Die EU treibt die Agenda Freihandel voran – in Deutschland, Österreich und Belgien wird der Widerstand immer größer. Eine Analyse.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Aus Sicht von Wirtschaftsexperten ist klar, was am besten für den Welthandel wäre: Am meisten Jobs würden entstehen, wenn sich alle Staaten auf gemeinsame Standards einigen könnten. Sie müssten festlegen, dass Importquoten fallen, dass Zölle aufgehoben und Subventionen gestrichen werden. Doch dies ist eine Zukunftsvision, die nach dem Scheitern der Gespräche auf der Ebene der Welthandelsorganisation (WTO) nicht realistisch ist. Damit ist klar: Ein Welthandelsabkommen wird es so schnell nicht geben.

 

Als zweitbeste Lösung gelten Ökonomen Handelsabkommen zwischen den einzelnen Ländern und Wirtschaftsräumen. Nach dem Scheitern des weltweiten Ansatzes hat ein regelrechter Wettlauf um den Abschluss von bilateralen Abkommen eingesetzt. Europa ist dabei: Die EU-Kommission hat im Herbst die Strategie „Handel für alle“ beschlossen. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit laufen die Verhandlungen auf Hochtouren. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström treibt die Freihandelsagenda massiv voran. Die Termine für die Runden sind eng getaktet. Das wirtschaftliche Interesse der EU am Freihandel ist groß: Unternehmen aus den EU-Mitgliedsländern exportieren in die Welt mehr als ihre Konkurrenten in den USA und fast so viel wie China. 30 Millionen Jobs in der EU hängen allein am Export. 90 Prozent des weltweit künftigen Wirtschaftswachstums, so die Prognosen in Brüssel, findet außerhalb der EU statt.

Auffällig ist, dass viele Schwellenländer jetzt mit den Europäern am Verhandlungstisch sitzen. Am Montag gehen die förmlichen Verhandlungen mit Mexiko in die erste Runde. Die EU hat zwar schon ein Abkommen mit dem nordamerikanischen Land, das 2000 in Kraft getreten ist. Es ist aber veraltet. Die deutschen Exporteure klagen über Hemmnisse durch technische Regularien und bei den Zulassungsverfahren ihrer Produkte auf dem mexikanischen Markt. Ein umfassendes Abkommen, ähnlich wie das umstrittene Handelsabkommen mit den USA (TTIP), wird von beiden Seiten angestrebt. Die Hoffnungen sind groß: Seit das alte Abkommen in Kraft getreten ist, hat sich der Handel zwischen Mexiko und der EU verdreifacht. Mit einem Volumen von 53 Milliarden Euro ist die EU der drittwichtigste Handelspartner Mexikos nach den USA und China. Allein der deutsche Maschinenbau lieferte im vergangenen Jahr Güter im Wert von 2,6 Milliarden Euro nach Mexiko, 2000 lag dieser Wert noch bei 1,16 Milliarden.

Überall auf der Welt wird über Freihandel nachgedacht

Viele Handelsabkommen mit bevölkerungsstarken Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas sind in der Pipeline. So ist eine erste Verhandlungsrunde der EU-Kommission mit den Philippinen Ende Mai erfolgreich gelaufen. Im April hat sich die EU grundsätzlich bereit erklärt, mit Indonesien über ein Abkommen zu verhandeln. Die erste Verhandlungsrunde mit dem südafrikanischen Wirtschaftsraum Mercosur ist nach der Sommerpause geplant.

Vor allem in Deutschland, Österreich, Belgien und den Niederlanden ist die Kritik an den geplanten Freihandelsabkommen mit den USA sowie mit Kanada (Ceta) groß. Die Gegner argumentieren, dass TTIP und Ceta die wirtschaftlichen Chancen gerade der armen Länder und der Schwellenländer beeinträchtigen würden. Der FDP-Politiker Michael Theurer bestreitet dies: „Die ärmsten Länder der Welt haben bereits heute für viele Produkte einen privilegierten und zollfreien Zugang zur EU.“ Auch die Freihandelsoffensive der EU-Kommission mit Staaten wie Indonesien, Mexiko und Vietnam zeige, dass „diese Argumente nicht stichhaltig sind.“

Österreichs Bürger sind am kritischsten

Bei der letzten Umfrage im Auftrag der EU-Kommission war noch eine Mehrheit der EU-Bürger für den Abschluss von TTIP mit den USA. Bei der Befragung im November sprachen sich 53 Prozent dafür aus, 32 Prozent waren dagegen. Der Zuspruch bröckelt allerdings. Das „Nein“-Lager ist in Österreich mit 70 Prozent am größten, gefolgt von Deutschland mit 59 Prozent. Die Gegner haben inzwischen auch das Handelsabkommen mit Kanada (Ceta) ins Visier genommen. Es ist weiter fortgeschritten als TTIP, 1500 Seiten in englischer Sprache liegen vor, werden gerade übersetzt. Bald soll das Abkommen den Mitgliedsländern vorgelegt werden. Im Juli will die EU-Kommission darüber beraten und entscheiden, ob es schon einmal provisorisch in Kraft treten kann. Mit Sorge wird jedoch betrachtet, dass sich das Nein-Lager formiert: Das Parlament des eigentlich wirtschaftsfreundlichen Luxemburg hat sich am Dienstag auf ein Nein gegen Ceta festgelegt. Damit ist Luxemburg das erste Land EU-weit, das sich gegen Ceta stellt. Zuvor hatte sich die belgische Region Wallonien auch gegen Ceta ausgesprochen.

Auch in Deutschland gärt es beim Thema Ceta: So rufen verschiedene Lobbyorganisationen wie Foodwatch und Campact per Internet-Plattform zu einer Massen-Verfassungsbeschwerde gegen das Abkommen auf. Auch Landesregierungen mit schwarz-grün-Beteiligung steht eine Gratwanderung bevor: Die Union ist für Ceta, die Grünen stehen unter dem Druck der Basis, die mehrheitlich dagegen ist. Im Koalitionsvertrag, den Grüne und CDU gerade in Stuttgart besiegelt haben, lassen sie die Zustimmung zu Ceta offen. Es deutet sich an, dass Ceta noch für Diskussionen sorgen wird. In einem Gutachten, das der Tübinger Jurist Martin Nettesheim im Auftrag des Staatsministeriums angefertigt hat, kommt er zum Schluss: Ceta ist ein „gemischtes Abkommen“, über das die EU nicht allein entscheiden könne. Damit ist wahrscheinlich, dass auch der Bundestag und die Länderkammer zustimmen müssten. Wegducken geht also nicht.