Die freien Bühnenkünstler sollen in Feuerbach ein neues Domizil erhalten. Doch die Begeisterung darüber hält sich in Grenzen.

Stuttgart - Das Konzept hat sich im ersten Jahr durchaus bewährt. Seit die Freie Tanz- und Theaterszene Stuttgarts unter der Dachmarke Teilchenbeschleuniger gemeinsam Öffentlichkeitsarbeit mache, würde sie besser wahrgenommen, verlautet von Seiten der freien Künstler. Die Internetseite www.teilchen-beschleuniger.com und ein Flyer geben einen Überblick über die Stücke und Ensembles. Initiiert wurde dies vom Produktionszentrum Tanz und Performance (PZ) sowie von dem Freien Theater Stuttgart (FTS) – Teilchenbeschleuniger vertritt rund 100 freie Theaterschaffende. Gefördert wird die beim PZ angedockte Plattform vom Kulturamt Stuttgart. 2012 bekam die Freie Szene 180 000 Euro: 90 000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit und Personal, 90 000 Euro für Technik-, Material- und Mietzuschüsse.

 

Aber das eigentliche Ziel der Freien Szene ist eine eigene Spielstätte: Zwei Säle für 200 beziehungsweise 100 Zuschauer, drei Probenräume, Büros, Garderoben und Gastronomie, das sei die Chance, überregional wahrgenommen zu werden und Ensembles anderer Städte einzuladen. Bei der Stadt wird das ebenso gesehen. Über den Ort indes ist man uneins. Seit die Freien 2011 aus dem Treffpunkt Rotebühlplatz auszogen, wo sie 80 Spieltage im Jahr hatten, sind sie in der Diaspora. Das frühere Kino Ambo erwies sich als ungeeignet, das Depot lehnte die Stadt ab.

Als dauerhafte Lösung stößt die Werkhalle auf Bedenken

Nun geht es um die Werkhalle, einen leer stehenden Bau auf dem Gelände von Karle Recycling, an Gleisen gelegen, zehn Gehminuten vom Feuerbacher Bahnhof entfernt. Der CDU-Stadtrat Jürgen Sauer – als einziger Stadtrat im Wagenhallenbeirat, in dem auch Stephan Karle sitzt – brachte sie ins Spiel. Als dauerhafte Lösung wurde sie nach einem Ortstermin von den Freien abgelehnt. Die Halle sei zu schmal gerade für Tanz, der Standort zu abgelegen, sie wäre höchstens eine Interimslösung. Laut der Schätzung eines Architekten müssten rund 200 000 Euro investiert werden, um alle Sicherheitsbestimmungen einzuhalten. Sauer und der Kulturförderer Rüdiger Meyke veranschlagen 40 000 bis 50 000 Euro, um Toiletten einzubauen. „Die Gelder sind da“, sagt Meyke. „Mangels Spielstätten ist 2011 die Zahl der Förderanträge der Freien gesunken, die der Aufführungen von 120 auf 60.“ Er erarbeitet für den Kulturausschuss am 18. Dezember eine Vorlage, die am 20. Dezember in den Gemeinderat eingebracht werden könnte. Demnach fließen die 180 000 Euro der Freien Szene in die Werkhalle – plus Personal. Der Technikpool mit Bühnengerätschaften im Wert von rund 300 000 Euro, den die Stadt aus Theaterbeständen erwarb, soll eingebaut werden. An diesen kamen die Freien bisher kaum heran. Wegen Personalmangels, so Meyke.

Bedeutet dies das Aus für den Teilchenbeschleuniger? „Das kleine Blättchen könnte man in der Werkhalle koordinieren“, so Meyke, der in dem neuen Spielort mehr als nur eine Interimsstätte sieht. In fünf Jahren sehe man weiter. Von sechs Anträgen, in welchen die Halle als Spielstätte angegeben wurde, wurden fünf bewilligt. Die Quote für andere Orte ist geringer.

Ein Un-Ort ohne kulturelle Infrastruktur

Das Gros der PZ-Mitglieder ist gegen die Werkhalle, die FTS-Mitglieder haben nun mehrheitlich dafür gestimmt. Indes hätten sich viele dazu genötigt gefühlt, heißt es – ein anwesendes Kulturamtsmitglied habe Konsequenzen signalisiert. Stadtrat Sauer wirbt nun dafür, der Karle-Immobilie, die monatlich 5000 Euro kostet, eine Chance zu geben. „Auf begrenzte Zeit – wir wollen den Freien helfen. Klar es gibt Tücken, man hört den ICE, aber nicht die S-Bahn!“

Monika Wüst, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, schlägt in einem Antrag vor, einen lebendigen Ort für Kultur in den Räumen der Neckarrealschule beim Hauptbahnhof zu schaffen. Noch hat die Deutsche Bahn dort eine Option. „Wer ein Gebäude umwidmen will, der findet einen Weg“, sagt Wüst. Zudem fordert sie einen Runden Tisch, um mit allen Beteiligten eine dauerhafte Spielstätte mit Perspektive zu finden. „Ich wehre mich dagegen, schnell Interimslösungen durchzupauken, die kosten und keine Zukunft bieten.“ Auch Michael Kienzle von den Grünen sieht keine Not, noch vor Antritt des neuen Oberbürgermeisters Fritz Kuhn im Januar zu entscheiden. Sein Parteikollege Andreas Winter indes, Leiter der Freien Musikschule Feuerbach, findet die Werkhalle geeignet. Anders Günter Jeschonnek, der als Geschäftsführer des Fonds Bildender Künste Berlin in ganz Europa Spielorte besucht: Das sei ein Un-Ort auf nicht erschlossenem Gelände, ohne kulturelle Infrastruktur, losgelöst von einem einladenden Umfeld.