Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith sieht in der Europapolitik einen möglichen Stolperstein für die Jamaika-Koalition. Union und SPD wirft er vor, die Ängste mit Blick auf Flüchtlingskrise und Zuwanderung nicht genügend beachtet zu haben.

Berlin/Stuttgart - Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith sieht in der Europapolitik einen möglichen Stolperstein für eine Jamaika-Koalition.

 
Herr Eith, erste Option für die Bildung einer neuen Bundesregierung ist die Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Welche Chancen sehen Sie für ein solches Bündnis?
Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass es in der Tat sehr gute Gründe gibt für die Jamaika-Koalition. Wir laufen nach den Jahren der großen Koalition schlicht Gefahr, den politischen Diskurs in Deutschland zu verlieren. Zuzuhören, andere Meinungen auszuhalten und zu tolerieren – all das funktioniert nicht mehr in ausreichendem Maße, wie es für eine Demokratie erforderlich ist. Ein Schritt, dieses auch wieder einzuüben, wäre, wenn Union und SPD im Parlament wieder unterschiedliche Rollen einnehmen würden. Nach dem schlechten Ergebnis für die SPD kann das für sie nur die Oppositionsrolle sein. Im Parlament können dann wieder die zentralen politischen Diskussionen stattfinden.
Und die Chancen für Jamaika?
Es gibt Themen, da wird es funktionieren. Aber es gibt auch Bereiche, wo es schwierig werden dürfte. Ich denke etwa an die Europapolitik, wo die FDP beispielsweise in der Fiskalpolitik weit entfernt ist von den großzügigen Positionen der Grünen. Da wird man sich aufeinander zubewegen müssen.
Union und SPD haben massiv Stimmenanteile verloren. Deutet sich darin einmal mehr das Ende der Volksparteien an?
Ich sehe das eher nüchtern. Für die Verluste gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste Grund ist, dass die Fragen um Flüchtlingspolitik, Asylpraxis und Zuwanderung den Wahlkampf bestimmt haben. Das waren Kristallisationspunkte für unterschiedliche Zukunftsängste, etwa Zugehörigkeit und Identität betreffend. Weder die Kanzlerin noch ihr Herausforderer haben dem etwas in ausreichender Form entgegengesetzt. Ein anderer Grund für die Verluste ist, dass die Kanzlerfrage ja seit Wochen entschieden war. Das hat viele Wähler, die keine Neuauflage der großen Koalition wollen, dazu verleitet, taktisch zu wählen, also etwa nach jeweiligem Standpunkt FDP oder Grüne. Das ging zu Lasten von Union und SPD.
Wie bewerten Sie das Abschneiden der AfD?
Die AfD ist für ihre Wähler zuallererst ein Frustventil. Da geht es nicht um Programmatik, und die ständigen Querelen in der Parteispitze scheinen die Leute nicht abzuschrecken. Das gilt vor allem für Baden-Württemberg, wo man die AfD nur wahrnimmt als Partei des immerwährenden Zwistes.