Die Freie Theaterszene Stuttgart feiert ihren vorübergehenden Einzug ins einstige SSB-Depot. Ein Jahr haben sie dort Unterschlupf gefunden. Über den Deal freuen sich Tanz- und Theaterschaffenden sowie Engagierte aus dem Osten, vor allem im Hinblick auf die lange Hängepartie bei der Umgestaltung des Depots.

S-Ost - Man kam nicht umhin, nach all diesen Meldungen im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft ein wenig an Brasilien zu denken, wenn man in den vergangenen Tagen im ehemaligen Depot der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) am Ostendplatz vorbeischaute. Die Freie Theaterszene Stuttgart bekommt in den alten Räumen des Staatstheaters für ein Jahr eine Bühne. In Windeseile putzten die Spielwütigen der Stadt ihre Interimsheimat raus, um auf den letzten Drücker fertig zu werden – just wie so manches Stadion in Brasilien. Der Unterschied ist laut dem Leiter des Theaters, Bernd Schlenkrich: „Vor unserem Haus wird nicht demonstriert.“

 

Das städtische Kulturamt hat den Deal eingefädelt

Schlenkrich sagt das mit einem Augenzwinkern, aber es steckt viel Wahrheit in der Aussage. Über den Deal, den das Kulturamt der Stadt eingefädelt hat, freuen sich nicht nur die rund 90 Tanz- und Theaterschaffenden der Freien Szene, sondern auch viele Engagierte im Osten, vor allem im Hinblick auf die lange Hängepartie bei der Umgestaltung des alten SSB-Depots. „Ich denke, es ist für alle ein Gewinn, wenn der Ort wieder für ein Jahr belebt wird“, sagt Rüdiger Meyke, der Leiter der Kulturförderung und Weichensteller für die Lösung. Er hoffe jetzt, „dass die Spielstätte von den Besuchern angenommen wird“.

Dafür, dass dies geschieht, will auch Schlenkrich kämpfen. Erst vor wenigen Wochen rutschte der gebürtige Flensburger in seine Rolle hinein. „Es ist eher ungewöhnlich, so kurz nach dem Antritt fünf Veranstaltungen stemmen zu müssen“, sagt er, baut aber auf sein Team an engagierten Kräften.

Zugute kommt ihm, dass schon früher Theaterleute im Depot gewesen sind. Im Eingangsbereich stehen alte Kassenhäuschen aus der Zeit, als das Staatstheater da war, das Foyer ist dank seines verglasten Dachs hell erleuchtet und laut Schlenkrich groß genug, um als Spielstätte genutzt zu werden. Im Proberaum stand bis Anfang der Woche noch das Mobiliar fürs Foyer, altertümliche aber charmante Stühle, Sofas und Schirmlampen. Herzstück der Spielstätte ist der Theatersaal, der „wunderbare Möglichkeiten“ biete: Aufführungen mit klassischer frontaler Sicht des Publikums auf die Bühne genauso wie eine Rundum- oder eine Arenabestuhlung. „Wir haben hier einen Spielplatz im besten Sinne bekommen“, sagt Schlenkrich. Die Technik kommt aus dem Fundus des Kulturamts. „Sie selbst zu finanzieren wäre mit unserem Budget nicht möglich gewesen.“

Ein erster Etappensieg ist gelungen

Ein Jahr werden die Theatermacher im Depot bleiben. Das nennt der Leiter „einen Etappensieg“ nach der mehr als ein Jahrzehnt andauernden Suche nach einer eigenen Spielstätte. „Es herrscht Aufbruchstimmung, wir sind alle sehr neugierig auf das Neue.“ Der Vorverkauf läuft ordentlich, die Premiere des ersten Stücks „Forever Medea – 3ter Stock 2te Tür links“ am Donnerstag, 19. Juni, ist ausverkauft, für die Aufführungen am Freitag, Samstag und Sonntag gibt es noch Karten. In dem Tanztheaterstück wird der griechische Mythos der Frau, die nicht nur ihre beiden Söhne umbrachte, in die Moderne übersetzt.

Für Birgit Schneider-Bönninger, die Leiterin des Stuttgarter Kulturamtes, ist die temporäre Nutzung des Depots als Spielstätte „ein Meilenstein in der kreativen Stadtentwicklung“ und ein Gewinn für alle Beteiligten. Der Vermieter SSB freut sich über moderate Mieteinnahmen und die Belebung ihres Depots, betont aber auch: Die Umgestaltung, von der eine Kindertagesstätte, die Musikschule und das Jugendhaus profitieren sollen, werde nicht aus den Augen verloren.