Franziska Walser spielt mit Gedanken so souverän wie mit Körper und Sprache. Am Freitag ist sie in Becketts „Glücklichen Tagen“ im Stuttgarter Kammertheater zu sehen.

Stuttgart - Die Zeitschrift „Quick“ – Gott hab sie selig – ist zu Lebzeiten nicht weiter als Fachblatt für Film und Theater aufgefallen. Mit einer Beobachtung lag sie allerdings richtig: Das Gesicht von Franziska Walser ähnle jenem von Isabella Rossellini, der Tochter der Schauspielerin Ingrid Bergman und des Regisseurs Roberto Rossellini, schrieb die Illustrierte kurz vor ihrem Untergang. Tatsächlich weisen die beiden 1952 geborenen Damen über den Jahrgang hinaus eine verwandte Physiognomie auf. Schulterlanges Haar, das ein breites Gesicht mit klaren Zügen umrahmt, darin hohe Wangenknochen und dunkle, weit auseinanderliegende Mandelaugen – so sitzt uns Franziska Walser, die ebenfalls einen berühmten Vater hat, im Schauspielhaus gegenüber. Von Martin Walser, der demnächst neunzig wird, ist aber nur am Rande die Rede, ebenso von ihrem Ehemann Edgar Selge, mit dem sie seit 1985 verheiratet ist. Ihre Karriere als Film- und Theaterschauspielerin steht seit Jahrzehnten unerschütterlich auf eigenen Beinen.

 

„Wieder ein himmlischer Tag“ schnellt es jetzt hell vergnügt aus dem Mund der Künstlerin, denn natürlich kennt sie den ersten, berühmten Satz der „Glücklichen Tage“ von Samuel Beckett. Das Zweipersonenstück kommt am Freitag in der Regie von Armin Petras im Kammertheater raus – und Franziska Walser spielt Winnie, die bis zur Taille in einen Hügel gebettete Frau, die vom Willie des Peer Oscar Musinowski in einer „versengten Grasebene“ umkrochen wird. Er ist stumm, sie unbeweglich, zwei in merkwürdiger Symbiose lebende „Endzeitclowns“, sagt Walser, die ihr Leben heiter verzweifelt zu leben versuchen – trotz dem Unglück, das über die von Beckett radikal reduzierte Welt hereingebrochen ist: „Winnie und Willie setzen der Katastrophe ihre eigene Vitalität entgegen.“

Man kann ihr beim Denken zuschauen

Franziska Walser ist keine Schnellrednerin, die ihr Gegenüber schwindlig quasselt. Immer wieder unterbricht die mit dem Bayrischen Filmpreis ausgezeichnete Spielerin ihren Redefluss, macht Pausen, denkt nach. Sie wägt die Worte ab und korrigiert sie. Unüberlegte Sätze sind ihr ein Graus, überlegte, klar gedachte Sentenzen ein Genuss, ganz wie beim sprachbesessenen Vater. „Wieder ein himmlischer Tag“, setzt Frau Walser das Gespräch fort, komme im Beckett-Stück in variierter Form auch im Futur zwei vor: „Dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein.“ Mehrmals wird sie diesen Satz in der Inszenierung flöten. Als „interessante Formulierung“ unterzieht sie ihn deshalb näherer Betrachtung.

Futur zwei, vollendete Zukunft – und die ihre Stoffe reflektierende Frau nimmt die Grammatik als Sprungbrett, um zur Poesie zu gelangen, zu Rilkes „Achter Duineser Elegie“ und dem darin verdichteten Gedanken, dass die Menschen ihr Glück erst im Nachhinein erkennen. „So leben wir und nehmen immer Abschied“, zitiert sie Rilkes Schlussverse. Wir Menschen neigten eben dazu, immer aus der Zukunft in die Vergangenheit zu schauen – und Becketts Futur mit Rilkes Lyrik auf diese Weise kurz zu schließen, bereitet der Vielleserin großes Vergnügen.

Die Funken solcher Kurzschlüsse glühen in der Gedankenspielerin lange nach. Man kann ihr beim Denken zuschauen und ihr großflächiges Rossellini-Gesicht so lange studieren, bis sie das nicht unangenehme Schweigen wieder unterbricht: „Wenn wir nur in Zukunft und Vergangenheit leben, verpassen wir die Gegenwart. Wir leben nicht im Jetzt“ – wobei, fügt sie hinzu, die Wahrnehmung der vom Furor des Verschwindens bedrohten Gegenwart umso leichter falle, je älter man werde. Man schiebe nicht mehr so viele Dinge auf, sondern erledige sie im Jetzt – und dieses Lob des Alters ist im gnadenlos auf Jugendlichkeit fixierten Film- und Theatergeschäft doch eher ungewöhnlich, zumal aus dem Mund einer Frau: Mehr als Männer müssen Frauen vor dem Tag bangen, an dem sie wegen vermeintlich welkender Attraktivität ausgemustert werden. Darum hadern Schauspielerinnen mit ihrem Alter. Franziska Walser tut das nicht: Am 23. März, einen Tag vor dem Geburtstag ihres Vaters, wird sie fünfundsechzig.

Ihr liebster Bühnenpartner ist der eigene Mann

Die meisten ihrer Jahre hat sie an den Münchner Kammerspielen verbracht. Von 1976 bis 2001 gehörte sie unter dem Intendanten Dieter Dorn zu den Stützen des Hauses. In zahllosen Rollen erspielte sie sich mit großer Wandlungsfähigkeit den Ruf einer „glänzend tragödisierenden Komödiantin“, wovon all die Hymnen künden, die Zuschauer und Kritiker auf sie gesungen haben. „Lange und produktive Lehrjahre“, sagt Franziska Walser zur Münchner Zeit, in der sie auch ihren späteren Ehemann Edgar Selge kennen gelernt hat. Bis auf den heutigen Tag ist er auch auf der Bühne ihr Lieblingspartner.

In Stuttgart stehen aktuell zwei ihrer gemeinsamen Produktionen auf dem Programm: „Iphigenie auf Tauris“ und „Der zerbrochne Krug“, Stücke, die unterschiedlicher kaum sein könnten und Walsers Bandbreite zeigen. In Goethes Drama spielt sie die titelgebende Tempelpriesterin als Kämpferin für Menschlichkeit, in Kleists Komödie mit nicht minderer Entschlossenheit eine Bauersfrau, die den Verlust ihres Krugs beklagt. Gestopft wie eine Wurst in der Pelle klemmt ihre Marthe Rull im Jeansanzug fest, ein schräges Vollweib aus dem Prekariat, unter dessen blondierten Haaren sich Geschwätzigkeit mit Sturheit paart. Walser bei der Vernehmung durch den Dorfrichter Adam zuzusehen: ein Heidenspaß! Adam wird übrigens – erraten – von Selge gespielt.

Mit Stuttgart verbindet Franziska Walser aber mehr als nur Theater. 1952 wurde sie hier geboren, ihr Vater arbeitete damals als Redakteur beim SDR. Sie ist die älteste von vier Geschwistern, alle außer ihr sind Schriftstellerinnen geworden, und auf die Welt gekommen ist das künstlerische Quartett wie „in der ,Schwäb’sche Eisenbahne‘: Schtuegert, Ulm und Biberach“, singsangt Franziska Walser wohlgemut und unterbricht sich sogleich: „Halt! Biberach war nicht dabei, Ulm schon und dann noch zweimal Friedrichshafen.“ Die Frau hat Humor. Und sie muss ihn schon 1974 gehabt haben, als sie ihr Theaterdebüt gegeben hat: in Stuttgart. Im ersten Jahr von Claus Peymann gab sie als Jungschauspielerin die Rebekka in Hermann Essigs „Glückskuh“. An ihrer Seite: die massige Titelheldin, eine von der Uni Hohenheim ausgeliehene, schwangere, richtige Kuh! Zusammen mit dem Rindvieh und eine Reihe anderer Kollegen griff Franziska Walser damals zu einer aparten Werbemaßnahme: Mit der Glocke bimmelnd zog das Ensemble durch den Schlosspark, Kuh inklusive.

Tiere werden in den „Glücklichen Tagen“ jetzt vermutlich nicht mitspielen. Das muss auch nicht sein. Die in einem Plastikhaufen steckende, mit Willie redende Winnie genügt vollauf, dargestellt von einem Star, der ohne Starallüren auskommt.