Beim Colours International Dance Festival im Stuttgarter Theaterhaus haben Francesca Harper und Louise Lecavalier die Zuschauer begeistert.

Stuttgart - Pur, fordernd, faszinierend – Francesca Harpers Stimme kann man sich nicht entziehen. Mucksmäuschenstille herrscht auf der zweiten Etage des Theaterhausfoyers, als die New Yorker Tänzerin und Choreografin beim Colours-Festival gefühlvoll die Jazzstandards des American Songbooks „Just One of Those Things“ und „Fly Me to the Moon“ intoniert, live begleitet von einer Geigerin und Cellistin. Der Auftakt zu einer höchst persönlichen Performance im kuscheligen T4: Das Multitalent Harper erzählte in „The Look of Feeling“ die Geschichte ihrer Mutter Denise Jefferson. Die Pionierin des schwarzen US-Tanzes, Bürgerrechtskämpferin der sechziger Jahre, leitete 26 Jahre bis zu ihrem Tod 2010 die School des Alvin Ailey American Dance Theaters.

 

Francesca Harper, Ex-Solistin in William Forsythes Frankfurter Ballett, beschreibt dies nun nicht linear, sondern in Fragmenten und Zeitsprüngen, gattungsüberschreitend mit Tanz, Sprache, Gesang, Audio-Einspielern, Projektionen. Sie beginnt am Ende, um in „Freiheit“ und „ohne Druck“ zu agieren, und geht dann zu den Wurzeln – den Jeffersons des 18. Jahrhunderts in Monticello, Virginia, die der Sklaverei entflohen, Anwälte und Doktoren wurden. Doch Denise, die Französisch studierte, weil im Ballett alle weiß waren, wollte „Showgirl in Paris“ sein, wie in den zwanziger Jahren. Anmutig stark tanzte Harper, rot behandschuht und behütet, die Träume ihrer Mutter. Sie streifte deren schwierige Ehe und begegnete der späteren Krebsdiagnose schwarzhumorig mit „Hospital. The Musical“, schwärmte als Alleinerziehende von den Siebzigern in New York. Frech umgetextet sang sie Puccini, interpretierte Eigenes und Anderes, um am Anfang zu enden. Als Zukunft kam ihre Tochter auf die Bühne. Bewegend!

Hoody überm Blondschopf

Nicht weniger unter die Haut ging „Battleground“ von Louise Lecavalier, Chefin der Kompanie Fou Glorieux. Mit 58 Jahren versprüht die einstige Frontfrau von La La La Human Steps, die seit den achtziger Jahren mit zeitgenössischen Experimenten und harten, akrobatischen Moves die kanadische Tanzszene aufmischten, eine Energie, die manch Jüngerer gerne hätte. Temporeich, eigenwillig wie einst, in Schwarz mit Hoody über dem berühmten Blondschopf schritt sie geradlinig und diagonal, vorwärts und rückwärts das quadratische „Schlachtfeld“ vor einer quadratischen Holzwand ab, das sich dank Lichttechnik farblich immer wieder veränderte, mal rot umrandet, mal in Rechtecke geteilt wurde. Rasant wiederholte sie kleine wie größere Bewegungen, kreiste die Arme um den Kopf, wirbelte sie wie ein Windrad durch die Luft, zuckte mit den Schultern, warf den Kopf hin und her, zitterte angespannt mit Händen oder Fingern, balancierte auf einem Bein, dazu den Unterschenkel durch die Luft kickend.

Als dann eine zweite Hoody-Gestalt (Robert Abubo) auftauchte, ging der Kampf erst richtig los. Hintereinander schoben sie sich mit gestreckten Armen, dann abgestützt auf den Händen an der Wand entlang, schubsten sich gegenseitig in Drehungen, angetrieben von Antoine Berthiaumes Elektrobeats, die er Gitarre und Mischpult entlockte. Mitunter wollte man „Stop! Genug!“ schreien. Alles Konzept: Lecavalier schafft es als tanzende Guerilla-Amazone wie eh und je, Wahrnehmung und Ausdauer des Zuschauers zu fordern. Das sollte man sich unbedingt antun.