Geschichte wird von Männern gemacht – oder nicht? Die Herrenberger Frauengeschichtswerkstatt beweist anhand der Lebensläufe von bedeutsamen Frauen das Gegenteil.

Herrenberg - Geschichte wird von Männern gemacht, auch in Herrenberg. Es sind Männer, die die Stadt gegründet, hier eine Rechenmaschine erfunden oder ein berühmtes Altarbild gemalt haben. Ihre Namen – Pfalzgraf Rudolf, Wilhelm Schickard, Jerg Ratgeb – sind bekannt und werden in den Lokalchroniken ausführlich gewürdigt. Aber was haben Frauen all die Jahrhunderte gemacht?

 

Die Frage stellte sich vor mehr als zehn Jahren die Herrenberger Gleichstellungsbeauftragte Birgit Kruckenberg-Link. Aus anderen Städten wie Esslingen oder Calw kannte sie damals bereits Initiativen, die die Lokalgeschichte aus einer spezifisch weiblichen Perspektive beleuchteten. Und auch in Herrenberg fand sie bald Mitstreiterinnen: es sind vor allem Frauen, die in den Archiven nach den Spuren bedeutender Töchter der Stadt gesucht haben. Viele hielten den Plan zunächst für „völlig sinnlos“, erzählt Kruckenberg-Link. „Es hieß, in Herrenberg hätten keine bedeutsamen Frauen gelebt.“

Kaufmannsfrauen hatten ganz besondere Rechte

Doch die Mitglieder der Frauengeschichtswerkstatt fanden nicht nur eine: sie stießen beispielsweise auf die 1550 geborene Maria Andreä, die als „Mutter der Armen“ galt. Ihre Kenntnisse der Heilkunst waren so ausgeprägt, dass sie im Jahr 1607 zur Vorsteherin der Hofapotheke in Stuttgart ernannt wurde.

Auch in der Herrenberger Handelsfamilie Khönle, deren prächtiges Fachwerkhaus unweit des Marktplatzes steht, haben Frauen eine große Rolle gespielt. Wenn die Männer nach Straßburg, Frankfurt oder in die Niederlande fuhren, um begehrte Handelswaren wie Eisennägel, Kaffee oder Porzellan zu beschaffen, waren die Frauen für die Buchhaltung verantwortlich. „Kaufmannsfrauen hatten mehr Rechte als andere Frauen und konnten beispielsweise selber Verträge abschließen“, berichtet die Historikerin Claudia Nowak-Walz, die sich seit langem in der Herrenberger Frauengeschichtswerkstatt engagiert.

Frauen sind in Gefahr, schnell vergessen zu werden

Wenn es um die Erforschung weiblicher Biografien geht, sind die Quellen meistens spärlich. Vieles lässt sich nur indirekt erschließen. Die Kaufmannsfrau Elisabetha Burgermeister, Ehefrau von Johann Jakob Khönle, brachte beispielsweise 13 Kinder zur Welt, von denen nur wenige das Erwachsenenalter erreichten. Was sie beim frühen Tod ihrer Kinder empfand, darüber sprechen die Quellen nicht. Erhalten ist jedoch ein Gedenkbild, das an die Tochter Elisabetha Rosina erinnert. Sie starb im Jahr 1696 im Alter von nur 13 Tagen.

Die Herrenberger Frauengeschichtswerkstatt zeichnet jedoch nicht nur das Leben einflussreicher und wohlhabender Frauen nach. Bei den Stadtführungen mit nachgestellten historischen Szenen, die die Gruppe veranstaltet, hat beispielsweise auch die „Baderin Anna“ ihren Auftritt. Sie ist einer real existierenden Frau nachempfunden, die im Jahr 1468 eine Badstube in Herrenberg eröffnete – das alte Bad hatte wegen der dort herrschenden losen Sitten ihren guten Ruf verloren. In der Badstube konnten sich die Gäste nicht nur reinigen und entlausen lassen – hier tafelten und tranken sie auch, bei Bedarf wurden sogar schmerzende Zähne gezogen. Eine andere Station bei der Stadtführung rekonstruiert den Waschtag, wie ihn ältere Herrenberger noch in ihrer Kindheit erlebt haben: mit Wäschestampfer und Waschbrett.

Nicht nur Männer haben Herrenberg geprägt – davon sind die zwölf Frauen, die sich zur Zeit bei der Frauengeschichtswerkstatt engagieren, überzeugt. „Aber sie geraten schnell in Vergessenheit, wenn weder Straßennamen noch Lokalchroniken an sie erinnern“, befürchtet die Historikerin Nowak-Walz. „Dabei brauchen gerade junge Frauen solche Vorbilder.“

Die weibliche Geschichte Herrenbergs entdecken

Stadtführungen zur Frauengeschichte Herrenbergs können Gruppen bei Birgit Kruckenberg-Link unter 0 70 32/92 43 63 oder b.kruckenberg-link@herrenberg.de buchen.

Das 2014 erschienene Buch „Frauen gestalten Herrenberg“ stellt Persönlichkeiten vor, die die Stadt im 20. Jahrhundert geprägt haben (Talheimer Verlag, 9,50 Euro).