Rednerinnen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen haben beim Frauenmahl nach Spuren des Reformators in ihrem eigenen Leben gesucht. Nicht nur die Theologin, auch die Physikerin ist fündig geworden.

Kernen - Da steht er auf der Bühne. Aus grünem Stein, aber doch unverkennbar: Martin Luther. Kommendes Jahr wird gefeiert, dass der große Reformator vor 500 Jahren seine 95 Thesen veröffentlicht hat. Aber kann jemand, der vor einem halben Jahrtausend gelebt hat, heute noch einen Bezug zum eigenen Leben haben? Mehr als hundert Frauen haben sich am Freitag zum Frauenmahl (siehe „Tischreden als Tradition“) im Bürgerhaus Rommelshausen versammelt. Neben kulinarischen Leckereien gab es zu dieser Frage eine Menge Gedankennahrung.

 

Kommt überhaupt jemand, um die Predigt zu hören?

Pfarrerin Karoline Rittberger-Klas ist diejenige, die naturgemäß am meisten zu tun hat mit Martin Luther. Sie stellte fest, dass die 500 Jahre Abstand durchaus spürbar sind: „Du, Martin, hast dir Sorgen darüber gemacht, was in deiner Kirche gepredigt wird. Ich mache mir Sorgen, ob jemand kommt, um meine Predigt zu hören“, sagte die Tübingerin. Andere Zeiten seien es vor 500 Jahren gewesen, „damals waren Kirche und Religion allgegenwärtig, heute ist das für viele kein Thema mehr.“

Und obwohl die Situation so unterschiedlich ist, findet Karoline Rittberger-Klas auch Tröstliches bei dem Reformator. Etwa seinen Gedanken, dass Kirche dort ist, wo das Evangelium gepredigt wird. „Das bedeutet für mich, dass es nicht das Ende der Kirche ist, wenn Gebäude verkauft werden müssen oder Veranstaltungen nicht mehr angeboten werden können.“

Parallelen zwischen Reformation und Ingenieurskunst

Bezüge zu ihrem Leben hat aber nicht nur die Theologin, sondern auch eine Physikerin entdeckt: Anne Bochow arbeitet im Bosch-Forschungscampus und war von den reformatorischen Spuren in ihrem Leben überrascht. Sie hat sie gefunden in ihrem Arbeitsethos, der geprägt ist von Fleiß und Pflichtbewusstsein. Sie hat sie aber auch in ihrer Firma gefunden: „Eine offene Diskussionskultur, ein ständiges Hinterfragen und das Abschaffen von Dogmen – da erkenne ich Parallelen zwischen Reformation und Ingenieurskunst.“

Und Katrin Altpeter, die ehemalige baden-württembergische Sozialministerin, hat sich angeschaut, wie es damals war mit den Frauen in der Reformationsbewegung. „Das ist ein Randthema, das breite Publikum kennt vielleicht gerade Katharina von Bora, Luthers Frau“, sagte die SPD-Politikerin aus Waiblingen. Von ihr und den Frauen an sich habe der Reformator erst einmal nicht viel gehalten, Katharina habe ihm selbst einen Heiratsantrag machen müssen. Aber Katharina von Bora wird die berühmte starke Frau hinter jedem großen Mann – sie kümmerte sich etwa um die Finanzen. „Da dürfte sich das Frauenbild von Luther gewandelt haben.“ Die Arbeit an dem Frauenbild ist für Katrin Altpeter noch nicht zu Ende, „auch wenn viele junge Frauen sagen, sie sind gleichberechtigt. Das ändert sich meistens, wenn das erste Kind da ist“, sagte Altpeter, die von einer immensen Mehrfachbelastung der Frauen sprach.

Auf manche Geschichten kennt auch Luther keine Antworten

Was Frauen manchmal aushalten müssen, davon erzählte Nadine Furthmüller-Zimmermannn in einer bewegenden Rede. Die 40-Jährige musste sich von ihrem Mann trennen und ins Frauenhaus ziehen. Inzwischen kümmert sie sich allein um ihre vier Kinder. Sie arbeitet tagsüber als Arzthelferin und nachts in der Rettungsleitstelle und muss jederzeit hoffen, dass nicht eine kaputte Waschmaschine die Finanzplanung sprengt. „Und trotzdem sind wir eine glückliche Familie, die von Liebe getragen wird“, sagte sie.

Tischreden als Tradition der Reformation

Idee:
Bei einem Frauenmahl treffen sich Frauen zu einem festlichen Essen unter dem Motto „Tischreden zur Zukunft von Religion und Kirche“. Zwischen den Gängen geben Rednerinnen aus verschiedenen Bereichen einen kurzen Input, der dann in der Tischgemeinschaft diskutiert wird. Das erste Frauenmahl fand am 30. Oktober 2011 im Landgrafenschloss in Marburg statt – dort, wo einstmals Reformatoren wegweisende Religionsgespräche führten. Die Frauenmahlinitiative ist ein Beitrag zur sogenannten Lutherdekade, die im kommenden Jahr mit den Feiern zu „500 Jahre Reformation“ ihren Höhepunkt findet.

Verbreitung:
Inzwischen haben in Deutschland, aber auch in den Nachbarländern mehr als 100 Frauenmahle stattgefunden. Die nächsten festlichen Tischreden in der näheren Umgebung gibt es in Göppingen und Schwäbisch Hall. Eine Übersicht findet sich auch im Internet unter www.frauenmahl.de.