Wenn auf einem Laupheimer Firmengelände Grid-Girls lasziv in die Kamera blicken und alle Hüllen fallen lassen, dann ist Fotoshooting für den Liqui-Moly-Kalender. Beobachtungen am Set.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Laupheim/Ulm - Hoch wie ein Kirchenschiff aus Glas ragt der Showroom des Autoveredlers Hamann übers Laupheimer Industriegebiet. Vor dem Eingang steht, in höllischem Rot, die automobile Skulptur eines Ferrari 458 Italia, eingehüllt in Scheinwerferlicht und umzingelt von unzüchtigen Musen, die laszive Blicke schweifen lassen.

 

Die blonde Sissi gehört zu ihnen, sie hat einen Bikini in den Farben der US-Flagge ausgewählt: die Stripes oben, die Stars unten. Jede Anfangsvermutung, dass es sich hier um ein Statement für oder gegen die Trump-Administration handelt, zerstreut sich durch die Anwesenheit der schwarzhaarigen Estella, die einen politisch unverdächtigen roten Badeeinteiler trägt, noch mehr aber dadurch, dass am Ende dieses Nachmittags jene Kleidungsstücke ganz verschwunden sein werden. Und auf der befreiten Haut ist dann gar nichts mehr, nur noch das Körperöl mit Olivenduft, das die Assistentin Anna immer wieder aus einer Zerstäuberflasche versprüht, damit es auf den Fotos, die der Max schießt, auch schön glänzt.

Südafrika. Mallorca. Und jetzt Laupheim. Der Ulmer Motorenölhersteller Liqui Moly hat die Produktion seines Erotikkalenders einmal wieder in die Nähe der Firmenzentrale verlegt. Die Hamann-Leute haben ihre Luxusautos gern zur Seite gestellt. Fünf Tage lang wird fotografiert, jeden Morgen treten andere Models an. Die Inhaberin Marion Hamann beobachtet alles mit Skepsis. Einige ihrer Mechaniker seien „schon ganz schön ins Schwitzen gekommen“, sagt die Chefin. Schnappatmungen drohen. Aber für die Kundinnen ist der Kalender wohl nichts, oder? „Frauen interessieren sich auch für schöne Autos“, antwortet die Hausherrin. „Und für schöne Männer.“ Charmanter lässt sich ein Nein kaum formulieren. Liqui Moly hat es durchaus probiert im Jahr 2012. Da glänzte Öl auch auf unbekleideten Männerkörpern. Das gedruckte Resultat blieb dann liegen wie Blei.

Max ist Spezialist in dem Bereich

Fotograf Max Seam, Käppi, Sonnenbrille, Hipster-Bart, ordnet eine Pause an. Die Bikinigeschichte ist durchfotografiert, diese Motive sind für die weniger toleranten Abnehmer in arabischen oder skandinavischen Staaten gedacht. Die meisten späteren Besitzer der rund 160 000 Kalender erwarten Hüllenlosigkeit. Der Fotograf aus München liefert sie. „Ich bin ein Spezialist in dem Bereich“, sagt er. In seiner Kundenliste stehen die Magazine „Maxim“, „Playboy“ oder „FHM“. Die Kunst sei, die Statik der inszenierten Motive aufzulösen, Bewegung zu schaffen. Durch eines der Laupheimer Motive flirren goldene Papierschnipsel, ein andermal spritzt Sekt aus einer Flasche. Am Schluss, das ist der Auftrag, soll alles sexy aussehen, aber nicht pornografisch.

In einem Wohnwagen im hinteren Teil des Firmengeländes korrigieren die Botschafterinnen der Erotik Lidstriche nach und zupfen Strähnen zurecht. Anna, laut Eigenbeschreibung „die stille Fee im Hintergrund“, macht gute Laune durch Komplimente. „Das ist schon mein Job zu sagen, ihr seht toll aus“, erzählt sie. Klappt aber nicht immer. Die Vivien aus Budapest gibt sich zickig, wie die Anna in einem vertraulichen Moment raunt. Vielleicht, weil sie die einzige Darstellerin hier ist, die nicht aus München stammt und schon mal im „Playboy“ brillierte. Womöglich auch, weil ihr der strenge Max am Set die Randrolle des Grid-Girls mit dem Sonnenschirm in der Hand gegeben hat, während die beiden anderen Models als Rennfahrerin mit dem Helm in der Hand und als Boxeningenieurin mit dem Headset auf dem Kopf ganz vorne stehen dürfen.

Hamann braucht keine Werbung im klassischen Sinn. Das liegt am Kundenkreis, der keine Flyer liest und sich vermutlich auch keine Kalender aus Ulm ansieht. Rund 70 Prozent der in Laupheim getunten Autos gehen ins Ausland, sagt der Hamann-Verkaufsleiter Uli Schwarz. „Unsere Kunden haben schon alles gehabt im Leben.“ Ein paar deutsche Käufer gibt es doch: Mesut Özil gehört dazu. Oder Jérôme Boateng. War da nicht auch was mit den Geissens? Uli Schwarz fällt es wieder ein. Das schrecklich glamouröse Ehepaar von RTL 2 „hat ein paar Autos von uns“.

„Der Wurm muss dem Fisch schmecken“

Liqui Moly braucht Werbung. In jedem Tankstellen-Shop und Baumarkt stehen Flaschen mit Motoröl. Man könnte das auch das Red-Bull-Dilemma nennen: Weil der Produktinhalt im Prinzip unverändert bleibt, obliegt es der Marketingabteilung, immer neue Bilder in die Köpfe der Kundschaft zu pflanzen und frische Kaufanreize zu setzen. Beim Ulmer Hersteller geht es um die ewige Verbindung des Produkts mit Rennsport und Tempo.

Erotische Frauen kommen als Emo-Faktor dazu. Das funktioniert, weil die Abnehmer praktisch ausnahmslos Männer sind. Mit jedem neuen Kalender dringt das Schluchzen von Genderbewegten in die Unternehmenszentrale. „Es gibt schon immer wieder Proteste“, bestätigt der Manager und Prokurist Peter Baumann. Aber: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“

Ein Rätsel bleibt. Sex sells, in Ordnung, aber im Internet flackern Erotikbildchen mit Autogarnitur zu jeder Zeit in allen Härtegraden zehntausendfach. Wozu das Hochglanzpapier? Das stimme schon alles, pflichtet Sascha Jardel bei, Export-Marketingleiter bei Liqui Moly. Auf Messen seien die Kalender trotzdem immer in kürzester Zeit vergriffen, und dann tauchten sie nach verlässlichen Berichten von Außendienstmitarbeitern an Werkstattwänden und Spindtüren von Mechanikern wieder auf. Das alte Product-Placement funktioniert demnach wirklich weiter. Werbefachleute beklagen ja längst, wie das Internet sich zum Massengrab für Markenbotschaften entwickelt hat, wie die Aufmerksamkeit des Publikums zur unbezahlbaren Währung geworden ist. Ist der Sexkalender so begehrt, weil er so retro ist? Sascha Jardel überlegt lange, zupft an seiner Sonnenbrille und sagt: „Wir können es uns auch nicht erklären.“

Livestorys für Instagram

Man weiß so wenig. In der Pause vor dem Wohnwagen pusten Sissi und Estella fleißig Küsschen von den Handflächen in ihre Smartphones. Sie lächeln und schleudern dramatisch ihr Haar. Die Helferin Anna klärt auf: „Das gibt Livestorys für Instagram.“ Wer einmal Playmate war, hat mehrere Zehntausend Follower. Die da draußen wollen offenbar wissen, was ihre Idole an diesem so schönen Frühsommernachmittag treiben. Ob es denn sehr heiß ist. Und ob man behilflich sein kann.

Man kann nicht. Der Himmel über Laupheim kriegt plötzlich ein Kuhfleckenmuster, Wolkenfetzen überfliegen den Ferrari, Fotograf Max wird nervös und justiert seine Beleuchtungseinstellungen neu. Die Erotikmodelle eilen ein letztes entscheidendes Mal an diesem Tag ins Hell der Scheinwerfer. Wie auf geheimen Befehl, ohne jedes laute Wort, fallen alle Hüllen. Olivenöl stäubt, dann klickert die Kamera. Kein Vogel fällt tot vom Himmel, keine Blume verdorrt, kein Hamann-Mechaniker kriegt Atemnot. Der Max kontrolliert seine Bilder auf einem Tabletcomputer und winkt zufrieden. Danke, das war’s.