Julia Schuler zeigt in der Degerlocher Galerie Nieser digital bearbeitete Fotocollagen. Die Synästhesistin, die Buchstaben und Zahlen in Farben denkt, möchte die Einsicht dafür wecken, dass Wahrnehmung immer subjektiv ist.

Degerloch - Die Fotografin Julia Schuler ist Synästhesistin: Sie sieht Wörter und Zahlen als Farben. Für sie gibt es eine Art innere Leinwand, auf der zum Beispiel ihr eigener Name orange erscheint. Diese Zuordnung erfolgt automatisch und kann nicht unterdrückt werden. Sie ist unabhängig von Emotionen oder inhaltlichen Bedeutungen. Unter diesem Aspekt sind auch die künstlerischen Arbeiten von Julia Schuler zu betrachten, die vom 11. März bis zum 22. April unter dem Titel „Farbklang“ in der Galerie Nieser gezeigt werden. Es geht dabei um ein spannendes Spiel mit Wahrnehmung und Wirklichkeit. Die Motive der digital verfremdeten Fotocollagen sind manchmal erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Und was der eine Betrachter sieht, kann der nächste ganz und gar anders interpretieren.

 

Die Farb-Graphem-Synästhesie im Grundschulalter entdeckt

Julia Schuler, Jahrgang 1979, experimentierte schon zu Schulzeiten am Heidehof-Gymnasium mit Doppelbelichtungen. Sie studierte Malerei und Fotografie an der Freien Kunstakademie Nürtingen und Kommunikationsdesign an der Merz Akademie Stuttgart. Mit einer Kommilitonin eröffnete sie in Degerloch eine Agentur für Kommunikationsdesign, wo sie nebenbei auch ihren künstlerischen Neigungen nachgehen kann. Die Sache mit der Farb-Graphem-Synästhesie, wie das Phänomen, Buchstaben und Zahlen mit Farben zu belegen, offiziell heißt, hat Julia Schuler bereits im Grundschulalter an sich entdeckt. Begriffen habe sie es allerdings erst als Teenager, der mit dem eigenen Namen hadert: „Eigentlich mag ich die Farbe Orange nicht“, sagt sie.

Ihre virtuellen Collagen bestehen aus zwei Ausgangsfotografien, die sie kombiniert. Es sind Szenen oder Elemente, die sie digital neu zusammensetzt und verschmelzen lässt. So ist, was auf den ersten Blick wie Herbstlaub aussieht, in Wirklichkeit ein weiblicher Akt. „Ist das Motiv einmal erkannt, verändert sich die gesamte Wahrnehmung des Bildes“, erläutert die Fotografin. Das fände sie spannend: „Die Bilder sind ein Symbol unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit. Plötzlich entdecken wir Dinge, die eigentlich nicht zusammengehören“, sagt sie.

Tag oder Nacht? Das ist Interpretationssache

Julia Schuler möchte die Betrachter anregen, etwas Eigenes in ihren Bildern zu lesen. „Ich möchte die Einsicht dafür wecken, dass die Wahrnehmung anderer sich von unserer eigenen unterscheidet“, sagt die Synästhesistin, „sie ist immer subjektiv und individuell“. Ob ein Foto zum Beispiel Tag oder Nacht darstellt, das kann sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.

Manche ihrer Collagen erzählen eine Geschichte. So entdeckte die Fotografin während einer Reise verfallene Prachtbauten in Myanmar (früher Burma/Birma) neben einer golden leuchtenden Pagode. Die neueren Gebäude waren völlig verfallen, die viel ältere Pagode unversehrt. Bei Julia Schuler verschmelzen diese Gebäude zu surrealistisch anmutenden Strukturen.

In einem quietschbunten Künstlerdorf in der Nähe von Miami entdeckte Schuler einen alten Schaukelstuhl mit einer verschimmelten Puppe. „Gruselig“, fand sie und gibt die Stimmung nun mit einer grau-grünen Collage wieder. Dabei nutzt die Fotografin ein Gestaltungselement, das auch in der Malerei verwendet wird. Den „Monet-Effekt“ nennt sie das: Je näher man den Bildern kommt, umso mehr löst sich die Gegenständlichkeit in Unschärfe auf. Die Grenze zwischen Malerei und Fotografie wird aufgehoben. „Das ist wie im Leben“, sagt Julia Schuler, „manchmal braucht man etwas Abstand, um eine Situation zu erfassen“.

Öffnungszeiten
Die Ausstellung „Farbklang“ in der Galerie Nieser, Große Falterstraße 31/3, in Degerloch mit Arbeiten von Julia Schuler wird am Samstag, 11. März, um 20 Uhr eröffnet. Sie ist bis zum 22. April mittwochs bis freitags von 16 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 13 Uhr zu sehen