Sie sind rußfrei, benötigen kein Kerosin und können nicht die Hütte entflammen: Solarlampen. Ein Inder hat sie als Geschäftsmodell entdeckt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Sagwada - "Sonst würde sie der Panther holen", sagt Gujiri Shankar. Der Bauer hat seine Hühner in einem geflochtenen Korb an der Decke der Lehmhütte aufgehängt. Wenn es nach Sonnenuntergang stockfinster wird in Sagwada im indischen Bundesstaat Rajasthan, schleicht die Raubkatze um die Hütten und frisst die Hühner, das Vieh, erschreckt die Menschen.

 

Nachtaktive Tiere hassen das Licht. Deshalb hat es für die Bewohner von Sagwada eine ganz besondere Bedeutung. Doch in dieser Gegend gibt es keinen Strom. Die Elektrifizierung Indiens, die offiziell mehr als achtzig Prozent des Landes erreicht hat, ist nicht bis hierher vorgedrungen. Strom kommt aus dem Dieselgenerator - wenn man einen hat. Wer Raubtiere mit Licht vertreiben will, muss sich altertümlicher Mittel behelfen. Es gibt zwei Möglichkeiten, und ein kurzer Blick in die Hütten verrät, welche Option ihre Bewohner wählen: Flackerndes, gelbes Licht bedeutet offenes Feuer, rotes Licht kommt von den alten, rußenden Kerosinlampen.

In Gujiri Shankars Hütte leuchtet kein gelbes Licht und auch kein rotes, sondern weißes. Solarlampenlicht. Die Handys waren die Vorboten der Moderne in Sagwada, jetzt bringt ein junger Unternehmer, der von seinem Job als Investmentbanker genug hatte, seinen Landsleuten das weiße Licht der neuen Zeit in ihre winzigen Lehmhütten.

Das Handy in der Lehmhütte

Noch leben siebzig Prozent der indischen Bevölkerung auf dem Land, ein großer Teil von ihnen gilt als arm. Es sind Leute wie Gujiri Shankar: Er hat vier Kühe und einen Ochsen; das Vieh gibt zwar schlechte Milch, doch den Mist kann Shankar verbrennen oder damit die kargen Getreideäcker am Steilhang düngen. Unten verläuft die schlaglochübersäte Straße, an der Shankar einen Kiosk betreibt. Fünf Gehminuten weiter oben bewohnen der 18-Jährige und seine Frau eine halboffene Lehmhütte samt kleinem abschließbarem Hinterzimmer. Es ist eine arrangierte Ehe, wie fast alle in dieser Gegend. Hier leben ausschließlich Angehörige des Bhil-Stammes, einer geschlossenen Gemeinschaft von Kleinbauern.

Das mit der Solarlampe habe er sich von seinen Nachbarn abgeschaut, erzählt Shankar. "Dann habe ich mit meinem Vater gesprochen, und wir kauften eine Lampe", berichtet der 18-Jährige. Neben ihm sitzt seine Frau auf einer mit grob gewebten Teppichen belegten Holzpritsche. Zur Schule gegangen ist sie nicht. Während Shankar von seinem Alltag als Bauer erzählt, versteckt seine völlig verstummte Gattin ihr Gesicht hinter einem Schleier. Drüben im Stall scharrt das Vieh, ein buntes Götterbild hängt an der Wand, in der Luft hängt der Geruch von getrocknetem Dung. Die Grillen zirpen.

Nicht, dass elektrische Geräte hier unbekannt wären. Gujiri Shankar zeigt sein Handy, ein altes Nokia. Shankar empfängt damit die aktuellen Marktpreise. Die braucht er für seinen Kiosk unten an der Straße. Das Licht für die Arbeit nach Sonnenuntergang aber kam bisher von der alten Kerosinlampe, deren starker Ruß schon viele im Dorf krank gemacht hat. Und immer wieder passiert es, dass in Sagwada oder einer der umliegenden Siedlungen eine Lampe umfällt. Dann heißt es schnell sein, sonst brennt die Hütte ab.

Trotz 45 Grad keine Wasserversorgung

Jetzt benutzt Gujiri Shankars Vater die alte Funzel. Zum Kauf der Solarlampe hat er ein paar Rupien dazugegeben; sein Sohn muss sich den Rest zusammensparen. Dafür wird Shankars Hütte jetzt von einer Solarlampe ausgeleuchtet: drei Watt, made in India, die Technik kommt aus Deutschland von der Firma Q-Cells in Sachsen-Anhalt. Mit dem Solarstrom können Vater und Sohn sogar noch ihre Handys aufladen.

Das weiße Licht leuchtet in einer durch und durch finsteren Ecke Indiens. In diese hügelige Gegend, keine zweihundert Kilometer von der Grenze zu Pakistan, verirrt sich kein Tourist. Der nächste Markt, die nächste Schule, das nächste Krankenhaus liegt Stunden entfernt. Eine Wasserversorgung gibt es nicht, obwohl die Sonne die Luft im Sommer auf 45 Grad erhitzt.

Die Menschen sind aufeinander angewiesen, helfen ihren Nachbarn. Die meisten sind Kleinbauern. Sie leben von dem, was ihre sandigen Äcker hergeben. Während der drei Monate dauernden Regenzeit verdienen die Männer auf den zahlreichen Baustellen in der nächsten größeren Stadt ein bisschen Geld - für Saatgut und Futtermittel. Vom Wohlstand des indischen Wirtschaftswunders ist in Sagwada nicht das Geringste zu spüren.

"Was immer man von Indien sagt, das genaue Gegenteil davon ist ebenfalls wahr", hat die Wirtschaftswissenschaftlerin Joan Robinson einst gesagt. Der mittelalterliche Viehbauer Gujiri Shankar in seiner Lehmhütte ist ebenso Teil der aufstrebenden Nation wie Rustam Sengupta, der ihn an diesem Abend besucht und mit ihm über die Vorteile seiner Solarlampen spricht.

Eine blonde Freundin ist so ziemlich das Beste

Sengupta ist das Gegenteil von Gujiri Shankar. Er bringt das weiße Licht nach Rajasthan - nachdem er in dreißig Jahren zuvor so anders gelebt hat als die Menschen, denen er heute Solarlampen verkauft. Sengupta war der Stolz seines ehrgeizigen Vaters: Ingenieur- und Wirtschaftsstudium in Kalifornien und Fontainebleau bei Paris, anschließend Unternehmensberater und Investmentbanker in Kalifornien und Singapur. "Ich hatte sogar eine blonde Freundin", erzählt der 31-Jährige - in den Augen der meisten indischen Eltern ist das so ziemlich das Beste, was ihr Sohn in diesem Alter erreicht haben kann.

Aber vor knapp zwei Jahren beschloss Sengupta, nach Indien zurückzukehren und Solarlampen an die Landbevölkerung zu verkaufen - außerdem Moskitonetze und Wasserfilter. Jedes einzelne Solarlicht, das eine der rußenden Kerosinlampen ersetzt, macht das ländliche Indien ein kleines Stück besser, sagt der Unternehmer. Es sind Tropfen auf den heißen Stein. "Aber jeder Tropfen macht einen kleinen Unterschied", sagt Sengupta. Deshalb hat er seine Firma Boond getauft, was auf Hindi "Tropfen" heißt.

Sengupta versteht sich als Geschäftsmann mit sozialem Auftrag: Er arbeitet an einer guten Sache, aber er will damit auch Geld verdienen - genau wie seine Angestellten. Dieser Ansatz, sagt der 31-Jährige, sei für alle besser, als Gratissolarlampen zu verteilen. "Was nichts kostet, ist nichts wert. Die Lampen werden falsch verwendet und dann weggeworfen", vermutet er.

Ehrlich, aber inkonsequent

Sengupta will nicht nur zufriedene Kunden, er bietet auch Einheimischen eine Verdienstmöglichkeit. Er lässt sie zu Vertriebs- und Servicemitarbeitern ausbilden und weist ihnen ein Gebiet von vier, fünf Dörfern rund um ihre eigene Hütte zu. So sammeln die Vertreter selbst in den hintersten Winkeln auf Provisionsbasis Bestellungen und Anzahlungen und reparieren defekte Geräte. Eine Solarlampe kostet rund 35 Euro - das ist im ländlichen Indien viel Geld. Deshalb wird in Raten gezahlt; ein halbes Jahr dauert es im Schnitt, bis eine Lampe abbezahlt ist.

Die Rückzahlung funktioniere immer, sagt Rustam Sengupta. Er hat eine ganz andere Sorge: Jeder zweite Verkäufer, den er in Rajasthan ausbildet, springt wieder ab - trotz kostenloser Ausbildung. Es ist den Männern schlichtweg zu anstrengend, mit dem Verkauf von Solarlampen auf einen Verdienst zu kommen, der ihrem Lohn als Wanderarbeiter entspricht, rund 45 Euro im Monat. Dafür muss ein Verkäufer etwa zwanzig Lampen loswerden - Monat für Monat. Doch wenn er nicht genügend Verkäufer hat, hat Rustam Sengupta auch selbst ein Problem: "Derzeit verdiene ich keinen Cent", erklärt der Unternehmer. Das Kapital seines Unternehmens reiche nur noch für ein Jahr.

In der Theorie funktioniert Senguptas Geschäftsplan, der gelernte Bankier und Ingenieur sammelte zur Gründung eine Menge Startkapital. Doch er hat die Menschen falsch eingeschätzt. In der Mittagshitze bei 45 Grad loszuziehen und die Leute für teure Solarlampen zu begeistern, ist für die Männer anstrengender, als sich in der Regenzeit mit dem Lkw auf eine Baustelle fahren zu lassen. Für Frauen ist der Vertrieb keine Option. Verhandelt wird stets mit dem Familienoberhaupt, und das ist ein Mann - der im patriarchalischen Rajasthan nur vor anderen Männern entsprechenden Respekt hat.

Erfolg muss wachsen

Laleet Kanchama ist noch nicht abgesprungen. Der 19-Jährige verdient sich seit dem Ende der Regenzeit als Verkäufer etwas dazu - da war er gerade von der Baustelle zurückgekehrt. Sechs Lampen, zwei Moskitonetze und zwei Wasserfilter hat er in den ersten anderthalb Monaten verkauft. Die Provisionen, die Kanchama dafür eingestrichen hat, sind bescheiden. Doch der Job hat einen Vorteil. Vormittags kann der 19-Jährige seinen Eltern auf dem Feld helfen; nachmittags, wenn es für die Feldarbeit zu heiß ist, geht er auf Verkaufstour - zu Fuß, zwanzig Kilometer für eine Runde.

Als Vertreter muss man auch in Rajasthan Kilometer fressen. "Es reicht nicht, einmal zu kommen", sagt Laleet Kanchama. Er steht in absoluter Finsternis unterhalb der Hütte seines Kunden Gujiri Shankar, spärlich von einer seiner Lampen angeleuchtet. Zum Verkaufen müsse man sich auf jeden Fall Zeit nehmen, sagt Laleet Kanchama. Beim ersten Besuch plaudere man meist bei einer Tasse Tee über das Alltägliche, die Ernte, die Familie, die Gesundheit. Wenn Kanchama dann das zweite oder dritte Mal vorbeigeschaut und über die Vorzüge der neuen Technik referiert hat, lässt er die Lampe zur Ansicht da. "Probieren Sie es aus!"