Einblicke ins Innenleben eines Verbrennungsmotors – all das ist in der neuen Simulationsumgebung, der so genannten „Cave“, im Erweiterungsbau des Höchstleistungsrechenzentrums der Uni Stuttgart (HLRS) nun möglich. Am Mittwoch wurde das Gebäude auf dem Campus in Vaihingen mit einem Festakt offiziell eröffnet. In den Bau hat die Universität 5,5 Millionen Euro investiert.

 

Der Rektor Wolfram Ressel nannte das neue Gebäude eine „virtuelle Werkbank“. Mit dieser vollziehe die Uni siebeneinhalb Jahre nach der Eröffnung des ersten HLRS-Gebäudes den nächsten Schritt zur „Schaffung eines der leistungsfähigsten Höchstleistungsrechenzentren in Europa“. Dieses virtuelle Zentrum werde „international sichtbar sein und unseren Kooperationen mit der Industrie neue Impulse geben“. Bis 2016 soll mit dem Bau eines Schulungszentrums der Ausbau des HLRS abgeschlossen werden.

Fünf Projektionsflächen

Der Staatssekretär im Finanz- und Wirtschaftsministerium, Ingo Rust, betonte bei der Feier die Bedeutung des Höchstleistungsrechenzentrums für Baden-Württemberg. Das Land sei eine der forschungsintensivsten Regionen Europas. Daher brauche es hierzulande eine gute Infrastruktur und Technologien, die „auch weiterhin die Welt verändern werden“.

Der 1400 Quadratmeter große zweistöckige Erweiterungstrakt soll Raum für Mitarbeiterbüros und innovative Simulationstechnologien bieten. Herzstück des neuen HLRS-Gebäudes ist das Cave (Cave Automatic Virtual Environment) genannte 3D-Visualisierungszentrum, das sich über drei Stockwerke erstreckt. Der begehbare Würfel aus Acryl und Glas, der über fünf Projektionsflächen – drei Wände, Decke und Boden – verfügt, ermöglich eine dreidimensionale Darstellung von komplexen Rechenergebnissen. Diese virtuelle Realität erlaubt es dem Forscher, komplette Umgebungen wie Wälder, Berge oder Flussläufe dreidimensional darzustellen und sich in der künstlichen Welt real zu bewegen. Dadurch kann er Simulationsdaten in Echtzeit analysieren und mit ihnen arbeiten.

Flexible Einsatzmöglichkeiten

Einerseits, so fasst der HLRS-Direktor Michael Resch zusammen, erlaube es die neue Simulationsumgebung, Dinge wie etwa Luftströme besser sichtbar zu machen. Andererseits könne damit aber auch die reale Welt simuliert werden. So zeige die Cave beispielsweise, wie das Innere eines Hauses aussehen könnte oder wie sich ein geplantes Gebäude später einmal in seine Umgebung einfügt. Interessant ist die Technologie aber nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Industrie. „Beim Auto können wir etwa sehen, wie die Verbrennung im Motor genau abläuft“, erklärt Resch. Dies helfe beispielsweise dabei, den Schadstoffausstoß zu reduzieren.

Auch ergonomische Tests, so Resch, ließen sich mit der Cave leichter durchführen als bisher. „Wenn Sie beim Autofahren einen neuen Radiosender suchen, können wir genau analysieren, wie lange Sie dafür brauchen und wie lange Sie vom Verkehr abgelenkt sind.“ Auf diese Weise, erklärt der HLRS-Direktor, könnten Lösungen gefunden werden, mit denen der Wechsel des Radiosenders künftig schneller funktioniere. Auch die Medizin kann von der neuen Simulationsmöglichkeit profitieren. „Denken Sie nur an einen Oberschenkelhalsbruch, der mit vielen Schrauben repariert werden muss“, sagt Resch. „Diesen Bruch können wir hier simulieren und genau sagen, welche Art von Schraube an welcher Stelle sitzen muss, damit sich der Patient anschließend optimal bewegen kann.“

Doch der neue Cave ist nicht die einzige hochmoderne Errungenschaft des HLRS. Direkt neben dem neuen Erweiterungsgebäude ist der Supercomputer „Hermit“ untergebracht, der schnellste zivil genutzte Rechner Europas. Der Computer schafft eine Billiarde Rechenoperationen pro Sekunde.