Das Restaurant in der Nähe Park Avenue ist eine Institution. Die Prominenz der Stadt geht hier ein und aus. Die saisonale Küche wurde hier erfunden. Jetzt muss es schließen, natürlich geht es ums liebe Geld.

New York - Die Welt der Schönen und der Reichen ist in New York eng verwoben. Niemand, der Macht und Einfluss hat, ist mehr als zwei Verbindungen von jedem anderen dieser Elite entfernt. Wenn es jedoch jemanden gibt, bei dem beinahe alle Fäden dieses Netzes zusammen laufen, dann ist es Graydon Carter. Das Restaurant „Four Seasons“ (Vier Jahreszeiten) in einer Seitenstraße der Park Avenue gelegen, war für ihn die beste Schule. ,„Hierher zum Lunch zu gehen, war für mich die beste Art und Weise zu lernen, wer in New York wer ist“, sagt Carter.

 

Carter ist seit mehr als 20 Jahren Chefredakteur des Magazins „Vanity Fair“. Somit kontrolliert er eine der noch immer wichtigsten Bühnen für die Prominenz der Stadt, alle Wege in den inneren Kreis führen unweigerlich über Carter. Diese Position hat er sich durch sein legendäres Dandytum erarbeitet, sowie durch seine erstaunliche Fähigkeit, Kontakte zu knüpfen, zu pflegen und zu nutzen.

Beim Lunch lernen, wer in New York wichtig ist

Als sein wichtigstes Klassenzimmer bei der Ausbildung zu seinem jetzigen Job bezeichnet Carter das „Four Seasons“, das von Mies van der Rohe und Philip Johnson gestaltete Restaurant an der Park Avenue, das an diesem Wochenende nach 57 Jahren seine Türen geschlossen hat. Im „Four Seasons“, so sagt man, wurden 80 Prozent der wichtigsten Geschäfte in der Stadt perfekt gemacht.

An jedem beliebigen Tag um die Mittagszeit versammelten sich in den beiden streng eleganten Räumen des „Four Seasons“ die wichtigsten Leute aus Medien und Show Business, aus Kunst und Finanz, aus Politik und Justiz. Im „Four Seasons“ geht es um Sehen und Gesehen-Werden. Prominente wie die Vogue-Chefin Anna Wintour, die Moderatorin Barbara Walters, der frühere US-Außenminister Henry Kissinger oder das deutsche Model Heidi Klum sind Stammgäste, dazwischen sitzen steinreiche Banker, einflussreiche Journalisten und Verlagsmanager und auch prominente Politiker.

„Ich habe es geliebt, wenn ich dort die wohltätige Society-Lady Brooke Astor gesehen habe, wie sie mit Philip Johnson luncht. Wenn ich David Rockefeller zusammen mit dem Financier John Loeb oder den Staatsanwalt Cyrus Vance mit dem Medientycoon und Bürgermeister Michael Bloomberg gesehen habe.“

Jackie Onassis nannte das Four Seasons „die Kathedrale“

Das Four Seasons war für die mächtigen Börsenmakler der Wallstreet so etwas wie ihr Wohnzimmer. Und der Staranwalt David Boies gesteht, dass er mindestens 500 Mal im „Four Seasons“ gegessen hat, manchmal sogar zwei Mal am Tag. „Es war so freundlich und friedlich dort“, sagt er. „Der perfekte Ort um Fälle auszuhandeln.“

Die Kennedy-Witwe Jackie Onassis, die ebenfalls „Four Seasons-Lunches“ liebte, nannte das Restaurant sogar „die Kathedrale.“ Grandios und doch schnörkellos, klassisch, erhaben, unaufdringlich – ein angemessener Treffpunkt für die Drahtzieher jener Metropole, die sich gerne als Hauptstadt der Moderne bezeichnet.

Das Gebäude verkörpert alles, wonach New York strebte

Als Kathedrale der Moderne war das „Four Seasons“ freilich von Anfang an geplant gewesen. Das Seagram- Gebäude, welches das Restaurant beherbergt, war die Frucht der Zusammenarbeit zwei der größten Männer der modernen Architektur – Philip Johnson und seines Mentors Mies Van der Rohe. So gilt das Seagram als Meisterwerk des sogenannten internationalen Stils, der in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in der Baukunst den Ton angab.

Der „internationale Stil“ verkörperte Vernunft, Fortschritt, Weltoffenheit, all das, wonach auch die Stadt New York selbst immer strebte. So zeichnete sich das Seagram durch die Klarheit seiner Linien, durch Transparenz und Schlichtheit aus und blieb auf Jahrzehnte in der Architektur wegweisend.

Picasso fertigte persönlich einen Wandbehang

Das „Four Seasons“ war das Kernstück des Seagram, ebenfalls von Johnson und Van der Rohe mit größter Sorgfalt durchdacht. Wie bei dem Gebäude selbst lag der Reiz des Restaurants in den Dimensionen, der Wahl der Farbtöne und der Baumaterialien. Die Einrichtung war vom Mobiliar bis hin zum Geschirr aufeinander abgestimmt, Picasso fertigte persönlich einen Wandbehang. Das Zentrum des Raums bildete ein quadratischer Pool, in dem Sofia Loren 1961 zur Premierenfeier ihres Films „Scheidung auf italienisch“ ein Bad nahm und sich dabei über ihre Kollegin Anita Eckberg lustig machte.

Die beiden Restaurantbetreiber Alex von Bidder und Julian Niccolini, die das Four Seasons Anfang der 70er Jahre übernahmen, waren ebenfalls Pioniere. Sie kochten ausschließlich mit frischen, natürlichen Zutaten der Saison und kombinierten sie zu extravaganten Kreationen. Heute in der guten Küche üblich, damals revolutionär. „Es war irrsinnig experimentell und aufregend“, erinnert sich die Restaurantkritikerin der New York Times.

Der Besitzer will die Jahresmiete verdreifachen

Niccolini und von Bidder kochten sich in die Herzen der Society. Doch seit drei Jahren drängt es trotz des Erfolgs und der Beständigkeit den Besitzer des Baus, Aby Rosen, zur Veränderung. Der Immobilien-Mogul ist der Meinung, es sei höchste Zeit für eine Modernisierung. Das Restaurant müsse zeitgemäßer werden und der Raum auch. „Ich mag die Betreiber sehr gerne“, sagte er der New York Times. „Aber ihre Zeit ist vorbei und manchmal müssen auch großartige Dinge wieder verschwinden.“ Den Picasso hat er bereits ans Museum für Moderne Kunst gegeben, das Mies-Mobiliar wird versteigert. Die Kommission für Denkmalschutz hat ihn zum Glück davor bewahrt, noch tiefere bauliche Eingriffe vor zu nehmen.

Der wahre Grund dafür, dass Rosen einen neuen Mieter sucht, dürfte indes sein, dass er hofft, auf dem heutigen Markt das Dreifache der Eine-Million-Dollar-Jahresmiete verlangen zu können, die das „Four Seasons“ bezahlt. Von Bidder und Niccolini werden derweil ein paar Straßen weiter ihr Restaurant wieder eröffnen. Viele Stammkunden haben ihnen schon ihre Treue zugesichert. Doch es wird in anderen Räumen nicht mehr dasselbe sein. Und so stirbt mit dem „Four Seasons“ eine große New Yorker Institution.