Die Bilder sind kraftvoll, aufwühlend, aber auch sorgfältig komponiert. Die Staatsgalerie Stuttgart widmet sich einem der besten Maler des zwanzigsten Jahrhunderts: Francis Bacon.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Margaret Thatcher war schockiert. Francis Bacon, meinte die Eiserne Lady, das sei doch der Mann, der diese „schrecklichen Bilder“ male. Bilder, auf denen menschliche Körper wie Fleischpakete am Metzgerhaken hängen – wund, aufgelöst, bloßgestellt. Diese verlorenen Kreaturen machten Francis Bacon schon bald zu einem der erfolgreichsten Künstler der Welt. Auch das derzeit teuerste Gemälde stammt von ihm. Seine Zeitgenossen aber verstörte die Drastik seiner Darstellungen. Er konterte gelassen: Seine Gemälde könnten nicht annähernd so entsetzlich sein, wie es das Leben selbst ist.

 

Inzwischen liefern Film und Fernsehen längst grausamere Bilder, als Bacon sie je geschaffen hat. Nach den Höhenflügen auf dem Kunstmarkt, den Auszeichnungen und internationalen Ausstellungen stellt die Staatsgalerie Stuttgart Bacons Malerei auf den Prüfstand – 24 Jahre nach seinem Tod. Die Sehgewohnheiten mögen sich verändert haben, das Publikum mag abgebrühter sein, doch „Francis Bacon: Unsichtbare Räume“ beweist: Seine Bilder haben nichts an Kraft und Qualität eingebüßt. Es ist ein starkes, bewegendes, ein exzeptionelles Werk.

Das mag damit zu tun haben, dass Francis Bacon in seiner Malerei Biografisches verarbeitete. Er wurde 1909 als Sohn britischer Eltern in Dublin geboren. Der Vater war gewalttätig. Als er erfuhr, dass Francis schwul ist, warf er den Jungen aus dem Haus. Bacon reiste lange durch die Welt, lebte in London, Berlin, Paris, er arbeitete als Croupier und war selbst spielsüchtig. Ein Lebemann, der durch die Londoner Bars und Clubs zog und immer wieder bei gewalttätigen Männern landete. „Es gab so viel Krieg in meinem Leben“, hat er einmal gesagt.

Fleischknäuel beim Geschlechtsakt

Bacons Thema ist der existenzielle Kampf des Menschen, der ihn deformiert und derangiert. Er platziert in ästhetisch ansprechende, klare Kompositionen Leiber, denen der Oberkörper fehlt, Gestalten, die wirken, als seien sie in der Zentrifuge geschleudert worden oder am Computer gemorpht. Die rosarote Haut ist mit bewegten Strichen gemalt, die Gesichter sind verzerrt, als habe der Künstler über die noch nasse Farbe gewischt. Erst allmählich erkennt man, dass das Fleischknäuel auf dem Triptychon „Studie nach dem menschlichen Körper“ von 1970 aus zwei Leibern besteht, die in verzweifeltem Geschlechtsakt miteinander ringen. Dann wieder einsame Gestalten wie auf „Mann und Kind“ von 1963, bei dem sich ein Mädchen suchend dem Erwachsenen zuwendet, der wie zur Abwehr die Beine eng verschlungen hat.

Die Kuratorin Ina Conzen hat den Fokus ihrer Ausstellung auf die Raumkonstruktionen in den Bildern gelegt und macht deutlich, dass Bacon diese gemalten Schreie der Seele keineswegs impulsiv gestaltete, sondern die Motive sorgfältig komponierte. Häufig platziert er seine Figuren in Manegen oder auf runden Podesten, er sperrt sie in Käfige, Zellen, enge Räume und nutzt dabei gezielt geometrische Figuren wie Kreis und Kubus.

Dabei erweist sich Bacon als ein Meister der Gegensätze: Er bringt in seine klaren, einfachen Bildaufbauten Dynamik, indem er Körper und Gesichter verwischt. Geschickt verzahnt er Außen- und Innenraum, Enge und Offenheit, Isolation und Zurschaustellung. Auch die Kontraste zwischen Gestischem und Geometrischem, zwischen amorphen Körpern und satten, frischen Farbflächen machen die Gemälde so spannungsreich. „Ich wollte in zunehmendem Maße die Bilder einfacher und komplizierter machen“, meinte Bacon– und meistert diesen Widerspruch versiert.

Direkt in die Nervenbahn

Die Stirling-Halle der Staatsgalerie ist in unaufgeregtes Grau getaucht und in kleine Kojen unterteilt, durch die ein dramaturgisch wohl komponierter Weg führt. Die Sektionen zu Kuben und Vorhängen oder dem Schrei nach Raum laden ein zur distanzierten Analyse der Bilder, die sich aber durch ihre sinnliche Kraft auch ganz unmittelbar erschließen, „direkt auf das Nervensystem wirken“, so Bacon. In früheren Jahren bleibt er als Maler mitunter nah an der Wirklichkeit. Bei der „Studie für ein Porträt“ von 1953 hat er den Mann im Anzug detailreich ausformuliert, und man sieht, wie hervorragend er, der doch eigentlich Autodidakt war, sein Handwerk beherrschte. Faszinierend erfasst er die Physiognomie und verwischt und verwirbelt sie zugleich fast brutal.

Interessant ist auch ein Kabinett der Ausstellung mit beiläufigem Material aus dem Maler-Atelier, das übrigens rechtschaffen unaufgeräumt war, „weil Chaos mich zu Bildern anregt“, wie Bacon bekannte. Hier entdeckt man kleine Zeichnungen, die belegen, dass er sehr wohl vorab Skizzen machte, auch wenn er das dementierte. Eine Seite aus einem Boxsportmagazin verrät, woher Bacon seine Motive mitunter nahm. Auf eine Fotografie aus dem Boxring aus dem Jahr 1919 hat er schnell eine Figur in engem Umraum skizziert, die er später auf die Leinwand übertrug.

Der Maler in der Metzgerei

„Je künstlicher man etwas machen kann, desto größer ist die Chance, dass es real aussieht“, meinte Bacon und verformte Mensch und Objekt, löste sich von der Realität, legte dabei aber seine Strategien stets offen. Das macht sein Werk außergewöhnlich: dass es nicht hermetisch sein will und erst recht nicht elitäre l’art pour l’art für den Kunstbetrieb. Bacon hat sich zwar sehr wohl etwa auf Pablo Picasso bezogen, der in der Darstellung seiner Gesichter mehrere Perspektiven vereinte. Er schulte sich auch an den Fotografien Eadweard Muybridges, der mit seinen Serienaufnahmen die Bewegungen darstellen wollte, etwa eines reitenden Pferdes. Aber Bacon verhandelte diese kunsthistorischen Referenzen und formalen Fragestellungen nie um ihrer selbst willen, sondern verknüpfte sie mit inhaltlichen Aspekten. Die Figur im Raum ist bei ihm immer auch Sinnbild für die Existenz an sich.

Die Staatsgalerie kann mit vielen Leihgaben aufwarten, mit Arbeiten aus dem New Yorker Museum of Modern Art, der Londoner Tate Gallery und der Berliner Nationalgalerie. Eine kleine Auswahl früherer Werke erinnert daran, dass auch der heute immens teure Künstler klein anfangen musste: Die surrealistisch anmutende „Figurenstudie II“ von 1945/46 hat wenig mit dem späteren Werk zu tun, überzeugte die Surrealisten allerdings nicht davon, den jungen Maler in ihren Kreis aufzunehmen. Auch das Porträt Lucian Freuds aus dem Jahre 1951 wirkt noch unentschieden.

Das früheste Bild in der Stuttgarter Ausstellung ist die „Kreuzigung“ eines Tierkadavers von 1933, die allein wegen des kleinen Formats heraus sticht. Gläubig war Bacon nicht, selbst wenn er immer wieder schreiende Päpste malte, von denen einige auch in der Staatsgalerie zu sehen sind. Ihr güldener Thron ist wie ein Gefängnis, gegen das die Würdenträger anbrüllen. Für Bacon war es ausgemachte Sache, dass es auch im Jenseits keine Erlösung geben wird – und der Mensch wie Schlachtvieh endet. Bacon ging häufig in Metzgereien und Schlachthäuser und war jedes Mal überrascht, dass nicht er es ist, der da am Haken hängt.

Ausstellung bis 8. Januar 2017, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Der Katalog ist im Prestel Verlag München erschienen und kostet 24,90 Euro.