Der überregionale Teil der "Frankfurter Rundschau" soll künftig in der Hauptstadt in der Redaktion der "Berliner Zeitung" entstehen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Frankfurt/Main - Abgesänge auf die "Frankfurter Rundschau" hat es schon viele gegeben. Seit mehr als einem Jahrzehnt siecht das linksliberale Traditionsblatt mit der grünen Dachlinie über den schwarzen Titellettern dahin. Alle bislang ergriffenen Notfallrettungsmaßnahmen scheinen den Patienten nicht dauerhaft stabilisieren zu können: rigider Sparkurs, kontinuierlicher Stellenabbau, Eigentümerwechsel - Haupteigner ist seit 2006 das Kölner Verlagshaus M. DuMont Schauberg (MDS), die SPD-Medienholding DDVG hält vierzig Prozent -, Umstellung auf das kleinere Tabloidformat oder zuletzt im vergangenen Jahr die Kooperation mit der ebenfalls MDS-eigenen "Berliner Zeitung". Den Auflagen- und Anzeigenschwund, unter dem die FR leidet, haben all diese Rezepturen nicht aufhalten können. Zuletzt ist die Zahl der verkauften Exemplare auf 130.000 gesunken, vor zehn Jahren waren es noch mehr als 190.000.

 

Und auch jetzt wieder wird das nahe Ende der FR heraufbeschworen, angesichts des neuerlichen Schlags, den das überrregionale Qualitätsblatt trifft. Es fällt schwer, dieses Mal nicht in den Trauerchor einzustimmen: Knapp die Hälfte der 190 Redakteure müssen mit Kündigungen rechnen. Es kommen zwar andererseits neue Stellen hinzu, ließ die Geschäftsführung verlauten, doch unterm Strich fallen 44 Stellen ganz weg. Die bisherige Kooperation mit der "Berliner Zeitung" wächst sich zu einem Zusammenschluss aus - faktisch geht die FR in der "Berliner Zeitung" auf.

Nur der Lokalteil bleibt in Frankfurt

Denn von Sommer an soll der Mantelteil der FR gänzlich in Berlin gemacht werden. Die 120 Redakteure der "Berliner Zeitung" werden dann, unterstützt von zwanzig Kollegen, die aus Frankfurt in die Hauptstadt übersiedeln, in den Ressorts Politik, Wirtschaft, Feuilleton und Sport die überregionalen Seiten für beide Zeitungen produzieren. Bisher bestückte eine im April 2010 gegründete Redaktionsgemeinschaft mit 25 Autoren lediglich die Wirtschafts- und Politikseiten beider Blätter sowie weiterer MDS-Titel wie des "Kölner Stadtanzeigers" und der "Mitteldeutschen Zeitung"; etwa sechzig Prozent des Inhalts beider Politikteile waren identisch. Nun wird die Vereinheitlichung auf den ganzen Mantel ausgedehnt, und die Blattmacher werden die Seiten beider Zeitungen bearbeiten.

In Frankfurt verbleibt nur der Lokalteil, außerdem sollen der Internetauftritt und weitere digitale Inhalte, etwa die I-Pad-App von FR und "Berliner Zeitung" vom Main aus betreut werden. Die FR wird keine eigenen Chefredakteure mehr haben: Ein Dreierteam soll beide Blätter führen; ihm gehören Brigitte Fehrle, die Leiterin der Redaktionsgemeinschaft, und einer der beiden bisherigen FR-Chefredakteure, Rouven Schellenberger, an sowie Uwe Vorkötter. Der Chefredakteur der "Berliner Zeitung", der von 2006 bis 2009 die FR führte und 1995 bis 2001 Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung war, wird als Primus inter Pares an der Spitze stehen. Anders sei die Existenz der Zeitung nicht zu sichern, begründete der Verleger Alfred Neven DuMont die Radikalkur und versuchte, der Belegschaft ihre vielleicht größte Angst zu nehmen: "Das, was die ,Frankfurter Rundschau' in Ton und Meinung auszeichnet, bleibt auch unter diesen Bedingungen erhalten."

Es klingt nach einer schizophren anmutenden Konstruktion

Ein Versprechen, dem die Mitarbeiter indes keinen Glauben schenken: Bei einem Warnstreik haben sie am Donnerstag den Verbleib des FR-Mantels in Frankfurt gefordert. Um weiterhin glaubwürdig zu sein, müsse die "Frankfurter Rundschau" in Frankfurt geschrieben und produziert werden". In dem Umbau keine Abwicklung und keinen Verlust der publizistischen Eigenständigkeit zu erkennen, fällt tatsächlich schwer. Die "Berliner Zeitung" dominiert das Gespann nicht nur personell, auch wirtschaftlich besteht ein klares Gefälle zwischen der schwarze Zahlen schreibenden Hauptstadtzeitung und dem Frankfurter Blatt, das im vergangenen Jahr 19 Millionen Euro Verlust machte. Und die Idee, dass die gleichen Köpfe zwei völlig unterschiedliche Zeitungen denken und machen sollen, klingt nach einer recht schizophren anmutenden Konstruktion.

Uwe Vorkötter, mit beiden Blättern bestens vertraut, ist dieser Spagat zwar zuzutrauen, dasselbe mag für die mit Doppelspitzen aus beiden Häusern besetzten Ressortleitungen gelten. Doch für den leidenschaftlichen Diskurs über Positionen, den die bisherigen FR-Redakteure identitätsstiftend für ihre Zeitung halten, wie sie nun an ihre Leser schrieben, bleibt in diesem Modell kaum Platz - die FR-Köpfe werden ja größtenteils weggespart. Bis die Berliner Redakteure womöglich den spezifischen Frankfurter Blick auf das Tagesgeschehen eingeübt haben, den vor allem die Abonnenten im Rhein-Main-Gebiet an ihrer Zeitung schätzen, dürfte langes und hartes Training notwendig sein.

Achtzehn Monate Galgenfrist

Der Wille zumindest, das linksliberale Profil der Rundschau, die traditionell bei Themen aus der Sozialpolitik, Ökologie und Bildung einen starken Auftritt hat, zu erhalten und das Blatt nicht zu einer Lokalzeitung zu degradieren, mag gegeben sein. Wahrscheinlich haben die Gesellschafter gar den Anspruch, mit dieser "Berlin-Frankfurter-Rundschau-Zeitung", wie "Die Tageszeitung" sie nannte, ein neues Zeitungsmodell zu entwickeln. Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, ist Angriff die einzig mögliche Verteidigung. Kosten von etwa zehn Millionen Euro jährlich sollen eingespart werden, bis 2013 will der Verlag schwarze Zahlen sehen. Ob das für ein Blatt, das sich erst wieder finden muss, auf einem durch die Digitalisierung unter enormem Druck stehenden Zeitungsmarkt zu schaffen ist? Achtzehn Monate beträgt die Galgenfrist. Danach wird sich zeigen, ob die Abgesänge weitergehen.