Immer bessere Lesegeräte verändern die Buchbranche drastisch. Die Digitalisierung ist in vollem Gange, Experten diskutieren die Folgen.  

Frankfurt - Das kleine nostalgische Spiegelzelt, früher ein zentraler Ort des Messegeschehens, an dem man nicht vorbei kam, hat seinen Platz räumen müssen. Dennoch wird hier die wichtigste Frage der Buchbranche verhandelt, vielleicht intensiver als in jenem futuristischen, weißen Etwas, dass den Platz des Zeltes in der zentralen Halle eingenommen hat. Der Audi-Pavillon sieht aus wie ein Ufo mit seinen rotverwischten Fenstern, die wie Bremslichter in der Nacht leuchten.

 

Dort sollen sich, wie es heißt, publizistische Vergangenheit und Zukunft begegnen. Im Spiegelzelt hingegen, abseits und zugig gelegen, bietet Ranga Yogeshwar seine Wette auf die Zukunft an. "In sieben Jahren", so prophezeit der omnipräsente TV-Moderator und Physiker, "werden 80 Prozent aller Bücher in digitaler Form verkauft, und nur noch 20 Prozent werden auf Papier gedruckt sein."

Das ist die radikalste Prognose, die in diesen Tagen auf dem Frankfurter Messegelände zu hören ist. Und sie verstört: Die Zuhörer Yogeshwars, der im Spiegelzelt gemeinsam mit seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch sein Multimediawerk "Rangas Welt" präsentiert, setzen sich erstaunt auf, manche winken ab und murmeln "ach was" vor sich hin. Manche blicken besorgt drein.

Konkurrenz zwischen Amazon und den Buchläden

Schon seit Jahren schwebt die Digitalisierung der Buchwelt wie eine dunkle Wolke über der Branche und damit auch über ihrem jährlichen Treffen am Main. In diesem Jahr hat es nun aus der Wolke zu regnen begonnen. Und ob aus dem Guss nur ein vorübergehendes Gewitter wird oder gar eine Sintflut, die nur wenige überleben, darüber sind sich Buchhändler, Autoren und Verleger in diesen Tagen nicht einig.

Just seit dem ersten Messetag am Mittwoch liefert der US-Internetbuchhändler Amazon sein elektronisches Buchlesegerät Kindle eReader in Deutschland zum Einstiegspreis von Preis 99 Euro aus. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels konterte am gleichen Tag mit einem aufwendigeren Gerät des Herstellers Trekstore, das sich der Buchhandel für den gleichen Endkundenpreis in die Läden stellen kann. Der Vorteil für die Händler: Der Onlineshop, der auf dem Gerät läuft, verschafft ihnen 20 Prozent an jedem verkauften E-Book. Liest der Kunde hingegen auf dem Kindle, verdient daran Amazon.

Damit ist die Schlacht um den Kunden eröffnet: Die Lesegeräte sind erschwinglich geworden und werden in den nächsten Monaten sicher noch billiger. Spätestens für die Weihnachtsfeiertage erwartet die Branche rasant in die Höhe schießende Downloadzahlen - wenn all die Lesegeräte, die unter dem Weihnachtsbaum liegen, gefüttert werden.

Ranga Yogeshwar glaubt an die radikale Digitalisierung

In den USA liegt der Marktanteil digitaler Bücher bereits jetzt bei rund 15 Prozent, mit der Insolvenz der zweitgrößten Buchhandelskette Borders hat die Digitalisierung ihr erstes spektakuläres Opfer gefordert. Hierzulande liegt der Anteil digitaler Bücher am Absatz mit einem bis zwei Prozent noch im vernachlässigbaren Bereich. Auf neun Prozent könnte er bis zum Jahr 2015 steigen, hat der Börsenverein nach einer Umfrage unter Verlagen und Buchhändlern im März prognostiziert.

Ranga Yogeshwar schüttelt darüber nur den Kopf. "Das zeigt nur, dass die Leute noch nicht verstanden haben", sagt er am Stand seines Verlages. Yogeshwar ist ein lebhafter Mensch, der gerne Fragen stellt und um Antworten nicht verlegen ist, der gestikuliert und ständig nach seinem iPad greift, um online etwas zu suchen oder etwas vorzuführen. E-Reader? Ja, er hat sie alle, sagt er, und klar: Was da zwischendurch klingelt, ist Yogeshwars iPhone.

"Ich bin mit der Deutschen Grammophon aufgewachsen. Wissen Sie, wie viele Leute dort noch arbeiten?", fragt er. "Vier!" Und genauso werde es den Verlagen ergehen, wenn sie nicht aufpassten. Und was ist mit der viel beschworenen Haptik, die ein Buch hat, ein E-Reader aber nicht? "Ich mag auch Pferde und fahre Auto", kontert der 52-Jährige, die Vorteile digitaler Bücher seien nun einmal schlagend - zumal die Technik ja immer besser werde. Manchmal komme ihm die Buchmesse vor wie ein "Kongress der Postkutschenlobby". Er sagt es freundlich, wehmütig.

Gedruckte Bücher lassen sich besser einpacken

Klaus Willberg ist ein zurückhaltender Mensch. Auf dem Tisch vor sich hat der Verleger von Michael Ende, Ottfried Preußler und James Krüss ein feines, schwarzes Brillenetui und eines jener Notizbüchlein liegen, wie sie schon Oscar Wilde benutzte. Und selbst, wenn es um digitalisierte Bücher geht, zückt der Chef des Stuttgarter Kinder- und Jugendbuchverlags Thienemann kein Smartphone, kein Lesegerät und auch keinen Tablet-Computer. Am Thienemann-Stand sucht man solche Geräte vergebens.

Ja, auch Thienemann bringe mittlerweile alle Novitäten zugleich auch als E-Book heraus. Und mehrere Apps habe der Verlag auch im Programm. "Wir wollen vorbereitet sein", sagt Willberg und wirkt ansonsten wenig aufgeregt. Zumindest für Kinder wird es immer Bücher geben, ist er sich sicher. Schließlich sei die Kinder- und Jugendbuchabteilung die beratungsintensivste einer Buchhandlung. "Im Internet berät Sie keiner." Und schließlich seien die meisten Bücher Geschenke. "Und ein E-Book kann man nicht in Papier wickeln und eine Schleife drum binden. Das ist bei einem Kindergeburtstag nicht sexy."

Und was ist mit der Prognose, dass die Autoren massenhaft zu Amazon gehen werden, weil der Onlinebuchhändler, der sich in letzter Zeit auch als Verlag breitzumachen versucht, ihnen 70 Prozent bietet und damit ein Vielfaches dessen, was sie bisher erhalten? Auch das macht Willberg nicht nervös: Autoren brauchten Verleger, einen Lektor, der "korrigiert, therapiert und Mut macht. Michael Ende wusste nicht, wie ,Die unendliche Geschichte' zu Ende gehen sollte. Also flog sein Lektor nach Rom und half ihm, den Schluss zu finden."

Das Buch als Bildungs- und Kulturgut

Dass sich das digitale Buch verbreiten wird, daran zweifelt nun niemand mehr ernsthaft - nur wie schnell, wie weit und unter welchen Opfern, ist nicht klar. Taschenbücher werden es schwer haben, heißt es allenthalben, gedruckte Bücher werden aufwendiger und teurer. Und dass es in Deutschland eine besondere Ehrfurcht vor dem gedruckten Buch gibt. Das ist dank Luther so, wie der Buchwissenschaftler Stephan Füssel sagt: Die massenhafte Verbreitung der Luther-Bibel habe das Buch in Deutschland bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zur "geheiligten Ware" gemacht, was durch Klassikerverehrung ab dem 18. Jahrhundert noch verstärkt worden sei.

"Noch in den fünfziger Jahren war es an den Universitäten verpönt, Klassiker oder wissenschaftliche Bücher als Taschenbuch zu besitzen!", erinnert sich der weißhaarige Wissenschaftler. Der billige Einband galt als dem Inhalt nicht angemessen. Ähnliche Abschätzigkeit widerfahre nun dem digitalen Buch.

Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen, welche Folgen die Digitalisierung hat, ist man sich doch in einem einig: Darüber, wer die Bösen sind. Es sind Amazon, Apple und Google, die das Geschäft an sich ziehen und kontrollieren, weil sie die Kanäle besitzen, über die E-Books zumeist verkauft werden. Um ihnen Einhalt zu gebieten, ruft so mancher, darunter Yogeshwar, sogar nach dem Staat. Amazon und Co. wird das wohl nicht weiter jucken. Sie sind noch nicht einmal nach Frankfurt gekommen. Nur Google ist da. Mit einem Stand, der dadurch auffällt, dass er gänzlich ohne Bücher auskommt.