Er versetzte die Damen reihenweise in Ohnmacht – und heilte sie damit. Vor 200 Jahren starb Franz Anton Mesmer, Wunderdoktor vom Bodensee und Mitbegründer der Psychotherapie. Nun rückt er wieder ins Rampenlicht.

Meersburg - Für Friedrich den Großen war die Sache klar: „Allerdings erheb ich mich gegen die animalische Elektrizität, den Einfluß  des Mondes und ähnliche Scharlatanerien, die von Spitzbuben erfunden werden, um die dummen und abergläubischen Leute zu täuschen.“ Seinen Groll über derlei Zumutungen richtete er im September 1784 an seinen Bruder Prinz Heinrich, der sich kurz zuvor vergeblich einer animalischen Kur unterzogen hatte.

 

Der preußische König mischte sich in eine Debatte ein, die der Mediziner Franz Anton Mesmer, Sohn eines Försters am Bodensee, ausgelöst hatte und die in Paris gerade ihren Höhepunkt erreichte. Die Heftigkeit des Streits und die Sorge um die öffentliche Ordnung brachten allmählich auch den französischen Hof in Unruhe. König Ludwig XVI. berief daher gleich zwei Kommissionen ein. Sie sollten untersuchen, was es mit diesem „Animalischen Magnetismus“, den Mesmer in die Welt gesetzt hatte, letztlich auf sich hatte.

Die Kommissionen waren mit den besten wissenschaftlichen Köpfen von Paris besetzt. Zu ihnen zählten der Astronom Bailly, der durch die Berechnung der Umlaufbahn des Halley’schen Kometen bekannt geworden war, und der Chemiker Lavoisier, der gerade den Sauerstoff entdeckt hatte. Auch der Mediziner Jean-Ignace Guillotin, der Patron und Namensgeber der Hinrichtungsmaschine, war ein Kommissionsmitglied. Den Vorsitz übernahm Benjamin Franklin. Er vertrat die Vereinigten Staaten seit 1776 in Frankreich, verfügte als Forscher, Gelehrter, Schriftsteller und Staatsmann über ein ungeheures Ansehen.

Wie konnte es kommen, dass der Sohn eines Bediensteten aus einem Dorf auf der Höri die französische Regierung und die ganze Wissenschaft herausforderte? Wer war dieser Franz Anton Mesmer? Genialer Arzt und großer Aufklärer? Oder doch eher ein Möchtegerngelehrter, ein anfangs verbissener, später verbitterter alter Mann? Ein Scharlatan womöglich, der die Welt mit einer bizarren Theorie beschäftigte?

Mesmer versteht sich als Aufklärer

Zwei Talente sind es, die ihn vom einfachen Naturburschen zum Pariser Wunderarzt aufsteigen lassen: der Sinn für hochaktuelle Fragen des öffentlichen Diskurses und eine höchst ausgeprägte Fähigkeit zur Empathie. Sie verschaffen ihm eine außergewöhnlich breite Bildung und machen ihn interessant im Gespräch. Sie weckten bei den allermeisten Menschen, die ihm begegneten, ihrerseits Gefühle der Empathie und Zugewandtheit. Eine unverzichtbare Grundlage für jeden, der nur mit dem Kapital der Bildung vorankommen kann und deshalb Förderer braucht. Es beginnt mit dem Dorfpfarrer von Iznang, der die Talente des jungen Mesmer erkennt und ihn auf das Jesuitenkolleg vermittelt. Es setzt sich fort mit dem Fürstbischof von Konstanz, der ihm ein Stipendium für das Studium in Dillingen aussetzt. Sechzehn Jahre studiert Mesmer den ganzen Kanon der Wissenschaften durch: Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und schließlich noch Medizin.

Mesmer versteht sich als ein Aufklärer. Statt um trübe theologische Spekulationen ging es um glasklare physikalische Erkenntnisse. Etwa, wie Sonne und Mond es fertigbringen, Ebbe und Flut entstehen zu lassen, und ob die Kraft, die dabei wirkte, nicht auch Einfluss auf menschliche Körper hat. Oder wie sich die Wirkung von Magneten und elektrischer Energie in medizinischen Therapien nutzen lassen.

Die Behandlung mit Stahlmagneten ist eine Heilmethode, die seit dem ausgehenden Mittelalter immer wieder propagiert wurde und nun wieder in Mode gekommen ist. Die Grundidee der magnetischen Kur besteht darin, auftretende Blockaden im Körper zu brechen, indem die verschiedenen Körpersäfte in eine natürliche Harmonie und einen ungebrochenen Fluss gebracht werden. Magnete gelten dafür als besonders geeignet. Denn wenn es ihnen möglich ist, Kräfte im Innern von Eisen und Stahl durch bloßes Bestreichen so zu richten, das sie sich harmonisch nach den zwei Polen ausrichten, dann sollte ihnen solches auch im menschlichen Körper gelingen.

Mesmer wird also ein begeisterter Magnetiseur und erzielt erstaunliche Heilerfolge. Am verblüffendsten aber wird für ihn die Entdeckung, dass er die Patienten auch heilen kann, wenn er die Magnete weglässt. Es genügt, wenn er mit seinen Händen über jene Teile des Körpers streicht, an denen Beschwerden auftreten. Oder wenn er sie mit seinen Augen fixiert und in einen hypnotischen Zustand versetzt, aus dem sie wieder ganz entspannt erwachen.

Der Animalische Magnetismus

Die wissenschaftlichen Gesellschaften, denen er von seinem Verfahren berichtet, wissen es nicht recht einzuordnen. Am meisten verstört sie, dass er sagt, es gebe eine „kosmische Allflut“, eine Energie jenseits der Gravitation und der Elektrizität, die er einfange und an die Patienten weitergebe. Da diese Energie eine Verwandtschaft mit dem Magnetismus habe, sich aber auf lebende Wesen auswirke, bezeichnet er sie als Animalischen Magnetismus.

Mesmers Theorie wäre wohl folgenlos gewesen, hätte er 1775 nicht die Gelegenheit bekommen, seine daraus abgeleitete Kunst zu demonstrieren. Zu dem Zeitpunkt versetzt der aus Vorarlberg stammende Exorzist Johann Josef Gaßner ganz Süddeutschland in Aufregung. Er zieht von einem Bistum zum anderen und verspricht Menschen von allen möglichen Gebrechen zu heilen, indem er ihnen die Hand auflegt und Segnungen spricht.

Die Menschen, die sich der Prozedur Gaßners unterziehen, schreien und toben, fallen in Krämpfe, bis ihnen der Exorzist die Hände auflegt und die Formel spricht: „Im Namen Jesu befehle ich dir, daß du augenblicklich von mir weichest, verdammter höllischer Geist! Jesus! Jesus! Jesus!“ Daraufhin beruhigen sich die wild gewordenen Patienten. Das größte Spektakel veranstalt Gaßner in der Fürstpropstei Ellwangen. Die Zeit vom November 1774 bis zum Juni 1775 verbringt er in der kleinen Stadt und behandelt rund 20 000 Kranke. Christian Friedrich Daniel Schubart berichtet in seinen Erinnerungen davon: „Die Straße von Aalen nach Ellwangen wimmelte von elenden Pilgrimen, welche bei Gaßner Hilfe suchten. Das tausendfältige Elend schien in dieser Gegend zusammengedrängt zu seyn. Alle Herbergen, Ställe, Zäune und Hecken lagen voll von Blinden, Tauben, Lahmen, Krüppeln, von Epilepsie, Schlagflüssen, Gicht und anderen Zufällen jämmerlich zugerichteten Menschen.“ Als man nicht mehr weiß, wie man der Massensuggestion, die sich mittlerweile nach Regensburg und München ausgebreitet hat, Herr werden soll, wird Mesmer zu Hilfe gerufen. Er soll dem bayrischen Kurfürsten und den Mitgliedern seiner Akademie der Wissenschaften erklären, was da vor sich geht, da er doch offensichtlich ähnliche Erscheinungen bewirken könne.

Mesmer zeigt sich tatsächlich wie Gaßner imstande, die Menschen in Erregung zu versetzen, sie gleichsam nach Belieben schwindeln, zittern, in Ohnmacht fallen zu lassen, sie wie von Sinnen in epileptische Zuckungen zu versetzen und dann ebenso geschwind wieder davon zu befreien. Mesmer verzichtet aber auf alle Praktiken, Formeln und Segenssprüche, die im Ritual des Exorzismus vorgesehen sind, für Gaßner aber das zentrale Moment seiner Intervention darstellen.

Heilen ohne Exorzismus

Mit dem Verzicht auf die exorzistische Praxis wird freilich auch die exorzistische Theorie obsolet. Das ist der eigentliche Todesstoß für Gaßners Karriere. Der übernatürliche Teufel wird durch den natürlichen, jeder Kreatur verfügbaren Magnetismus ersetzt. So können alle, die die Gaßner’schen Auftritte mit eigenen Augen erlebt haben, von ihm gar geheilt wurden, an ihren Erlebnissen und Erfahrungen festhalten und sich doch auf die Höhe eines aufgeklärten Bewusstseins begeben. Franz Anton Mesmer hat seine Theorie durch eine eindrucksvolle Demonstration seiner magnetischen Wirkmächtigkeit unterstrichen.

Sein Erfolg ist enorm, die bayerische Akademie der Wissenschaften nimmt ihn sogleich als ordentliches Mitglied auf. In Wien dagegen intrigieren die Kollegen gegen ihn und bezichtigen ihn des Betrugs. Mesmer sieht sich gezwungen, die Stadt zu verlassen, und flieht nach Paris, wo man ihn mit Kusshand aufnimmt. Paris ist süchtig nach Sensationen, und er bietet sie zur Genüge. Alles, was Rang und Namen hat, kommt in seine Praxis.

Der Andrang ist so groß, dass sich Mesmer für seine Behandlungen ein neues Setting ausdenken muss. Dafür entwickelt er ein eigentümliches Instrument, den Heilzuber (frz. Baquet). Was die Couch für Sigmund Freud, ist das Baquet für Franz Anton Mesmer – ein Möbel, das für die psychotherapeutische Behandlung von Patienten entwickelt und genutzt wird.

Es verkörpert idealtypisch seine wissenschaftlichen Ideen und sein ganz besonderes Heilverfahren. Mit Hilfe dieses Möbels erfindet Mesmer die psychologische Gruppentherapie. Wie glaubhaft bezeugt ist, fallen die Patienten, die sich um das Baquet versammeln und mit Hanfschnüren verbunden sind, reihenweise in Ohnmacht, erleben die Krise, die Mesmer vorausgesagt hat, und fühlen sich nach einer oder mehreren Anwendungen geheilt.

Der Star der Pariser Salons

Mesmer beschäftigt immer mehr die Szene in Paris. Selbst Königin Marie Antoinette interessiert sich für seine Kunst. Er wird eine Berühmtheit – auch in England und in den USA. Überall in Frankreich werden sogenannte Gesellschaften der Harmonie gegründet. Sie propagieren Mesmers Animalischen Magnetismus, entwickeln ihn weiter und tragen ihn über den Rhein. Zentren  der mesmeristischen Bewegung in Deutschland werden zunächst Karlsruhe, Bremen und Mainz, später auch Berlin, Dresden und Breslau. In Heilbronn wird der Arzt Eberhard Gmelin eine wichtige Instanz. Er unterzieht Justinus Kerner als elfjährigen Jungen erfolgreich einer magnetischen Kur, und auch Friedrich Schiller tauscht sich mit ihm darüber aus, sieht aber seinen eigenen Krankheitszustand für Versuche dieser Art nicht geeignet.

Erst allmählich wird den Zeitgenossen wie den Nachfahren klar, dass Mesmers Interventionen nicht physikalischer, sondern psychotherapeutischer Art sind. Er aber hält an seinem naturwissenschaftlichen Konzept fest. Am Ende obsiegt nicht seine Theorie, sondern seine Praxis. Durch sein Verfahren der Suggestion und Hypnose wird er Mitbegründer der Psychotherapie und Inspirator für Dichter wie Heinrich von Kleist, E.T.A Hoffmann, Jean Paul und Edgar Allen Poe mit ihrem besonderen Sinn für die Nachtseiten des Menschen. Am 5. März 1815 stirbt er in Meersburg. 17 Monate danach erkennt die Preußische Kommission zur Prüfung des Magnetismus seine Entdeckung offiziell an.