Bei der Aufarbeitung des Freiburger Dopings gerät die Justiz ins Zwielicht. Konnte oder wollte die Staatsanwaltschaft die brisanten Akten nicht finden? Selbst Politiker zweifeln erkennbar an der These vom Zufallsfund in einem Außenlager.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Theresia Bauer (Grüne) vermied eine klare Antwort. Ob sie der Staatsanwaltschaft Freiburg die Geschichte von den vermeintlich verschollenen, dann aber angeblich rein zufällig doch noch entdeckten Akten zum Doping an der Freiburger Uniklinik eigentlich glaube? Das sei „kein Bereich, in dem man mit Glaubensfragen operieren sollte“, erwiderte die Wissenschaftsministerin unlängst vor Journalisten: „Ich nehme es einfach zur Kenntnis.“

 

Nicht nur Bauer hat offenbar Zweifel an der Schilderung der südbadischen Anklagebehörde. Seit der höchst brisante Inhalt der Akten bekannt ist, erscheinen die Umstände ihres Auffindens noch dubioser. Es handelt sich tatsächlich um Dokumente von „dopinghistorisch einzigartiger Bedeutung“, wie die Vorsitzende der Freiburger Dopingkommission, Letizia Paoli, gesagt hatte.

Altgedienter Ermittler beteiligt

Die Unterlagen aus dem Betrugsverfahren gegen den Sportarzt Armin „Doc“ Klümper aus den achtziger Jahren scheinen erstmals systematisches Doping zu belegen; offenbar habhafte Spuren führen besonders zu den Fußballvereinen VfB Stuttgart und SC Freiburg und zum Bund Deutscher Radfahrer. Seit das Kommissionsmitglied Andreas Singler dies vor zweieinhalb Wochen im Alleingang öffentlich gemacht hatte, herrscht bundesweit Aufruhr in der Sportwelt.

Ausgerechnet diese Akten aber konnte die Staatsanwaltschaft angeblich nicht finden. Sie seien bei ihr „nicht mehr vorhanden“, meldeten der relativ neue Behördenchef Dieter Inhofer und sein altgedienter Vize Christoph Frank – einst selbst mit Klümper befasst – im April 2014 an die Universität Freiburg. Das Einsichtsgesuch der Kommission lief ins Leere; zudem wurde ihr wegen der fehlenden Akten verwehrt, einen weiteren Polizeibeamten als Zeitzeugen zu hören. Weil sich dessen Aussagen nicht anhand von Unterlagen überprüfen ließen, verweigerte das Innenministerium ihm zunächst eine entsprechende Genehmigung – und folgte damit dem Votum von Freiburger Staatsanwaltschaft und Polizei.

Siebzig Aktenordner einfach übersehen?

Bei näherer Betrachtung häufen sich die Merkwürdigkeiten. Bereits 2012 hatte die Paoli-Kommission über die Uni schon einmal Antrag auf Akteneinsicht gestellt – und bekam sie bewilligt. Damals wurden ihr die beiden Urteile gegen Klümper aus den Jahren 1989 und 1997 zur Verfügung gestellt; wegen Abrechnungsbetrugs erhielt er da Geldstrafen von 157 000 und 162 000 Mark. Dass die Richtersprüche noch vorhanden waren, entspricht den Vorschriften: Urteile sind „grundsätzlich dreißig Jahre aufzubewahren“, wie ein Behördensprecher bestätigte, für die Akten habe dagegen nur eine zehnjährige Frist gegolten. Ob und warum beides nicht zusammen gelagert wurde, gehört zu den ungeklärten Fragen.

Dabei waren die Akten eigentlich nicht so leicht zu übersehen: Sie umfassen immerhin 70 Ordner, also mehrere Regalmeter. Ob und wie intensiv die Staatsanwaltschaft überhaupt danach gesucht hat, ist unklar. Entdeckt wurden sie – nach der offiziellen Version – erst Monate später aus einem Anlass, der nichts mit den Klümper-Verfahren zu tun gehabt habe: am 30. Oktober 2014, bei einer „Begehung“ eines „Außenlagers“. Für nicht mehr oder nur selten benötigte Unterlagen, teilte die Behörde mit, habe man im Freiburger Stadtgebiet Lagerräume gemietet. Diese seien inspiziert worden „zur Sichtung des Aktenvolumens, das nach den gesetzlichen Vorgaben dem Staatsarchiv zur Übernahme anzubieten ist“. Teilnehmer: der Leitende Oberstaatsanwalt Inhofer (bemerkenswert, dass der Behördenchef nichts Wichtigeres zu tun hat), sein Verwaltungsleiter, der Chef des Freiburger Staatsarchivs und eine Mitarbeiterin. Offenbar in einem Keller stießen die vier auf die Klümper-Akten. Wenige Tage später korrigierte die Staatsanwaltschaft ihre Auskunft an die Universität. Die Akten kamen ins Archiv, Ende Januar erhielt die Kommission endlich Einblick – und erntete den Lohn ihres beharrlichen Nachfassens.

Paoli äußert sich irritiert

Zu Paolis Klagen über mangelnde Unterstützung ihrer Arbeit, deretwegen sie sogar mit Rücktritt gedroht hatte, gebe es „keinen Zusammenhang“, versichert die Staatsanwaltschaft. Die Vorsitzende selbst macht aus ihrer Verwunderung über die Vorgänge keinen Hehl. Warum einst nur die Urteile und nicht die Akten gefunden wurden, weshalb Inhofer nicht gleich im April eine Recherche veranlasst habe, wie die „kaum zu übersehenden“ Aktenordner übersehen werden konnten – das, so sagt sie, „entzieht sich meiner Kenntnis“. Doch ihr Kollege Singler widerspricht Vermutungen, die Justiz habe die Unterlagen bewusst zurückgehalten, dann aber kalte Füße bekommen. An solche „Verschwörungstheorien“ glaube er nicht, meinte er in einem Interview. Es würde ja „keinen Sinn ergeben“, erst zu blockieren und dann doch zu kooperieren.

Die Staatsanwaltschaft selbst spricht von einem „Versehen“, das inzwischen „aufgeklärt“ sei. Ihre Konsequenz: man sei „bestrebt, die Aussonderung ausscheidender Akten zu optimieren“. Ob der politisch brisante Vorgang auch vom Justizministerium untersucht wurde – dazu äußerten sich weder die Freiburger noch die Stuttgarter Behörde. Dabei wird in den Unterlagen offenbar auch ein Vorvorgänger von Rainer Stickelberger (SPD) erwähnt: sein südbadischer Landsmann Heinz Eyrich (CDU), Patient und Duzfreund Klümpers. Zur Anklage von 1996 gehörte eine Liste von etwa 300 Einzelfällen, in denen der „Doc“ das Uniklinikum um den „Sachkostenanteil“ betrogen habe. Nebst mehreren Fußball-Nationalspielern soll darauf auch der Name Eyrichs stehen – jenes Ministers, unter dessen Verantwortung die Freiburger Justiz zunächst eher zögerlich gegen Klümper vorging.