Der Bodensee gehört weltweit zu den am besten untersuchten Gewässern. Unterwegs mit dem Forschungsschiff Kormoran.

Langenargen - Konzentriert verfolgt Brigitte Engesser die Zahlenkolonne auf dem Bildschirm, so kann sie kontrollieren, wie schnell sich das Gerät zur Entnahme von Wasserproben in Richtung Seegrund bewegt. Nach wenigen Minuten nähert sich die Sonde der 250-Meter-Marke – der tiefste Punkt des Bodensees ist beinahe erreicht. „Gleich piept’s“, warnt die technische Assistentin, die an diesem Tag für die monatliche Routinemessung auf dem Bodensee zuständig ist. Die Sicherheitseinrichtung spricht an, wenn die Sonde noch einen Meter vom Seeboden entfernt ist. So ist sichergestellt, dass bei der nun anstehenden Entnahme von Wasserproben keine aufgewirbelten Sedimentpartikel die späteren Analyseergebnisse stören.

 

Feiner Dunst hatte sich über das Wasser ausgebreitet, als die Kormoran, das moderne Arbeitsschiff des Instituts für Seenforschung, zu früher Morgenstunde den Jachthafen von Langenargen verlassen hatte. Das Ziel: die tiefste Stelle des Bodensees, die sich zwischen dem deutschen Fischbach – es liegt gleich neben Friedrichshafen – und dem schweizerischen Uttwil am gegenüberliegenden Ufer befindet. „Nein, einen Anker werfen wir hier nicht“, erläutert Andreas Schießl, der die Kormoran steuert. Die Abdrift durch Wind und Strömung gleicht der Schiffsführer mit Hilfe der Satellitennavigation GPS und den fein dosierbaren Bugstrahlern aus – für die Wissenschaftler und Techniker an Bord eine unabdingbare Voraussetzung, damit sie präzise arbeiten können.

Die Arbeitsplattform ist also eingerichtet, nun kann die Messroutine beginnen. Eine Sonde wird abgelassen, die von der Wasseroberfläche bis zum Seegrund kontinuierlich Wassertemperatur, Sauerstoffgehalt, Wassertrübung und andere Parameter zum Kontrollmonitor sendet, der im Innenraum der Kormoran steht. Dann sind die Wasserproben dran: Das voluminöse Gerät mit den rosettenförmig angeordneten grauen Röhren wird startklar gemacht. Oben und unten sind diese mit einem – noch offenen – Deckel versehen, der per Fernauslöser vom Schiff aus geschlossen werden kann. Auf dem Weg vom Seegrund zur Wasseroberfläche schnappen die Deckel dann in ausgewählten Tiefenstufen zu. Oben an Deck wird der Inhalt anschließend in Probegefäße umgefüllt und beschriftet.

Die Schutzpatronin des Sees

„Nun ist die Biologie dran“, beschreibt Brigitte Enggesser die nächste Aufgabe. Mit einem äußerst feinmaschigen Netz werden alle diejenigen kleinen Tierchen gefangen, die sich in den obersten 50 Meter des Sees aufhalten. Zooplankton nennen das die Seenkundler. Auch die winzig kleinen Algen, in der Expertensprache Phytoplankton genannt, werden nach einem standardisierten Verfahren eingesammelt. Zeit für nähere Untersuchungen gibt es an Bord nicht, weder für das Plankton noch für die Analyse des Wassers aus den verschiedenen Seetiefen. „Wir nehmen hier nur die Proben“, erklärt Engesser. „Aufgearbeitet werden sie später im Institut.“ Gerade bei den Planktonproben sei dies ein recht mühsames und langwieriges Geschäft, das eine gehörige Portion Fachkenntnis über die vielen winzigen Tier- und Pflanzenarten erfordere, die im Bodensee vorkommen.

Alle zwei Wochen fährt die Kormoran zur Seemitte, um dort zu messen und Planktonproben zu nehmen. In vierwöchigem Rhythmus sind dann zusätzlich die Wasserproben für die chemischen Analysen fällig. Das Seenforschungsinstitut – es gehört zur baden-württembergischen Landesanstalt für Umwelt und Messungen – führt diese Routineaufgaben seit vielen Jahrzehnten durch. Dies geschieht auch im Auftrag der Anrainerstaaten. Diese haben bereits 1959 die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee gegründet, die sozusagen als Schutzpatronin über das Wohl des Sees wacht. In der Bregenzer Bucht kümmern sich übrigens österreichische Wissenschaftler um die Messungen. Und die Untersuchungen im Untersee teilen sich die Langenargener Seenforscher mit schweizerischen Kollegen, während im Überlinger See die Experten der Bodensee-Wasserversorgung tätig sind.

Diese kontinuierlichen Langzeitmessungen sind für die Seenforscher ein Schatz und für den Bodensee ein Glücksfall: Nur so lassen sich Trends frühzeitig erkennen, die für den See möglicherweise gefährlich werden können. Das Paradebeispiel ist die übermäßige Anreicherung des Wassers mit Phosphor. Diese Eutrophierung genannte Entwicklung drohte den See in den 1970er Jahren umkippen zu lassen. Weil Wasserpflanzen und Planktonalgen durch die Düngung von außen kräftig wuchsen, reicherten sich ihre Überreste am Boden an. Dort werden sie von Mikroorganismen abgebaut – aber dazu brauchen diese Sauerstoff. Weil zum Höhepunkt der Nährstoffanreicherung viel Biomasse abgebaut werden musste, sank der Sauerstoffgehalt über Grund damals bedenklich ab. Doch das ist bekanntlich Geschichte. Der milliardenschwere Ausbau von Kanalisation und Kläranlagen im Einzugsgebiet und weitere Reinhaltemaßnahmen haben dazu geführt, dass der See heute wieder so sauber wie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ist. Das könnte nun zu einem wichtigen Kapital werden, das dem See hilft, die nächste Herausforderung zu meistern: die Klimaerwärmung. Die ist nämlich voll im Gange und hinterlässt auch im Bodensee bereits deutliche Spuren. „So warm wie in diesem Februar war das Wasser seit den 1960er Jahren noch nie“, stellt Harald Hetzenauer fest, der als Chemiker am Seenforschungsinstitut seit Jahren die Messungen und wasserchemischen Analysen betreut und interpretiert.

Der See wird wärmer

In diesem Januar war der See in der Mitte noch 6,2 Grad warm – im langjährigen Mittel sind es nur 5,2 Grad. Und im Februar kühlte er kaum ab: Mit 5,9 Grad lag er sogar 1,3 Grad über dem langjährigen Mittel von 4,6 Grad. Auch in der Bregenzer Bucht war es ähnlich warm – dabei sind die Gebiete mit flachem Wasser im Winter üblicherweise deutlich kälter als die Seemitte. Dort lagen die Wassertemperaturen in den ersten Februartagen um bis zu 1,3 Grad über den bisher an diesen Tagen gemessenen maximalen Werten.

Für den Bodensee ist das nicht gut. „Eigentlich brauchen wir kalte Wassertemperaturen im Februar, damit die Zirkulation richtig in Gang kommt“, sagt Hetzenauer. Zum Verständnis ist ein kleiner Ausflug in die Physik notwendig: Bekanntlich hat Wasser seine größte Dichte bei vier Grad, sowohl kälteres als auch wärmeres Wasser ist leichter. Deshalb liegt eine Wasserschicht, die nicht viel wärmer als vier Grad ist, ein bisschen wie ein Klumpen in der Tiefe des Sees. Erst wenn in der kalten Jahreszeit das Wasser an der Oberfläche abkühlt und sich der Vier-Grad-Marke nähert, können anhaltende Winde und vor allem heftige Winterstürme das nun gleichmäßig kalte und damit überall gleich schwere Wasser bis in tiefe Schichten durchmischen.

Diese winterliche Zirkulation aber ist für den See wichtig, denn so gelangt frisches, mit Sauerstoff gesättigtes Oberflächenwasser im Idealfall bis zum Grund des Sees. Für die dort lebenden Tiere wie auch für die Mikroorganismen, die abgestorbene Biomasse abbauen, ist Sauerstoff lebenswichtig. Auch die Eier der Felchen, die sich am Seeboden entwickeln, sterben ohne ausreichende Sauerstoffversorgung ab. Doch so weit ist es glücklicherweise noch lange nicht: In den vergangenen 30 Jahren ist die Sauerstoffkonzentration am Seegrund stets größer als sechs Milligramm pro Liter geblieben – auch wenn der See einige Jahre hintereinander nicht ausreichend zirkulieren konnte und damit nicht genügend Sauerstoff nach unten transportiert wurde. „Aber wenn wir mehrere solche warme Winter hintereinander haben, dann könnte es schon kritisch werden“, meint Hetzenauer.

Die Folgen des Klimawandels

Dem Bodensee kommen jetzt die enormen Anstrengungen der Anrainerstaaten zugute, die in den See fließende Menge an Nährstoffen zu reduzieren. Wenn weniger Planktonalgen wachsen, dann benötigen die Mikroorganismen weniger Sauerstoff für den Abbau der anfallenden Biomasse. Umso wichtiger ist für die Gewässerschutzkommission, dass der See so naturnah sauber bleibt, wie er es heute ist. „Sonst bekommen wir auf lange Sicht ernsthafte Probleme“, prophezeit Harald Hetzenauer.

Doch auch im nährstoffarmen Bodensee zeichnet sich eine Entwicklung ab, die nachdenklich stimmt. Eine Analyse der vergangenen Jahre zeigt den Wissenschaftlern, dass der See immer seltener bis in große Tiefen zirkuliert und damit Sauerstoff tankt. Im Zuge des Forschungsprojekts „Klimawandel am Bodensee“, das im vergangenen Jahr abgeschlossenen wurde, haben die Experten auch eine Abschätzung über die künftige Entwicklung bis zum Jahr 2085 gemacht. Demnach wird – was wenig verwundert – der See immer wärmer. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Entwicklung nun offenbar schon deutlich früher einsetzt, als es die Modellrechnungen prognostizieren.

Noch verkraftet der See diese Entwicklung – die Frage ist nur: Wie lange noch? Erschwerend kommt nämlich hinzu, dass der See nicht nur tendenziell wärmer wird, sondern auch das Zeitfenster für eine Zirkulation immer kleiner wird: Der See kühlt im Herbst später ab und erwärmt sich zeitiger im Frühjahr. Andererseits sind die Forscher Mechanismen auf der Spur, die Anlass zur Hoffnung geben: Zur Erneuerung des Tiefenwassers tragen nämlich auch kalte Wasserströme bei, die im Winterhalbjahr aus den in der Regel kalten Buchten am Seeboden entlang bis in große Tiefen fließen und dabei sauerstoffhaltiges Wasser nach unten transportieren. Und auch die Zuflüsse – und hier vor allem der Rhein – bringen bei Hochwasser viel frisches Wasser bis in deutlich größere Tiefen als bisher angenommen. Und die Hochwasserereignisse könnten im Zuge der Klimaerwärmung zunehmen.

Es bleibt also spannend, wie sich der See in den nächsten Jahrzehnten im Zeichen des wärmer werdenden Klimas entwickeln wird. Sicher ist, dass die Seenforscher dies genau verfolgen.