Schwindsüchtige Kurgäste und reiche Reisende überwinterten im frühen 20. Jahrhundert gerne an der französischen Riviera.

Menton - Nur 22 Jahre alt wurde die Irin Annie Collen. Die Engländerin Veronica Christine starb mit 15 Jahren, die Kanadierin Evelyn Rosamond mit 19. Alle drei erlagen der Schwindsucht. Die Grabsteine auf dem alten Friedhof von Menton erzählen Geschichten, deren Tragik auch nach 100 Jahren noch berührt. Auf einigen wird Monte Carlo als Sterbeort genannt; das klang mondäner in den Ohren der Hinterbliebenen als Menton. Das hilflose Streben nach Glamour im Angesicht des Unabwendbaren macht noch am hellsten Sommertag die Tristesse jener klamm-kalten Januartage vorstellbar, als schwarz geränderte Traueranzeigen die Hoffnung auf Heilung ablösten.

 

Für viele der Reichen und Schönen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert aus frostigeren Regionen Europas und aus Nordamerika an die Riviera kamen, wurde der Cimetière du Vieux-Château Endstation einer Reise, von der sie sich Besserung ihrer Schwindsucht erhofft hatten. Allzu oft vergebens. Web Ellis, Erfinder des Rugby, liegt hier ebenso begraben wie Onkel und Tante des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Der schottische Schriftsteller und Goethe-Übersetzer Thomas Carlyle, der im Herbst 1866 herkam, befand, dies müsse das „größte britische Sanatorium im Ausland“ sein. Viele der Kurgäste waren jene vermögenden Engländer, die die Küste überhaupt erst entdeckt hatten - als Fluchtort vor der Kälte ihrer zugigen Herrenhäuser. Seit 1869 brachte die Eisenbahn kränkelnde Aristokraten noch schneller nach Menton, und von nun an wurde der Tourismus wichtiger als der traditionelle Handel mit Zitronen.

Die Leidenschaft fürs Gärtnern

Henry Bennett, Leibarzt Königin Victorias, beschrieb die Schönheit der Landschaft und die heilsame Wirkung des Klimas in seiner Fibel „Überwintern in Menton“. Das Wetter war schöner, die Temperaturen angenehmer, das Meer blauer als zu Hause. Allein die medizinische Wirkung von Wasser und Luft wurde überschätzt. Für Pflanzen war es verträglich, und so kursierte unter den Kurgästen ein weiteres Fieber: die Leidenschaft fürs Gärtnern. 1850 brachte der Graf von Viguier die erste Palme nach Menton. Heute gedeihen hier, im heißesten Ort Festland-Frankreichs, Kiwis, Datteln und 145 Palmensorten, viele davon im Garten der Villa Maria Serena. Sie ist das letzte Gebäude vor der italienischen Staatsgrenze.

Charles Garnier, der Architekt der Oper von Paris, des Kasinos von Monte Carlo und der herrschaftlichen Villa Eilenroc auf dem Cap d’Antibes, baute sie für Ferdinand de Lesseps, den berühmten Konstrukteur des Sueskanals. Heute ist sie Schauplatz von Empfängen des Bürgermeisters. Der subtropische Garten ist ein einziger Farbenrausch: Wogen leuchtender Bougainvilleen ergießen sich über die Mauer der Veranda, Paradiesvogelblumen und Hibiskushecken leuchten um die Wette mit dem Blau der Bucht unten. Major Lawrence Johnston wurde 1871 als Sohn amerikanischer Eltern in Paris geboren, wuchs in England auf, wo er sich mit den Grünflächen von Hidcote Manor in Gloucestershire um Englands Gartenkunst verdient machte. Des dortigen Klimas müde, reiste er mit seiner Mutter nach Menton.

Anfang der zwanziger Jahre legte er an der Grenze zu Italien den Jardin Serre de la Madone an, einen Ort, an dem Eidechsen zwischen Blättern rascheln und Libellen über Teiche schwirren, von steinernen Statuen bewacht. In Terrassen erhebt sich der Garten zur Villa hin, und das kunstvolle Durcheinander lässt keinen Zweifel daran, dass hier alles von englischem Geist geprägt wurde. Dabei war die Geschichte des Gartens nach dem Tod von Johnstons Erbin wechselvoll - und somit typisch für die einstigen floralen Juwelen Mentons: Bis 1986 ging das Anwesen durch verschiedene Hände, schließlich landete es bei ausländischen Investoren, die ein Luxushotel errichten wollten. Die Präfektur schob diesem Plan einen Riegel vor. 1990 machte eine Nachbarin, die Tochter von Johnstons Hausmeister, auf den heruntergekommen Zustand des Gartens aufmerksam.

Von Reisen brachte er exotische Pflanzen mit

Der Jardin Serre de la Madone wurde als erster französischer Garten unter Denkmalschutz gestellt. Stadt und Küstenschutz erwarben ihn, um die acht Hektar Gartenfläche und drei Gebäude zu restaurieren. Der vielleicht schönste Garten der östlichen Riviera liegt jenseits der Grenze. Thomas Hanbury, ein englischer Teehändler, sah bei einer Bootstour ein mittelalterliches Haus auf halber Höhe eines Berges liegen. Von Reisen brachte er exotische Pflanzen mit. Er und sein Bruder Daniel, ein Pharmakologe, legten ab 1867 in den Hanbury Gardens eine beispielhafte Artenvielfalt an. Als Thomas 1907 starb, setzten Sohn Cecil und Schwiegertochter Lady Dorothy sein Werk fort. 1912 waren 5800 Pflanzenarten rund um die alte Villa versammelt.

Erst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrach die Arbeit: Die Hanburys mussten zurück nach England, während des Kriegs waren Truppen auf dem Grundstück untergebracht. Nachdem auch der nächste Krieg schwere Schäden hinterließ, wurde das Anwesen 1960 an den italienischen Staat verkauft; heute gehört es der Universität Genua, die es mit Urlaubern und Gartenfreunden teilt.

Infos zu Côte d’Azur / Menton

Anreise
Lufthansa, www.lufthansa.com , fliegt ab Frankfurt, München und Düsseldorf direkt in die südfranzösische Metropole Nizza. Das Flugticket kostet ab 99 Euro.

Gärten
Jardin de la Villa Marina Serena: 21 Promenade Reine Astrid, Menton. Dienstags um 10 Uhr geführte Touren nach Anmeldung unter Tel. +33 (0) 4 92 10 97 10; das Ticket kostet 6 Euro.

Villa Fontana Rosa: Avenue Blasco-Ibañez, Garavan, Menton. Montags und freitags um 10 Uhr bei Führungen zugänglich, Anmeldung beim Tourismusbüro erforderlich. Ticket 5 Euro.

Jardin Serre de la Madone: 74 route de Gorbio, Menton. Dienstags bis sonntags täglich um 15 Uhr geführte Besichtigung nach Anmeldung unter Tel. +33 (0) 4 92 41 76 95, Ticket 8 Euro, ermäßigt 4 Euro.

Jardin Val Rahmeh: Avenue Saint-Jacques, Menton. Geöffnet täglich außer dienstags 10-12.30 Uhr und 15.30-18.30 Uhr (von Oktober bis März 10-12.30 Uhr und 14-17 Uhr). Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro.

Hanbury Gardens: Capo Mortola, Mortola, Ventimiglia, www.giardinihanbury.com . November bis Februar montags geschlossen, sonst täglich geöffnet (Mitte Juni bis Mitte September 9.30-18 Uhr, März bis Mitte Juni und Mitte September bis Mitte Oktober 9.30-17 Uhr, sonst 9.30-16 Uhr). Eintritt vom 20. März bis 30. Juni 9 Euro, ermäßigt 7,50 Euro (sonst 7,50/6 Euro).

Allgemeine Informationen
Mentons Gärten im Netz: www.jardins-menton.fr . Atout France, Zeppelinallee 37, 60325 Frankfurt, www.rendezvousenfrance.com .

Fan werden auf Facebook: https://www.facebook.com/fernwehaktuell