Ein Gutachter hat das Parlament in Paris über das Risiko der mysteriöschen Flüge von Drohnen über AKWs aufgeklärt. Es besteht eine Terrorgefahr.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Seit mehreren Wochen haben mindestens 30 unbemannte Drohnen Atomkraftwerke in ganz Frankreich überflogen. Wer sie steuert, ist unbekannt. Sicher ist nur, dass es sich nicht um Schulbubenstreiche handelt: In einer einzigen Nacht, am 31. Oktober, wurden über sechs Anlagen in Süd- und Nordfrankreich Drohnen registriert. Laut Gesetz ist es in Frankreich verboten, ein Reaktorgelände unterhalb von 1000 Meter Höhe zu überfliegen. Die Behörden hielten eine akute Bedrohung bisher für ausgeschlossen. Innenminister Bernard Cazeneuve erklärte schon im Oktober, die unidentifizierten fliegenden Geräte würden nicht abgeschossen.

 

Laut Umweltschützern wurde die Fliegerabwehr aber an mehreren Orten durch Radaranlagen verstärkt. Die Organisation Greenpeace beauftragte den britischen Autor John Large mit einem Gutachten über das Gefahrenpotenzial. Am Montag stellte Large seine Erkenntnisse einem Ausschuss der französischen Nationalversammlung vor. Sein Fazit ist klar: „Französische Atomkraftwerke sind durch Drohnenangriffe verwundbar.“ Die nuklearen Sicherheitsdispositive stammten aus einer Zeit, als es noch keine Handys oder Drohnen gegeben habe. Radaranlagen seien nicht in der Lage, kleine Flugobjekte zu erkennen. Large, der 1994 den Untergang des russischen U-Boots Kursk untersucht hatte, veröffentlicht den Bericht aus Sicherheitsgründen nicht im Detail. Vor den Parlamentariern listete er mögliche Szenarien auf. „Aufklärungsflüge“ per Drohnen könnten dazu dienen, Angriffe von Helikoptern oder schweren Drohnen vorzubereiten; sie könnten selbst Bomben mitführen oder zum Beispiel Personen auf dem Boden des AKW-Geländes mit Sprengstoff versorgen.

Laut dem britischen Spezialisten für Atomsicherheit können Drohnen aber auch bei einem Anschlag auf vorgelagerte Kühlsysteme dienen. Einige der Flugobjekte genügten, um die Pumpen entlang des Wasserkanals bei einem AKW „mit einigen Kilo Sprengstoff“ außer Kraft zu setzen.

Die Szenarien reichen bis zur Kernschmelze

Die Folge wäre laut Large „ein nicht beherrschbarer Kühlmittelverlust und damit ein Kernschmelzunfall“. Dies oder ein durch eine Bombe bewirktes Loch im Reaktormantel könnte zu einem Störfall wie in Fukushima führen. Aus all diesen Gründen, so erklärte Large, „sollten diese wiederholten Drohnenflüge für uns alle Anlass zu großer Sorge sein“. Der sozialistische Abgeordnete Jean-Yves Le Daut erwiderte, die mysteriösen Überflüge änderten nichts an der seit Jahren betriebenen Vorbeugung gegen Terroranschläge im großen Stil. Greenpeace-Sprecher Yannick Roussel warf dem französischen Staat vor, er verharmlose die Gefahr. Er forderte die vorübergehende Abschaltung der alten Kernkraftwerke Cattenom und Fessenheim.