Vom BWL-Studium in die großen Küchen: Die Französin Hélène Darroze (48) wird vom britischen Magazin „Restaurant“ als beste Köchin der Welt ausgezeichnet.

Stuttgart -  Das Rezept ist denkbar einfach. Wer beste Köchin der Welt werden will, muss sich selbst treu bleiben. Hélène Darroze sagt das. Sie muss es wissen. Sie hat es schließlich geschafft. Das britische Magazin „Restaurant“  hat sie zur Besten ihres Fachs gekürt. Die Auszeichnung wird die Französin am Montag, 1. Juni,  in der Londoner Guildhall entgegennehmen, dem altehrwürdigen ehemaligen Rathaus der Stadt.

 

Mit simplen Rezepten ist das freilich so eine Sache. Was für Darroze, die in vierter Generation den schon vom Urgroßvater professionell geschwungenen Kochlöffel ergriffen hat, kleines Kücheneinmaleins ist, mag weniger Geübten wie hohe Mathematik erscheinen. Man denke nur an das Feigenkompott-Rezept, das die 48-Jährige kürzlich im französischen Fernsehsender M6 präsentiert hat. Die Zubereitung sei ganz einfach, hatte sie gesagt – und dann war die Post abgegangen, dass die langen blonden Haare der Fernsehheldin nur so flogen. In gefühlten 30 Sekunden viertelte Madame Feigen, gab sie in einen Topf, schlitzte Vanilleschoten auf, streute den Inhalt sowie Zucker und eine Prise Timut-Pfeffer aufs Obst, schlug Sahne, zog Mascarpone unter, kippte Streusel drüber.

Die Meisterköchin versucht immer, ihrem Instinkt zu folgen

Und einfach sich selbst treu bleiben, führt natürlich auch nur denjenigen oder besser: Diejenige von den Niederungen des heimischen Herds in den Haute-Cuisine-Olymp hinauf, die das Zeug dazu hat – sei es, dass es ihr in die Wiege gelegt wurde, sei es, dass sie es später erworben hat. Wobei im Fall von Hélène Darroze beides zusammenkam.  Als kleines Mädchen hatte es sie bereits in die Küche gezogen. Schon damals, im südwestfranzösischen Weiler Mont-de-Marsan, freute sie sich an jeder Zutat, nahm neugierig Hähnchenschlegel oder weißen Trüffel in die Hand, probierte dies und jenes aus, ließ sich von Gefühlen leiten, von Eingebungen des Bauches.

Heute tut sie es noch immer. „Ich versuche, vor allem dem Instinkt zu folgen“, sagt Darroze. „Was auf den Teller kommt, zeugt bis zum letzten Detail von dem, was ich bin; es ruft Sinnenerlebnisse wach, rührt an Erinnerungen.“ Dann zeugt, was Darroze auftragen lässt, wie eh und je von Lebensfreude. Alles an dieser Frau signalisiert: Ich bin eine Genießerin: die Leibesfülle, die Lachfalten oder auch die Offenheit in Liebesdingen. Unbekümmert hat sie kürzlich erst als Jury-Mitglied eines Nachwuchswettbewerbs wissen lassen, dass sie weniger vom Talent eines jungen Kochs namens Olivier beeindruckt sei als von dessen attraktivem Äußeren.

Zeit für ihre beiden Töchter findet Darroze nur selten

Als Erwachsene musste Darroze dann noch lernen, sich und ihre Kochkunst zu vermarkten. Nach einem Betriebswirtschaftsstudium heuerte sie in Monacos Gourmet-Tempel Louis XV an. Dem Altmeister Alain Ducasse schaute sie dort über die Schulter, und zwar nicht nur in der Küche, sondern vor allem auch im Büro. Der wie Darroze aus Südwestfrankreich stammende Starkoch versteht sich aufs Geschäft. Ducasse gebietet über ein globales Gastronomie-Imperium. Auf drei Kontinenten besitzt er mehr als zwei Dutzend Restaurants, über denen zusammen rund 20 Michelin-Sterne glänzen.

Nach vier Jahren im elterlichen Restaurant „Relais et Châteaux“ fühlte sich die Köchin  gewappnet für den Schritt in die Selbstständigkeit. In Paris eröffnete sie 1999 ihr erstes Restaurant, benannte es passend zum Credo, dass eine gute Köchin sich selbst treu bleiben sollte, „Hélène Darroze“. Neun Jahre später ging sie nach Großbritannien, übernahm die Leitung der Londoner Hotelküche des „The Connaught“. Hier wie da gab es Auszeichnungen: einen Michelin-Stern für  das Pariser, zwei für das Londoner Restaurant. In den Schoß gefallen sind der Französin die Sterne freilich nicht. Erarbeitet hat sie sich die Auszeichnungen schon auch. Immer wieder nimmt die Arbeit überhand, zwingt die Genießerin, schmerzlich Verzicht zu üben. Das Familienleben komme zu kurz, sagt sie. Gar zu gern würde sie etwa den Töchtern Charlotte und Quitterie abends Gute-Nacht-Geschichten erzählen, aber dazu fehle schlicht die Zeit.

Mittels einer Kochsendung wurde sie erst richtig bekannt

Einem großen Publikum bekannt wurde Darroze allerdings erst, als sie in dem vom Fernsehsender M6 veranstalten Nachwuchswettbewerb „Top Chef 2015“ auftrat und als Jury-Mitglied vor Millionen von Zuschauern über das Talent aufstrebender junger Kollegen befand. Wenn sie es zur weltbesten Köchin gebracht hat, dann sicherlich auch dank dieser Sendung. Allein vortrefflich kochen, das reicht heutzutage nicht mehr, um ganz nach oben zu kommen. Da mögen aus Töpfen und Pfannen noch so feine Düfte  aufsteigen, die globale Gourmetgemeinde registriert sie nur, wenn sie auch durchs Internet wabern und die Netzgemeinde in Bann ziehen.

Der konservative „Figaro“ hat hierüber die Nase gerümpft. Das Magazin „Restaurant“, das jedes Jahr von mehr oder minder ausgewiesenen Experten aus aller Herren Länder nicht nur die beste Köchin oder den besten Koch küren lässt, sondern auch die 50 besten Restaurants der Welt, sei ein Resonanzkasten für im Internet erzeugten Lärm, hat das Blatt zu verstehen gegeben. Darroze kann das egal sein. Ob kochen oder lärmen, sie kann beides ganz vortrefflich.