Seit 1993 schießt Franceso Totti für den AS Rom Tore – so treu sind nur die allerwenigsten Fußballer. Und selbst mit 38 Jahren denkt er noch nicht ans Karriereende.

Rom - Er wird am 7. Juni 2015 als glücklichster Mensch der Welt aufwachen. Zumindest wünschte sich Francesco Totti, bei dessen Club AS Rom die Bayern an diesem Dienstag in der Königsklasse antreten, dieses Szenario zu seinem 38. Geburtstag Ende September. Es ist der Morgen nach dem Finale der Champions League in Berlin – mit der deutsche Hauptstadt verbindet er seit dem italienischen WM-Erfolg 2006 ohnehin angenehme Erinnerungen. „Vielleicht bedeutet der Ort für mich ein günstiges Schicksal. Gott existiert, also vertraue ich auf den Glauben.“

 

Der Fußball-Gott zeigte diesem Vertrauen bisher die kalte Schulter. Als Junge sah der passionierte Fan seine AS Roma 1984 im heimischen Olympiastadion das Landesmeister-Endspiel gegen Liverpool verlieren. Als Profi war der zweimalige Einzug ins Viertelfinale der Königsklasse sein größter Erfolg. Seit dem Tor bei Manchester City steht Francesco Totti unter „ältester Torschütze der Champions League“ wenigstens in den Rekordstatistiken des großen europäischen Wettbewerbs.

Freilich hätte er Rom zum Titelscheffeln verlassen können. 2004 stand er kurz vor einem Wechsel zu Real Madrid, sein Herz ließ einen Umzug am Ende nicht zu. „Ich bin bei der Roma groß geworden, war immer Fan des Vereins und werde bei der Roma sterben“, sagte er einmal. Aus Tottis Mund klingt das nicht nach schalem Pathos. Man würde ja auch nicht das Kolosseum aus Rom transferieren, geschweige denn den Fußball-König der Stadt.

Sehr beliebt: die Totti-Witze

Für den Rest des Landes hingegen war Totti vor einigen Jahren eher italienisches Pendant zum Ostfriesen. Italien amüsierte sich begeistert über die allerorts kursierenden Totti-Witze, die dem Capitano viel Schadenfreude eintrug. „Name? Francesco. Nachname? Totti. Geboren? Ja.“

Oder der. Bei einer Reise an den Nil sieht Totti Krokodile und sagt zu seiner Frau erstaunt: „Lacoste hat es echt drauf. Jetzt sind die schon Sponsor von Flüssen.“ Er lachte über sich selbst, sammelte die Kalauer und gab zwei Bücher heraus – „Alle Witze über Totti, von mir gesammelt“, der komplette Erlös ging an Unicef. Die Selbstironie fand Anklang. „Die meisten waren ja tatsächlich sehr lustig. Außerdem war es eine selbstreinigende Phase, die Bücher herauszubringen. Man versteht mehr von den Schattenseiten der Popularität“, begründete der Römer.

Von Popularität kann der 38-Jährige reichlich plaudern. Geboren? Si. In der Ewigen Stadt und seither Ikone. Totti begann mit 13 Jahren bei der Roma und ist die letzte so genannte „Bandiera“ (Flagge) des italienischen Fußballs, weil er nie für einen anderen Club spielte. Auch deshalb geht sein Status in einer der hysterischsten Fußballstädte Italiens weit über den des Spielers hinaus. Sein Name und Konterfei zieren die Wände der Metropole, sie rufen ihn „unser Jungchen“. Die Hochzeit mit TV-Sternchen Ilary Blasi im Juni 2005 wurde zum Medienereignis. Der Sender Sky24 berichtete auf seiner Nachrichtenplattform damals stundenlang, am Ende mussten auf Grund des großen Andrangs Bushaltestellen verlegt oder gesperrt werden.

Unterstützung für krebskranke Kinder

„Manchmal ist es erdrückend, doch ich stehe bei dieser Stadt in der Schuld“, sagte Francesco Totti. „Letztens wollte ich meinen Sohn beim Kicken zuschauen, schrieb jedoch die ganze Zeit Autogramme und sah keine Sekunde des Spiels. In solchen Momenten wäre ich gerne nur Vater, nicht auch Francesco.“ Viele Römer müssen nicht lange überlegen, welcher Francesco der bedeutendere ist: der Papst oder die Nummer 10 der Roma? In den Krankenhäusern der Hauptstadt besucht Totti ohne Medienrummel regelmäßig krebskranke Kinder, er unterstützt die römischen Tierheime, und sein Labrador Ariel rettete 2008 ein Mädchen vor dem ertrinken. Das macht einen zum Liebling.

Totti bestreitet im Club seine 23. Saison. Seine Mutter, bekennende Roma-Anhängerin, warf den Vertreter vom Konkurrenten Lazio aus dem Haus, als dieser den jungen Francesco anwerben wollte. „Hätten sie mich an den Feind gegeben, hätte ich sie wohl umgebracht“, scherzte Totti.

So spielt Totti gefühlt seit Gründung der Stadt im Dress der Gelb-Roten, für die er so gut wie jeden erdenklichen Rekord hält – wie die 293 Tore und die 714 Pflichtspiele oder die 90 Europapokalpartien. „Er ist, ein einzigartiges Genie, eine Naturgewalt und hat die Physis eines 28-Jährigen – so kann er noch auf Jahre seine Karriere fortsetzen“, sagt der Trainer Rudi Garcia. Was danach kommt, weiß Totti noch nicht. Den Trainerjob hat er jedenfalls ausgeschlossen: „Das tue ich mir nicht an, Fußballer sind einfach zu verrückt.“ Mindestens bis 40 will er sich weiter im Kreise der Verrückten tummeln – und 7. Juni 2015 als glücklichster Mensch der Welt aufwachen.