Der Polarforscher Ernest Shackleton wollte als erster die Antarktis durchqueren. Doch sein Forschungsschiff Endurance wird vom Packeis umschlossen. Es beginnt eine qualvolle Odyssee durchs Südpolarmeer. Am Ende kehren aber alle wohlbehalten zurück.

Die glitzernde Falle war endgültig zugeschnappt. Entsetzt beobachteten Ernest Shackleton und seine Männer, wie sich das Packeis rings um die Endurance schloss. Schon Tage zuvor war es kaum noch möglich gewesen, das Schiff durch die immer enger werdenden Kanäle zwischen den einzelnen Schollen zu manövrieren. Nun, am 18. Januar 1915, ging gar nichts mehr. Alle Versuche, sich mit Meißeln, Hacken und Sägen doch noch einen Weg durch die weißen Massen zu brechen, schlugen fehl. Sie waren im antarktischen Weddellmeer festgefroren, und der endlose Polarwinter stand vor der Tür. Erst Monate später würde das Schiff wieder freikommen. Wenn überhaupt. Die Aussichten waren düster.

 

Dabei war Ernest Shackleton aufgebrochen, um ein neues Kapitel in der Geschichte der Polarforschung schreiben. Der Brite hatte zwar schon an etlichen Expeditionen teilgenommen, doch der ganz große Erfolg war ihm versagt geblieben. Den Südpol hatten schon andere erreicht, den Nordpol angeblich auch. Also hatte er ein neues Projekt ins Auge gefasst: die erste Durchquerung der Antarktis.

Ein Teil der Expeditionsteilnehmer sollte mit der Endurance unter Shackletons Kommando ins Weddellmeer fahren und dort an der Küste landen. Von dort aus wollten sich die Männer dann mit Hunden und Motorschlitten quer durch den Kontinent bis zum Rossmeer durchschlagen – inklusive Südpolbesuch. Klar war allerdings, dass sie unmöglich genügend Proviant für den ganzen Weg mitschleppen konnten. Also sollte eine zweite Gruppe mit dem Schiff Aurora ins Rossmeer fahren, ihren Kollegen von der dortigen Küste aus entgegengehen und unterwegs eine Reihe von Versorgungsdepots anlegen.

Shackletons ehrliche Werbung

Angeblich soll Ernest Shackleton mit folgender Anzeige für das ehrgeizige Unterfangen geworben haben: „Männer gesucht für gefährliche Reise. Geringer Lohn, bittere Kälte, lange Monate in vollkommener Dunkelheit. Sichere Rückkehr fraglich. Ehre und Anerkennung im Fall des Erfolges.“ Ob es diese Annonce wirklich gegeben hat, ist unklar. An Bewerbern für die Expedition fehlte es jedenfalls nicht. Mehr als 5000 Abenteuerlustige meldeten sich, 56 von ihnen sagte Shackleton zu. Am 8. August 1914 legte die Endurance im englischen Hafen Plymouth ab, am 5. Dezember verließ sie nach einem letzten Zwischenstopp die Walfängerstation Grytviken auf der Insel South Georgia.

Doch schon bald danach verließ die Mannschaft das Glück. Das unberechenbare Packeis machte der Expedition einen lebensgefährlichen Strich durch die Rechnung. Zunächst setzte der Expeditionsleiter auf ein ausgefeiltes Unterhaltungsprogramm, um die Zuversicht aufrechtzuerhalten. Es gab Theateraufführungen und Fußballspiele auf dem Eis, Schlittenhunderennen und Geburtstagsfeiern. Monatelang ging alles gut. Doch am 14. Oktober 1915 wurde der Druck des Eises zu stark, die Planken der gefangenen Endurance splitterten. Shackleton bemannte die Pumpen und ließ gleichzeitig Hunde, Rettungsboote und Vorräte aufs Eis schaffen. Am 27. Oktober musste das Schiff evakuiert werden, noch konnten die Männer weitere Ladung retten. Aber am 21. November versank die Endurance endgültig in den eisigen Fluten.

Das Eis schmilzt unter ihnen weg

Zelte auf dem Eis waren nun die neue Heimat der Polarforscher. Gejagte Robben und Pinguine kamen auf die Teller, das Fett der Tiere lieferte Brennstoff für die Öfen. Und wieder kämpften die Männer mit Spielen und Musik gegen die Eintönigkeit der Tage. Derweil ging der kurze antarktische Sommer vorüber, und sie drifteten weiter nach Norden. Die Eisscholle, auf der sie hockten, war mit den steigenden Temperaturen immer weiter geschrumpft und drohte schließlich endgültig zu zerbrechen. Es half alles nichts: Sie mussten ein neues Wagnis eingehen.

Am 9. April 1916 kletterten die Männer in ihre drei Boote und nahmen den Kampf gegen die eisigen Fluten und Stürme des Südpolarmeeres auf. Die Temperaturen sanken manchmal bis auf minus 30 Grad, eisige Wassermassen schwappten über Bord und durchnässten die Besatzung bis auf die Haut. Und dann waren da noch die als „Killerwale“ bekannten Orcas: „Schiffbrüchige Seeleute, die im Antarktischen Ozean treiben, sind aus Sicht der Killer wahrscheinlich etwas, von dem sie nicht zu träumen gewagt haben“, schrieb Shackleton. „Bei genauerer Untersuchung könnten sie sie als schmackhaften Ersatz für Robben und Pinguine betrachten. Wir sehen die Killer zweifellos mit Unbehagen.“

Höllentrip nach Elephant Island

Nach sechs Tagen war der Höllentrip endlich zu Ende. Auf der unbewohnten, abgelegenen Insel Elephant Island bekamen die Männer wieder festen Boden unter die Füße. Abgesehen von Pinguinen, Robben, Felsen und Eis war diese Sicherheit aber auch schon alles, was die neue Zuflucht zu bieten hatte. In die Zivilisation zurückkehren konnten sie nur, wenn sie South Georgia mit seinen Walfängern erreichten. Das aber bedeutete, dass sie weitere 1300 Kilometer eisiges Meer mit turmhohen Wellen zu bezwingen hatten. Konnte man das überhaupt überleben?

Wenn sie nicht auf Elephant Island sterben wollten, mussten sie es versuchen. Am 24. April 1916 bestieg Shackleton mit fünf Begleitern eines der Boote und nahm Kurs auf South Georgia, um Hilfe zu holen. Mehr als zwei Wochen lang kämpfte sich die nicht einmal sieben Meter lange James Caird durch Kälte, Stürme und Wellengebirge. „Die ständige Bewegung des Bootes machte das Ruhen unmöglich; wir waren durchgefroren, uns tat alles weh, und wir hatten Angst“, berichtete Shackleton in seinem drei Jahre später erschienenen Buch „South“. Doch am 10. Mai 1916 kam das Boot mitsamt seiner Besatzung tatsächlich auf South Georgia an.

Trotz vieler Rückschläge – sie schaffen es

Nur leider auf der falschen Seite. Zwischen dem Landeplatz und der norwegischen Walfangstation Stromness lagen Gletscher und tausend Meter hohe Berge, die noch niemand erforscht hatte. Doch Aufgeben kam nicht in Frage. Drei der Männer blieben am Strand zurück, während Shackleton und die beiden übrigen in einem 36-stündigen Gewaltmarsch das Inselinnere durchquerten – und es tatsächlich bis zur Station schafften. „Draußen sind drei komisch aussehende Männer, die sagen, dass sie über die Insel gekommen sind und Sie kennen“, meldete der Vorarbeiter dem Leiter der Walfangstation, Thoralf Sørlle. Der glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er sich plötzlich dem längst tot geglaubten Polarforscher gegenübersah. „Kommt rein, kommt rein“, drängte der Norweger. Doch Shackleton zögerte: „Ich fürchte, wir riechen.“

Für den Rest der Mannschaft, der immer noch an zwei ziemlich unwirtlichen Orten festsaß, war das zu dem Zeitpunkt ein eher nebensächliches Problem. Allerdings sollte auch für sie das Warten bald ein Ende haben. Zunächst wurde ein Walfängerschiff zur anderen Seite der Insel geschickt, um die Zurückgelassenen abzuholen. Und am 30. August 1916 gelang schließlich auch die Evakuierung der 22 Männer von Elephant Island.

Auf der gesamten Expedition war damit kein einziger Teilnehmer ums Leben gekommen – auch dank der Führungsqualitäten von „Boss“ Ernest Shackleton, der nach diesem Antarktisdrama zur Legende wurde. Er hatte zwar nicht als Erster am Pol gestanden, und abgesehen von einem vorübergehenden Südrekord die meisten seiner Ziele nicht erreicht, trotzdem gilt er bis heute als eine der beeindruckendsten Persönlichkeiten der Polarforschung.

So pflegen die Besatzungen und Passagiere vieler moderner Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg in die Antarktis einen Abstecher zu Shackletons Grab auf South Georgia zu machen, um dort ehrfürchtig auf den „Boss“ anzustoßen.

Der Weg von Shackleton und seiner Mannschaft durch das Antarktische Meer

Shackletons Werdegang

Herkunft Am 15. Februar 1874 wurde Ernest Shackleton im irischen Dorf Kilkea im County Kilkare, etwa 75 Kilometer von Dublin entfernt, geboren. Er war das zweite von zehn Kindern in seiner englisch-irischen Familie.

Discovery-Expedition Zwischen 1901 und 1903 nahm er unter anderem an der „Discovery-Expedition“ unter Leitung von Robert Falcon Scott teil, die das Rossmeer näher erforschen sollte. Ein Versuch, mit Hundeschlitten den Südpol zu erreichen, scheiterte dabei.

Nimrod-Expedition Von 1907 bis 1909 führte Shackletons erste eigene Forschungsreise mit dem Schiff Nimrod erneut in die Antarktis. Diesmal kam eine Vierergruppe unter seiner Führung immerhin bis auf 180 Kilometer an den Südpol heran. Sie musste aber umkehren, ohne ihn erreicht zu haben. Shackleton kommentierte diesen Misserfolg so kurz vor dem Ziel mit den berühmt gewordenen Worten: „Besser ein lebender Esel als ein toter Löwe, oder?“

Tod Nach der legendären Reise mit der Endurance kehrte Shackleton 1920 ein weiteres Mal ins Südpolarmeer zurück. Diese „Quest-Expedition“ konnte er allerdings nicht vollenden. Am 5. Januar 1922 starb er in Grytviken auf South Georgia an einem Herzinfarkt. Dort wurde er auf Wunsch seiner Frau auch begraben.