Die häufigste tödliche Krebsart ist Lungenkrebs – jeder fünfte krebsbedingte Todesfall in Europa geht darauf zurück. Dagegen hat Krebs im Herzen Seltenheitswert.

Montpellier - Wer raucht, bekommt höchstwahrscheinlich Krebs. Wer sich zu oft in die Sonne legt, erkrankt ebenfalls. Es gibt eindeutige Risikofaktoren, warum manche Menschen an Krebs erkranken. Jeder kennt sie und beachtet sie mehr oder eben weniger. Dennoch können Tabakrauch und UV-Strahlung nicht die einzigen Faktoren sein, die dazu führen, dass sich das chronische Leiden in manchen Organen viel häufiger ausbreitet als in anderen. Jetzt verkünden französische Forscher im Fachjournal „Trends in Cancer“ eine mögliche Erklärung: So sei es wahrscheinlich eine Folge natürlicher Selektion. Der Mensch könne Krebs in großen oder paarweise angelegten Organen zumindest für gewisse Zeit besser verkraften als in kleinen Organen oder solchen mit entscheidender Funktion wie dem Herzen. Daher hätten sich in den größeren Organen im Laufe der Evolution weniger Mechanismen zur Bekämpfung von Krebszellen entwickelt.

 

Lebenswichtige Organe sind besser vor Krebs geschützt

Von je 100 000 Menschen bekommen dem Beitrag in „Trends in Cancer“ zufolge etwa 57 Lungen-, 24 Haut- und 41 Darmkrebs, aber nur 6 Hirn-, 12 Bauchspeicheldrüsenkrebs und nur ganz vereinzelt einmal jemand einen bösartigen Tumor am Herzen. Große Unterschiede gebe es auch bei den paarig angelegten Organen: So erkrankten im Mittel gut 16 von je 100 000 Menschen im Lebensverlauf an Nierenkrebs – aber nur knapp 3 von 100 000 Männern an Hodenkrebs und 6 von 100 000 Frauen an Eierstockkrebs. Der Evolutionsbiologe Frédéric Thomas vom französischen Krebsforschungszentrum CREEC in Montpellier folgert daraus: „Neben den lebenswichtigen Organen wie Gehirn, Herz oder auch die Bauchspeicheldrüse könnten auch die für die Fortpflanzung wichtigen Organe wie die Gebärmutter einen besseren Schutz vor Krebs genießen.“

Deutsche Krebsforscher kritisieren die Theorie

Hellmut Augustin vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg sieht das kritisch. „Evolution interessiert sich nie für das Überleben von Individuen, sondern nur für das der gesamten Population.“ Das könne man schon daran erkennen, dass Krebs meist erst im fortgeschrittenen Alter auftritt – jenseits der biologischen Fortpflanzungsphase. Zudem sei Krebs verglichen mit vielen anderen möglichen Fehlern, die in Zellen auftreten könnten, ein seltenes Ereignis. „Als Treiber für die evolutionäre Selektion ist er damit kaum geeignet.“

Dennoch halten die französischen Kollegen an ihrer Theorie fest. Anders als bei den größeren und als Paar vorhandenen Nieren zum Beispiel könnten bei der Bauchspeicheldrüse schon einige wenige Tumoren die Funktion immens beeinträchtigen, erklären sie. Daher sei es sinnvoll, dass der Körper in eine stärkere Krebsabwehr dieses überlebenswichtigen Organs investiere.

Die Überlegung, dass der Körper doch jedes Organ gleich verteidigen müsse, würde aufgrund biologischer Prozesse nicht funktionieren. Eine besonders aktive Abwehr hat Nachteile: Die Prozesse, die Mutationen verhindern oder veränderte Zellen absterben lassen, können andere wichtige Abläufe wie Wundheilung, Immunabwehr und die Zellvermehrung beeinträchtigen. Zudem verschlingt die Abwehr Ressourcen, die dann nicht für anderes zur Verfügung stehen.

Welche Risikofaktoren lösen eher Krebs aus? Darüber streiten Experten

Von welchen Faktoren das Krebsrisiko eines Menschen in welchem Maße abhängt, wird von Experten ebenfalls seit Jahren diskutiert. Forscher der Johns Hopkins University in Baltimore hatten mit einer umstrittenen Studie Aufsehen erregt: Demnach wird das Risiko wesentlich stärker vom Zufall als von Erbgut oder Umwelt bestimmt. Salopp gesagt: Wer Krebs hat, hat eben Pech gehabt. Wichtig sei lediglich die Zahl der Stammzell-Teilungen in einem Gewebetyp, schrieb das Team im Fachjournal „Science“.

Dass Gewebe mit sich schnell teilenden Zellen anfälliger für Krebserkrankungen ist, darf als gesetzt angesehen werden. So ist es wissenschaftlich erwiesen, dass sich bei jeder Teilung einer Zelle beim Kopieren des Erbguts Genveränderungen einschleichen können. Eine Mutation in einer Stammzelle ist besonders fatal, da diese den Defekt lebenslang an alle Tochterzellen weitergibt. Den Forschern um den Biostatistiker Cristian Tomasetti und den Onkologen Bert Vogelstein zufolge sind etwa 65 Prozent der Unterschiede im Krebsrisiko verschiedener Gewebetypen durch die darin auftretenden Stammzell-Teilungen bedingt.

Vorbeugen ist nicht nur zur Krebsvermeidung wichtig

Konkrete Beweise für die beiden Theorien gibt es aber noch nicht. Zumindest die Wissenschaftler um Frédéric Thomas in Montpellier wollen ihre Theorie von der evolutionär bedingten unterschiedlich verteilten Krebsabwehr in den Organen nun mit einer Langfrist-Untersuchung an Mäusen belegen. Der Heidelberger Krebsforscher Augustin, hält andere Forschungsansätze für erfolgversprechender. „Die Frage ist doch: Wie können wir Tumorerkrankungen vermeiden, früher erkennen und besser heilen, um das natürliche Langlebigkeitspotenzial des Menschen besser auszuschöpfen?“ Zumindest in einem sind sich die Forscher einig: Wer gesund lebt, sich mit faserreicher Kost und wenig Fleisch und Fett ernährt, schützt sich vor Krebs – aber auch vor Krankheiten, die viel gefährlicher sind: So sind nach wie vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache Nummer eins. www.stn.de/krebs

Was es an Vorsorgeleistungen gibt

Brust: Ab dem Alter von 30 Jahren haben Frauen einen Anspruch auf eine jährliche Tastuntersuchung. Im Alter von 50 bis 69 gibt es alle zwei Jahre eine Mammografie. Auch eine Ultraschalluntersuchung ist möglich, was allerdings dann keine Kassenleistung ist.

Haut: Ab dem Alter von 35 Jahren haben Krankenversicherte alle zwei Jahre Anspruch auf ein Screening.

Darm: Im Alter von 50 bis 55 Jahren gibt es den Test auf verborgenes Blut im Stuhl als jährliche Kassenleistung. Wer 55 Jahre alt ist, sollte eine Darmspiegelung vornehmen lassen und diese zehn Jahre später wiederholen. Wer keine Darmspiegelung vornehmen lassen möchte, kann ab dem Alter von 55 Jahren den Test auf verborgenes Blut im Stuhl alle zwei Jahre fortsetzen.

Gebärmutterhals: Ab dem Alter von 20 Jahren gibt es jährlich eine Tastuntersuchung und ein Test auf Papillom-Viren (PAP-Test). Keine Kassenleistung ist ein Test auf das HP-Virus.

Prostata: Ab 45 Jahren können Männer jährlich ihre Prostata abtasten lassen. Keine Kassenleistung ist die PSA-Wert-Bestimmung. Wer diese dennoch vornehmen möchte, sollte mit dem Arzt über die Vor- und Nachteile sprechen.